Wenn Religiöse mehr Kinder haben als Atheisten, dann könnte die Religion evolutionär selektiert worden sein.
Ist das nicht so, spräche das für die Nebenprodukt-Theorie, laut der Religion für die Anpassung nutzlos ist.
Dan Gardner hat nachgeforscht:
Es stellt sich also heraus, dass Gottlosigkeit für den Geburtenmangel verantwortlich ist. So lautet das Urteil von Papst Benedikt XVI, der keine persönliche Erfahrung mit Fortpflanzung haben mag, sich aber recht sicher ist, dass er den Grund dafür kennt, warum Frauen weniger Kinder haben als vorher.
Der Säkularismus ist fehlerhaft, sagte er besuchenden kanadischen Bischöfen. „Eine der dramatischeren Symptome dieser Geisteshaltung, die sich deutlich in Ihrer Region zeigt, ist die sinkende Geburtenzahl.“
Er hat sicherlich recht damit, dass die Geburtenzahl sinkt. Von einem Höchstwert von vier Kindern pro Frau auf dem Gipfel des Baby Boom der Nachkriegszeit sank Kanadas Gesamtgeburtenhäufigkeit auf 1,5. Sie gehört zu den niedrigsten der Welt, sogar zu den niedrigsten der Menschheitsgeschichte1. Ein Durchschnittswert von 2,1 – welchen Demographen „Ersatzrate“ nennen – ist notwendig, um die Bevölkerung von der Abnahme zu bewahren.
Aber ist der Säkularismus wirklich die Grundursache? Der Papst ist bei weitem nicht der einzige, der so denkt. In gesellschaftlich konservativen Kreisen ist es praktisch ein Glaubenssatz, wenn sie mir das Wortspiel verzeihen. Der Beweis? Europa. Das gottlose, sozialistische, hedonistische Europa musste mit ansehen, wie seine Geburtenhäufigkeit zusammenbrach und nun steht der Kontinent einer demographischen Krise gegenüber.
Was Konservative jedoch nur selten erwähnen ist, dass Geburtsraten überall auf der Welt zusammenbrechen. Sie sind besonders niedrig in Japan, Südkorea, Singapur, Hong Kong und in anderen fortschrittlichen asiatischen Ländern, deren Sozialgefüge dem europäischen kaum ähnelt.
Konservative vermeiden auch den beachtlichen Fall des Iran. 1975 war die Geburtsrate dieses Landes 6,4 Kinder pro Frau. 1979 wurde die säkulare Regierung gestürzt und durch eine Theokratie ersetzt. Dann brach die Geburtenhäufigkeit zusammen. Heute ist sie 2,1. Man fragt sich, was der Papst daraus machen würde.
Gleich hier in Kanada können weitere Gründe dafür gefunden werden, um der konservativen Linie zu misstrauen.
Die niedrigsten Geburtsraten des Landes findet man in den atlantischen Provinzen. Die Rate von Neu-Schottland ist 1,4 Kinder pro Frau; Neu-Braunschweig, 1,4; Neufundland, 1,3.
Alberta dagegen hat eine Geburtenhäufigkeit von 1,7. Saskatchewan ist bei 1,9 und Manitoba bei 1,8. Die nordwestlichen Territorien und Nunavut sind an der Spitze mit 2,0 und 3,1.
Was sagen uns diese Unterschiede? Nicht viel. Es ist unmöglich, diese Zahlen mit Säkularismus, Liberalismus und anderen Ismen in Verbindung zu bringen. Wenn es überhaupt ein Muster gibt, dann besteht es darin, dass größere Eingeborenenpopulationen mehr Babies haben. Starke Wirtschaften können helfen. Aber der Glaube? Wenn es ein Faktor ist, dann ist er ganz schön klein.
Einen Moment, werden Konservative sagen. Was ist dann mit den Vereinigten Staaten?
