Ein Erlebnis der Laizität

BERLIN. (hpd) Es ist inzwischen Tradition: Jedes Jahr veranstaltet der Berliner Humanistische Verband eine geförderte Bildungsreise in ein fernes Land. Im offiziellen Berliner „Stadtführer Entwicklungspolitik“ der „Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen“ wird extra darauf verwiesen. Dieses Jahr führte die Reise im hiesigen Spätherbst ins frühlingshafte Montevideo.

Uruguay ist mit Abstand das am wenigsten katholisch geprägte Land des oft als „katholischer Kontinent“ bezeichneten Lateinamerika. Eine Erhebung zur Religiosität im Jahr 2001 ergab, dass nur 54 Prozent der Befragten katholisch sind.

Das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat ist in der Verfassung fest verankert – und dies mit einer Konsequenz, die selbst im laizistischen Frankreich undenkbar wäre. Christliche Feiertage wie Weihnachten oder Ostern existieren in den offiziellen Kalendern Uruguays nicht. Man findet dort Bezeichnungen wie „Familientag“ für den 24. Dezember oder „Semana de Turismo“ – „Reisewoche“ für die Karwoche vor Ostern. Zu den weiteren Besonderheiten gehört die fortdauernde Ausweisung des Jesuitenordens (1859), die Verstaatlichung der Friedhöfe (1861), die Einführung der verpflichtenden standesamtlichen Trauung (1885) und der staatlichen Ehescheidung (1907). Hier zeigt sich eine der Besonderheiten im Vergleich zu anderen Staaten Lateinamerikas: Uruguay hat eine ausgeprägte Laizität bis in die Gesellschaft hinein. Die katholische Kirche als Institution hat in Uruguay wenig Einfluss in der Gesellschaft. Es gibt aber evangelikale Strömungen. Quellen rechnen etwa zehn Prozent der Bevölkerung zu charismatischen und pfingstkirchlichen Christen.

Uruguay hat eine demokratische, rechtstaatliche präsidialrepublikanische Verfassung. In der Kultur des Landes ist die spanische und italienische Einwanderung noch immer spürbar, aber auch zahlreiche Deutsche und Österreicher (man spricht von 5-7000) fanden hier während der Nazizeit Exil. Viele blieben im Land. Umgangssprache ist Spanisch.

Schwerpunkt der zweiwöchigen Reise war es, das Bildungswesen Uruguays näher kennen zu lernen. Deshalb gab es Termine mit der dortigen „Friedrich-Ebert-Stiftung“, der „Deutschen Schule Montevideo“, dem Ministerium für soziale Entwicklung „MIDES“ und der „Bertolt Brecht Stiftung“. Die Reisegruppe wollte herauszufinden, wie ausgeprägt dort humanistische Gedanken sind.
Ort der Beobachtung war Montevideo, die Hauptstadt Uruguays. Sie zählt rund 1,35 Mio. Einwohner und wurde 1726 gegründet. In Uruguay leben insgesamt ca. 3,3 Millionen Einwohner. Das Land ist etwa 600 km lang und 400 km breit. Drei Viertel der Bevölkerung leben an der Küste. Hierhin zieht es auch die meisten Touristen, die vor allem aus Argentinien und Brasilien anreisen. Sie bevölkern dann die Seebäder der Küste.
Seit 2005 regiert das Mitte-Linksbündnis „Encuentro Progresista – Frente Amplio“ mit dem linken Präsidenten Tabaré Vázquez Rosas an der Spitze. Er ist Arzt (Krebsspezialist) und praktiziert noch einmal in der Woche. „Frente Amplio“ heißt übersetzt „Breite Front“. In dieser Partei sind über vierzig Parteien vertreten von ganz links bis weit rechts.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung operiert in Lateinamerika seit den 1960er Jahren und in Uruguay seit 1985. Sie setzt sich besonders für die Stärkung der Demokratie und für die internationale Zusammenarbeit ein. Die Kooperation mit der Regierung ist vertrauensvoll. Die Stiftung gibt auf Wunsch der Regierung Hilfe zur Selbsthilfe. Netzwerke werden aufgebaut. Oberstes Prinzip ist dabei, nicht direkt ins politische Geschehen einzugreifen.

Die Deutsche Schule von Montevideo „Colegio Aleman“ wurde vor 150 Jahren gegründet und ist damit die älteste Begegnungsschule in Südamerika. Sie hat zehn Prozent muttersprachliche Schüler. Die Kinder kommen aus Einwanderungsfamilien. Die deutsche Sprache wird gefördert und erhalten. Es gibt Austauschprogramme mit Deutschland. Das Abitur wird halb in Deutsch und halb in Spanisch absolviert und ist in Deutschland und in Uruguay anerkannt.
An der Schule lernen 1200 Kinder. Sie hat 178 Lehrer (davon zwölf aus Deutschland vermittelte Lehrer). Auch Religionsunterricht wird angeboten. Einen Pflichtbesuch gibt es aber nicht.

Das Bertolt-Brecht-Haus „Casa Bertolt Brecht“ wurde 1964 von Ernesto Kroch gegründet und noch heute geleitet. Im Bertolt-Brecht-Haus gibt es Deutschunterricht, Unterricht im Brechtschen Schauspiel, Konferenzen und Workshops.

Das Ministerium für soziale Entwicklung „MIDES“ wird von Marina Arismendi geleitet. Sie studierte im Exil in der DDR in Berlin. Es wurde im Jahre 2005 gegründet.

Uruguay registrierte zum Zeitpunkt des Aufenthaltes der HVD-Delegation 800.000 Haushalte, die in Armut leben – davon 4,5 % in absoluter Armut. Auf Grund dessen wurde ein Notfallplan „Plan de emergencia“ für die Ärmsten ins Leben gerufen, der etwas Geld, Kinderhilfe, Bezahlung von Strom und Wasser sicherte bzw. Wohnungslosen Wohnungen anbot.
Hinzu kam ein Programm Namens „Uruguay trabaja“, der 15.000 Jobs (Straßen fegen, öffentliche Plätze pflegen u.ä.) für jeweils sechs Monate bot. Die Jobs waren innerhalb von zwei Tagen verteilt,  vorwiegend an Frauen.
Neben zahlreichen Projekten bietet das Ministerium das Projekt „Programa Aula Comunitarias“ an. In diesem Projekt wird arbeitenden Kindern nach der Arbeit Schulunterricht geboten.
Ein weiteres Projekt heißt „Plan de equidad“ („Plan der Gleichbehandlung“). Dieser sieht gleiche Rechte vor und will zur Durchsetzung Gesetze schaffen, dass z.B. Kinder bis zum 18. Lebensjahr eine kostenlose gesundheitliche Grundversorgung bekommen, Reiche mehr Steuern zahlen etc.

Der HVD Berlin wird auch 2009 eine Bildungsreise organisieren. Informationen sind über den Berliner Landesverband des HVD demnächst erhältlich.

Alberto E. Boerger