BERLIN. (hpd / hvd) ... und mit Gefühl für das Menschliche. Es ist die Zeit der Nachlese. Nach der Volksabstimmung in Berlin, durch die die „Pro-Reli“-Initiative so deutlich zurückgewiesen worden ist, wie nur wenige zu hoffen wagten und andere nie befürchteten, sollten die Vertreter des organisierten Humanismus jetzt sorgfältig prüfen, was diese Entscheidung für die weiteren strategischen Auseinandersetzungen bedeutet.
Im neuen, umgekehrten Berliner Kulturkampf – in dem Amtskirche und konservative Basis von Kirche und „Bürgergesellschaft“ auf die Staatsmacht zuzugreifen versuchen, nachdem sie die mediale Vormachtstellung bereits weitgehend errungen haben – ist eine wichtige Entscheidung gefallen, die einige Lehren erteilt.
Ein Kommentar von Frieder Otto Wolf
Vier Irrtümer
Heute schon lassen sich zumindest einige – bereits mehr oder minder verbreitete – vier Fehlschlüsse erkennen, zu denen dieses gute Ergebnis uns verleiten könnte:
Erster Irrtum: Falscher säkularistischer Hochmut, durch den wir das Bündnis mit „Christen für Ethik“ zu einem bloß taktischen Manöver herabsetzen würden: Wir standen mit Christen, Juden, Muslimen und anderen Gläubigen in einer Reihe für eine moderne Ethik für die nachkommende Generation. Diese Bündnisfähigkeit und -bereitschaft ist kein taktisches Zugeständnis, sondern strategische Option. Aber wir sagen auch: Mehr Humanismus in die Ethik.
Zweiter Irrtum: Blindheit gegenüber den schwierigen Problemen der Profilierung unseres Humanismus gegenüber einer schlichten philosophischen Rationalität und der in ihrem Rahmen begründbaren Ethik, durch die wir verdrängen würden, dass das eigenständige Profil unserer Humanistischen Lebenskunde gegenüber staatlichen „ordentlichen Schulfächern“ wie Ethik, LER und Normen und Werte erst noch und dies bundesweit zu entwickeln ist. Wir sagen: Mehr Erkennbarkeit unseres Bekenntnis-Humanismus.
Dritter Irrtum: Überschätzung des „neuen Atheismus“ und seines tatsächlichen Einflusses in der Gesellschaft, eingeschlossen Thesen, „wissenschaftliche Weltanschauungen“, gespeist aus den Naturwissenschaften, würden religiöse Irrlehren demnächst beseitigen (können). Wir sagen: Nur ein intelligenter praktischer Humanismus, der mit den Menschen fühlt, sie erfasst und wärmt, kann die Vormacht der Religionen im Alltagsleben zurückdrängen und den Beweis liefern, dass es auch ohne Religionen geht.
Vierter Irrtum: Unterschätzung des Kampfeswillens und der Kampfkraft der Kräfte, die hinter Pro Reli gestanden haben – wodurch wir die sichere Erwartung verdrängen könnten, dass dieser neue Berliner Kulturkampf in weitere Runden geht, wenn nicht gar erst anfängt. Wir sagen: Mehr Mut und Realitätssinn in den kommenden Kämpfen für Aufklärung und Humanismus.
Säkularismus und Bündnispolitik
Die Berliner Volksabstimmung ist von einem Bündnis gewonnen worden, indem die innerkirchlich geradezu verfolgte Minderheit der „Christen für Ethik“ eine Schlüsselrolle gespielt hat. Der erfolgreiche Slogan war „Lasst uns beides: Ethik plus Religion!“ Wer jetzt glaubt, wie fundamentalistischer Atheismus uns empfiehlt, das Bündnis von Seiten des organisierten Humanismus aufkündigen zu können, um die Herausdrängung von Religion aus dem öffentlichen Raum – und daher auch aus der Schule – zu betreiben, verhält sich gegenüber den Bündnispartnern unredlich. „Mehr Laizismus“ und „Glaubst du noch oder denkst du schon“ sind falsche Signale.