Unter den entwickelten Ländern ist die USA auf einmalige Weise religiös und auf einmalige Weise fruchtbar. In der konservativen Vorstellungswelt beweist dies, dass der Glaube Kinder macht.
Die Geburtenhäufigkeit der USA entspricht genau der Ersatzrate: 2,1 Geburten pro Frau. Die Spanier und Italiener sind bei 1,1“, schreibt Mark Steyn, ein konservativer Kommentator, der stolz darauf ist, männliche Amerikaner mit schlaffen Europäern zu kontrastieren. „Das sind trockene Zahlen, aber es steht etwas Metaphysisches und Tiefgründiges hinter ihnen.“
Wenn Herr Steyn mit „Metaphysik“ Mexikaner und Hypotheken meint, dann ja, es hat viel mit Metaphysik zu tun. Andernfalls nicht wirklich.
Die amerikanischen Geburtsraten sind für den Großteil der vergangenen zwei Jahrhunderte gefallen. In den 1960er und 1970er Jahren fielen sie zusammen mit den europäischen Geburtsraten. In den 1970ern lag die amerikanische Rate nicht nur unter der Ersatzrate, sondern sie fiel unter die europäische.
Aber in den Jahren seitdem hat sich die amerikanische Geburtenhäufigkeit wieder leicht erholt und schwebt bei oder ein Haar unter der 2,1 Ersatzrate. Die europäische Rate (wie die Kanadas) stieg nicht an. Daher stammt die Lücke heute.
Also ist der Unterschied bei weitem nicht so dramatisch, wie ihn Konservative darstellen. Er sieht auch ganz anders aus, wenn man die Zahlen nach Rassen unterscheidet.
Die Geburtenhäufigkeit der weißen Amerikaner fiel in den frühen 1970er Jahren unter die Ersatzrate und sie erholte sich nie. Heute steht sie bei etwa 1,8 Kindern pro Frau. Das ist ein wenig höher als die Gesamtgeburtenhäufigkeit in Kanada und ist den meisten europäischen Ländern, aber sie liegt ein wenig unter der von Frankreich und Irland.
Die Geburtenhäufigkeit von schwarzen Amerikanern – 2,1 – ist höher als die von Weißen. Aber wirklich herausragend ist die von Amerikanern spanischer Herkunft: 2,7 Kinder pro Frau.
Doch selbst diese Zahl verbirgt wichtige Abweichungen. Die meisten Amerikaner spanischer Herkunft haben eine Geburtenhäufigkeit zwischen 1,5 und 2,1, aber Spanier von Mexiko haben eine Geburtenhäufigkeit von beinahe drei Kindern pro Frau – erstaunlich hoch in einem entwickelten Land.
Ziehen Sie die Spanier von der amerikanischen Bevölkerung ab und die Geburtenhäufigkeit beträgt 1,9. Das entspricht der französischen.
(Kanada erhält nicht den selben Fruchtbarkeitsaufschwung durch Einwanderung, weil unser System so gestaltet ist, dass es Professoren aus Hong Kong aufnimmt und gering qualifizierte Bauern ausschließt – und es sind die letzten, die eine Menge Kinder haben, nicht die ersten.)
Ein weiterer Schlüsselfaktor hinter der amerikanischen Geburtenhäufigkeit ist der Wohnungsbau. In den meisten Ländern mit einer Bevölkerungskrise – wie Italien und Japan – ist der Wohnungsbau unerschwinglich teuer. Ein Ergebnis besteht darin, dass Männer und Frauen viel länger in ihren Elternhäusern wohnen. Das verzögert die Heirat, was wiederum die Kinder verzögert. Und wenn die Leute das Kinder haben verschieben, dann werden sie – im Durchschnitt – weniger Kinder haben, als sie gehabt hätten, wenn sie eher damit angefangen hätten.
