Rezension

Die Sehnsucht nach dem Leben

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Sehnsuchtsort
Sehnsuchtsort

Nach "Leben in alle Himmelsrichtungen" und "Bloßes Leben" ein weiteres Buch von Andreas Altmann mit Best-of Reportagen, die dazu verführen, mit offenen Augen in die Welt einzutauchen. "Sehnsucht Leben" ist eine Sammlung von Begegnungen und Abenteuern in verschiedenen Teilen der Welt, belegt einmal mehr Andres Altmanns meisterhafte Beherrschung der Sprache, seinen reichen Wortschatz und seine dynamische Schreibkunst, die den Leser und die Leserin mitten ins Geschehen versetzt.

Anekdotischen Erzählungen "von der Schönheit und den Abgründen unserer Welt", verbunden mit Reflexionen ins eigene Seelenleben, bieten in klarer Sprache ein breites Spektrum an Eindrücken, von heiteren bis zu düsteren Momenten. Altmanns Fähigkeit, sensibel in fremde Kulturen einzutauchen und für Zwischentöne zu sensibilisieren, verleiht dem Buch Tiefgang und befeuert die Sehnsucht nach eigenem Erleben.

"Sehnsucht Leben heißt das Buch, und es besteht (fast) ausschließlich aus Geschichten von Frauen und Männern, die ich beneide und bewundere. Die mich – ohne es je auszusprechen – antrieben, ja mich ansteckten mit ihrem Lebenswillen und der unbedingten Bereitschaft, jeder Art trübsinnigen Daseins aus dem Weg zu gehen."

Achtundzwanzig sehr unterschiedliche Kapitel als Best-of schon länger zurückliegender Texte berichten in bildmächtiger, ausdrucksstarker Sprache thematisch geordnet von unterschiedlichen Orten, besonderen Ereignissen und einprägsamen Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen rund um den Globus. Es sind Begegnungen, die erstaunen, berühren, anziehen, nicht selten auch abstoßen, stets aber faszinieren und zum Nachdenken anregen.

Cover

Gemäß einem Zitat von Konfuzius ("Sag es mir, und ich vergesse es, zeige es mir, und ich werde mich vielleicht daran erinnern, lass mich daran teilhaben, und ich werde es verstehen") vermittelt Andreas Altmann Teilhabe an Geschehnissen und Erfahrungen, die ihn manchmal auch selbst an die Grenzen des Erträglichen bringen. Beispielsweise beim Besuch eines Rehabilitationszentrums in Peschawar, wo ihm ein Satz von William Faulkner ("If you saw all the suffering in the world in one go, you would go blind") in den Sinn kommt – und wo ihm die gleichzeitige Begegnung mit dem afghanischen Chirurgen Dr. Alfridi hilft, das Unerträgliche zu ertragen: "Ihm verdanke ich eine Lehrstunde über den Hass zwischen den Menschen und ihre Fähigkeit zur Liebe." "Als Reporter interessiert mich die Wirklichkeit. Von der will ich berichten. Dabei erspare ich mir meist jeglichen Kommentar. Sittliche Entrüstung halte ich für billig und überflüssig."

Andreas Altmanns Texte beleuchten die Welt aus verschiedensten Perspektiven in zeitlos poetischer Sprache. Die Vielfalt der Themen, geordnet nach Abschnitten wie "Forderndes Leben", "Leichtes Leben", "Die Tapferen", "Die Genies" beinhalten neben allem Absurden und Schrecklichen auch eine der tiefen Sehnsüchte der Menschheit: "Die Sehnsucht nach Maß, nach Anmut. Nach etwas, das unser Leben bereichert."

"Umwege zum Ziel – Gegen die Wand" nennt sich das letzte Kapitel des Buches. Es beschreibt den Werdegang des Autors: Nach schwerer Kindheit und Jugend Ausbildung zum Schauspieler; nach mäßig schauspielerischen Erfolgen Therapie in einem indischen Ashram ("finde heraus, wer du bist"); nach langer Phase des Ringens mit sich selbst und der Welt, Reisen und Schreiben: "Fluchtweg aus einer bislang verlorenen Existenz: Sprache, Schreiben. Mich rettete das Schreiben. Liebe auf den Tausendsten Blick. Eine Liebe wohl auf ewig, ich schwör's." "Sitzt das Wort – das eine tadellose, das eine fugenlose – dann ist das Glück nicht aufzuhalten. Das Leben stimmt jetzt – für Augenblicke. (…) Soll sagen, ich bin kein besserer Mensch geworden, kann nur klüger jetzt mit meinen Minuspunkten umgehen, noch immer fehlt mir alles, um 'über den Dingen' zu stehen. (…) Ich Glückspilz, der die letzte Kurve gepackt hatte, die allerletzte. Um nicht pfeilgerade ins Unglück zu stürzen. Aber ja, jede Wand, gegen die ich fuhr, musste sein. Um anzukommen."

"Sehnsucht Leben": Reportagen und mehr, Reise-Erzählungen und mehr, Erlebnisse und Beobachtungen mit Neugier und Empathie. Uneitel und selbstkritisch. Mit tiefen Einsichten – ohne erhobenen Zeigefinger – in unsere Welt voll Schönheit und Hässlichkeit, voll Liebe und Hass. Lesestoff, der in den Bann zieht.

Andreas Altmann, Sehnsucht Leben. Reportagen, Piper Verlag, München 2025, 287 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-492-06385-2

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