Außerdem hat er (oder auch sie) einfach nicht wirklich verstanden, worum es heute geht. Wir schreiben nicht mehr das 19. Jahrhundert, indem in Europa die christlichen Kirchen in einem hässlichen Bündnis von „Thron und Altar“ gestanden haben, vor dem sich jeder aufrechte Anhänger der Menschlichkeit unter Menschen nur mit Grausen abwenden konnte.
Wir schreiben – hoffentlich – auch nicht mehr das schreckliche 20. Jahrhundert, bei dessen großen Verbrechen sich weltweit die Fronten sowohl zugespitzt, als auch auf eine Weise kompliziert haben, dass säkulare und religiöse Positionen sich immer wieder auf beiden Seiten der Konfrontation zwischen humanen und antihumanen historischen Kräften und Bewegungen gefunden haben.
Angesichts der heraufziehenden Krisenkonstellation – Finanz- und Wirtschaftskrise, ökologische Krise, Hunger- und Bevölkerungskrise, um nur die dringlichsten Krisenprozesse der heutigen Weltzivilisation anzusprechen – ist es heute keine künstliche Dramatisierung mehr, sich ernsthaft zu fragen, welche Bündnisse dazu in der Lage sein werden, sich den Herausforderungen, vor denen die Menschheit stehen wird, auf eine humane Weise zu stellen – und von welchen Bündniskonstellationen Gefahren für das Überleben menschlicher Kultur zu erwarten sind.
Angesichts der Dringlichkeit der Krisenprozesse – nach den optimistischen Prognosen haben wir Menschen für ein klimapolitisches Umsteuern noch ca. 10 Jahre Zeit – kann diese, für viele Menschen sicherlich schwierige Bündnisfrage nicht dadurch „übersprungen“ werden, dass sich unterschiedliche Strömungen in eine Zukunft hineinwünschen, in der sie alleine das Sagen haben oder zumindest unzweideutig (sozusagen „leitkulturell“) hegemonial geworden sind.
Für säkulare Kräfte muss in diesem Kontext ganz klar sein, dass ein derartiges Bündnis für ein Überleben der menschlichen Kultur nicht ohne gläubige AnhängerInnen von Christentum, Buddhismus, Islam, Hinduismus oder anderen religiösen Formationen auskommen kann.
Selbstverständlich muss in einem derartigen Bündnis auch für säkulare Kräfte Platz sein, aber diese werden ganz grundsätzlich anerkennen müssen, dass auch religiös Gläubige einen relevanten und konstruktiven Beitrag leisten können und sollen. Vor allem aber werden sie erkennen müssen, dass auch heute wieder säkulare Kräfte zumindest als nützliche Idioten eines antihumanen Bündnisses tätig werden – indem sie etwa daran mitarbeiten, aus der Kritik an einzelnen Praktiken und Positionen der islamischen Tradition (welche mangels Kirche sehr viel vielgestaltiger ist, als wir es aus dem „christlichen Abendland“ gewohnt sind) einen Beitrag zu einer generalisiert islamophobischen Propaganda zu erarbeiten, oder indem sie dabei mittun, die BefreiungstheologInnen im Namen einer vorgeblich universalen Marktrationalität als „antimodern“ und „rückschrittlich“ zu diffamieren.
Ein organisierter Humanismus, der sich als eine säkulare Kraft im Dienste einer Bewahrung und humanen Weiterentwicklung der Kultur der Menschheit Ernst nimmt, steht hier vor besonders dringenden Aufgaben – sowohl der Entwicklung von produktiven Dialogen mit religiös gläubigen BündnispartnerInnen, als auch der klar und deutlich artikulierten Kritik an säkularen Kräften, welche derartige destruktive Positionen beziehen.