In den USA ist der Wohnungsbau viel günstiger und mit weniger Aufwand möglich als anderswo und zwar dank einfacher Kreditbedingungen. Amerikaner können außerdem Hypothekenzinszahlungen von ihren Einkommensteuern absetzen, was Hausbesitz erheblich erschwinglicher macht. Mark Steyn, bitte geben Sie acht: Ein Grund, warum Amerikaner mehr Kinder haben als diese hilflosen Euro-Sozialisten ist ein gewaltiger Zuschuss des Staates.
Spielt die Religion irgendeine Rolle, in den USA oder anderswo? Zu einigen Zeiten und in einigen Orten, ja. Menschen, die überzeugt an eine Religion glauben, die Anhängern sagt, dass sie hingehen und sich vermehren sollen, tun das mit mehr Eifer als Menschen, die das nicht tun. Das mormonische Utah ist eine sehr gute Demonstration dieses Umstands. Aber die Macht des Glaubens, Kinder zu machen, sollte nicht übertrieben werden. Die Wirtschaft und andere Faktoren beeinflussen Gläubige wie jeden anderen. Sogar Utahs Geburtenhäufigkeit fiel von 4,3 in den 1960ern auf 2,4.
Doch das grundsätzliche Problem mit der Schlussfolgerung des Papstes über sinkende Geburtsraten besteht nicht darin, dass er den falschen Schuldigen ausfindig gemacht hat. Es besteht darin, dass er davon ausgeht, dass es eine Ursache gibt. Eine Ursache.
Damit ist er alles andere als allein. Konservative gelangen die ganze Zeit über zu dieser Schlussfolgerung. Wie die meisten Menschen. Bringen Sie das Thema ins Gespräch und Sie können sich sicher sein, dass jemand sagen wird, dass es an der steigenden Unfruchtbarkeit liegt. Nein, wird jemand anderes sagen, es liegt an der mangelnden Kinderbetreuung. Vielleicht auch an der Abtreibung. Oder an der Tatsache, dass Frauen die Küche verlassen haben und ins Büro gegangen sind.
„Warum haben wir keine Babies?“, fragte vor kurzem eine Kolumnistin in der Globe and Mail. „Ich denke, es ist recht einfach.“
Das ist das Problem. Jeder denkt, es wäre recht einfach. Aber das ist es nicht. Es ist verdammt kompliziert.
Forscher haben herausgefunden, dass in vielen Fällen – darunter Kanada – Faktoren wie die wirtschaftlichen Kosten der Kinderaufzucht eine wichtige Rolle spielen. Es ist aber nicht genau klar, welche Faktoren daran beteiligt sind, in welchem Grade und in welcher Kombination.
Keiner mag es, wenn man ihm sagt, dass es keine einfache Antwort gibt. Aber das ist es, was die Studien zeigen. Das Ding ist groß und kompliziert und wir beginnen gerade erst, uns damit auseinanderzusetzen.
Natürlich ist es viel befriedigender, unbequeme Fakten zu ignorieren und alles auf etwas zu schieben, dass Sie nicht leiden können – Säkularismus, Feminismus, was auch immer. Aber das hilft uns nicht dabei, das Problem zu verstehen. Und es wird gewiss keine wirkungsvollen Lösungen hervorrufen.
Wenn sich der Papst also wirklich Sorgen macht über die fallende Geburtenhäufigkeit – und ich hoffe, das tut er – dann könnte er dazu beitragen, etwas daran zu ändern, indem er seine Bibel weg legt und sich ein Buch über Demographie besorgt.
1In Deutschland betrug die Geburtenhäufigkeit im Jahre 2007 1,3 und sie stagniert. (Anm. des Übers.)
Übersetzung: Andreas Müller
Quelle: Gardner, Dan: Faith doesn't make babies.The Ottawa Citizen. 24. Mai 2006
Anm.: Dieser Artikel geht auch an die Adresse des Religionswissenschaftlers Dr. Blume, der nicht müde wird, noch im letzten Winkel nach einem Sinn für Religion zu suchen und ihn natürlich auch zu finden.
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