Der neue Berliner Kulturkampf hat sich zwar zunächst nur auf eine – eigentlich ziemlich untergeordnete – schulorganisatorische Frage bezogen; in ihm wurde aber doch schon sichtbar – allein schon an dem Überschwang, mit dem ganz umfassend über Werte, Glauben, Religionen (und z.T. auch „Weltanschauungen“) diskutiert worden ist – dass es um sehr viel grundsätzlichere Auseinandersetzungen geht, in denen der organisierte Humanismus klar Stellung beziehen muss, wenn er nicht irrelevant werden will.
Und wer glaubt, dass Humanismus nicht auch „untergehen“ kann, der begeht den größten Irrtum, denn er oder sie übersieht, dass es Humanismus nur gibt, wenn mehr als paar vereinzelte Menschen ihn leben.
Humanismus, Ethik und Lebenskunde
Der Slogan der Pro-Ethik-Kampagne war bekanntlich nicht: Lasst uns beides – Ethik und Religion bzw. Weltanschauung. Das eigene Angebot des HVD in Berlin kam damit in der Abstimmung nicht vor: Humanistische Lebenskunde steht jedenfalls formell auf der Seite des freiwilligen Religionsunterrichts, nicht von Ethik als Pflichtfach.
Diese Schweigsamkeit war angesichts der wichtigen dienenden Rolle, die HVD-Mitglieder in der Kampagne übernommen haben, sicherlich eine bündnispolitische Tugend. In ihr kommt aber auch ein Problem zum Ausdruck, das wir als organisierte HumanistInnen dringend werden bearbeiten müssen, wenn wir unserem schulischen Angebot eine dauerhaft tragfähige Perspektive geben wollen.
Ein Kollege spitzte seine Sicht auf dieses Problem wie folgt zu: Wenn das Modell des Wahlpflichtfachs durchgesetzt würde, sei die Humanistische Lebenskunde bald tot. Es gäbe für religiöse Menschen unter dieser Voraussetzung grundsätzlich plausible Motive, ihre Kinder (oder Religionsmündige sich selber) von einem staatlichen Ethikunterricht abzumelden und stattdessen zu einem bekenntnisgebundenen Religionsunterricht zu schicken.
Derartige grundsätzliche Motive – inklusive die Attraktivität eines guten Lehrers oder einer guten Lehrerin – gäbe es für säkulare, nicht konfessionsgebundene Menschen einfach nicht, warum sie Humanistische Lebenskunde statt Ethik wählen sollten.
Dem ist ganz grundsätzlich zu widersprechen – wohl wissend, dass der größte Teil der SchülerInnen (und ihre Eltern) heute Humanistische Lebenskunde als Alternative zu den Angeboten von Religionsgemeinschaften wählen, auf Klassenstufen, in denen es einfach kein staatliches Ethikangebot gibt: Humanistische Lebenskunde als Vermittlung eines engagierten Humanismus, der Partei ergreift für die gemeinsame Kultur der Menschheit und ihre Zukunft, ist mehr und anderes als eine staatlich vermittelte Ethik auf der Grundlage von Vernunft und demokratischer Verfassung.
Selbst wenn wir mit anderen künftig stärker und erfolgreich dafür eintreten, dass mehr humanistische und durchaus auch atheistische Antworten auf ethische Lebensfragen im neutralen staatlichen Fach Ethik vorkommen, es wäre unsere Lebenskunde kein Ersatz für diesen und keine Alternative zu diesem reformierten Ethikunterricht, sondern eine zumindest ebenso wichtige Ergänzung wie ein (im Sinne des angesprochenen Bündnisses) guter Religionsunterricht ebenfalls.
Eine erfolgreiche Ausdehnung des Unterrichts in Humanistischer Lebenskunde auf die anderen Bundesländer, die wir wollen, in welchen das Wahlpflichtfachmodell gilt, aber die neuere Rechtsprechung eine Gleichbehandlung von Religionen und Weltanschauungen vorsieht, setzt geradezu zwingend eine entsprechende Profilierung unseres Humanismus voraus.
Hier stehen wir als organisierte HumanistInnen in Berlin und im Bund jetzt gerade nach der Volksabstimmung vor ganz beträchtlichen Herausforderungen. Wir werden unsere Konzeption der freiwilligen Humanistischen Lebenskunde gegenüber dem verpflichtenden Ethikunterricht noch deutlicher profilieren müssen – und zugleich den „liebenden Streit“ mit den religiösen Unterrichtsangeboten und ihren Trägern suchen müssen.
Vielleicht wird ja eines Tages ein Teil unseres bisherigen Angebotes im Rahmen eines erweiterten Angebotes von Ethikunterricht weitergeführt. Dann werden wir dazu bereit sein müssen, in der Schule wie in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass unsere Humanistische Lebenskunde“ tatsächlich dazu in der Lage ist, den Pflichtunterricht in dem Fach Ethik so weitgehend und so überzeugend zu ergänzen, dass dafür der Besuch weiterer Unterrichtsstunden lohnt (und staatlicherseits weiterhin zu finanzieren ist, wie das Angebot der Religionsgemeinschaften auch). Eine solche Konzeption haben wir noch nicht, wohl auch, weil Humanistik noch nicht etabliert und Lebenskunde noch zu sehr auf die geistigen Bedürfnisse von Grundschulkindern ausgerichtet ist.
Humanismus und „neuer Atheismus“
Diese erste Auswertung der historischen Entscheidung, die zweifellos mit dem Berliner Volksentscheid gefallen ist, verweist auf die Konsequenz, dass wir als organisierte HumanistInnen unser Selbstverständnis und unser Profil neu und weiter werden schärfen müssen. Gerade auch angesichts der medialen Wellen, die sich um den „neuen Atheismus“ herum schlagen, müssen wir uns darüber klar werden, wer unsere AuseinandersetzungspartnerInnen und wer unsere BündnispartnerInnen sind.
Das werden sicherlich nicht einfach dieselben sein: Die Profilierung unseres Selbstverständnisses werden wir in der Auseinandersetzung mit anderen säkularen Positionen betreiben müssen – unsere Partner in praktischen Bündnissen werden dagegen vorrangig eben diejenigen sein, mit denen wir in Berlin das erfolgreiche Bündnis geschlossen haben – religiöse Menschen mit humanem Engagement.
Diese Situation ist ein wenig kompliziert – aber eigentlich ganz klar zu begreifen und zu vermitteln: Die Diskussion über die Bibel, über die Aussprüche Buddhas oder über den Koran kann zu unserer Selbstverständigung als säkular denkende HumanistInnen wenig bis nichts beitragen; ein Atheismus, der zu humanen Orientierungen unfähig ist oder sich auch nur für antihumane Polarisierungen einspannen lässt, kommt für uns als praktischer Bündnispartner nicht in Betracht.
Bustouren zur Propagierung der Gottlosigkeit mögen ja einfach zu denken sein und manchen Konfessionslosen richtig Spaß machen – aber was dadurch gesellschaftlich bewirkt werden mag, ist angesichts der durchaus existierenden atheistischen Rechtsradikalen durchaus nicht klar. Wir als organisierte HumanistInnen können aber in der gegenwärtigen Gesellschaftskrise eine derartige Spaßguerilla nicht verantworten – denn dadurch werden Bündnisse erschwert, die wir dringend brauchen.
Das reicht vom Berliner Bündnis Pro Ethik über die armutspolitischen Bündnisse und die Arbeitsloseninitiativen, die ohne religiös gläubige AktivistInnen nicht zu machen sind, bis zu den dringend nötigen interkulturellen Bündnissen für eine gleichberechtigte Integration von MigrantInnengruppen, denen wir auch nicht die europäischen säkularen Traditionen zugrunde lagen können.
Und im Hinblick auf diese Traditionen werden wir auch noch gründliche Selbstkritik leisten müssen: Manche säkular Engagierte müssen offenbar daran erinnert werden, dass etwa die Eugenikphantasien vieler säkularer SzientistInnen und PositivistInnenin der jüngeren europäischen Geschichte eine wichtige Grundlage für verbrecherischen Praktiken von Massenmord und -verstümmelung geliefert haben. Aber auch an die Technisierungsphantasien vieler AgrarexpertInnen ist zu erinnern, wie sie – nicht nur im Stalinismus – die Grundlage zu einem faktischen Massenmord an Bäuerinnen und Bauern gebildet haben.
Deswegen haben wir keinen Grund, den Anspruch etwa einiger Vertreter des Christentums zu akzeptieren, nur sie könnten die Menschheit vor „den Totalitarismen“ schützen, die protestantischen und katholischen Parteigänger der Faschismen haben bekanntlich nicht nur in Deutschland christliche Mehrheitsströmungen dargestellt. Aber die säkularen Traditionslinien haben in dieser Hinsicht auch Selbstkritik und Trauerarbeit zu leisten.
Feindbestimmung
Es mag selbstbezogen aussehen, wenn ich in dieser Bilanzierung der Ergebnisse der Berliner Volksabstimmung auf die Angriffe zu sprechen komme, denen der HVD in Berlin seit Ende vorigen Jahres ausgesetzt war. Ich denke aber, in diesen Angriffen kommt etwas zum Ausdruck, was dabei helfen kann, die feindlichen Kräfte genauer ins Auge zu fassen, wie sie sich hier zu formieren begonnen haben.
Der ganzseitige Angriff auf den HVD, den die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 27.12.2008 abdruckte („Das Gespenst des Humanismus“) – was aufgrund der begründeten und kompetenten Gegenwehr des HVD zu einer sensationell umfassenden Richtigstellung geführt hat, unter die die FAS-Redaktion unaufgefordert schrieb: „Der HVD hat recht!“ – stand nicht zufällig im Layout unter einem CDU-Plakat aus der Hochzeit des Kalten Krieges, das die damalige SPD unter dem Slogan angriff; „Alle Wege des Sozialismus führen nach Moskau!“
Auch die anschließenden Angriffe auf den HVD hauten in dieselbe Kerbe – der Vorsitzende des Berliner HVD, Bruno Osuch, sei ein Angehöriger einer kommunistischen Terrorgruppe gewesen (so wiederum die FAZ, gestützt auf ein von der Birthler-Behörde herausgegebenes Stasi-Dossier, in dem er sich aufgelistet findet – nach seiner Aussage ohne jedes Wissen davon) und der Berliner HVD sei überhaupt eine verfassungsfeindliche Organisation (so die Berliner CDU, wofür sie im Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses einhellige und empörte Ablehnung erfuhr).
Ich will hier nicht der Kommission unabhängiger Persönlichkeiten vorgreifen, die im Auftrag des Berliner HVD prüfen wird, ob ein Grund dafür besteht, Bruno Osuch in diesem Zusammenhang irgend etwas vorzuwerfen. Aber die Stoßrichtung und zeitliche Platzierung dieser Angriffe lassen etwas darüber erkennen, worum es denjenigen Kräften geht, die derartige Kampagnen betreiben:
Nachdem Margaret Thatchers Kampfruf „There is no alternative“ – es gibt keine Alternative zum neoliberal entfesselten Kapitalismus – aufgrund der seit 2007 deutlich erkennbar heraufziehenden Finanz- und Wirtschaftskrise seine Überzeugungskraft eingebüßt hat, soll jetzt dadurch die Angst vor jeder linker Kritik der bestehenden Verhältnisse – Bruno Osuch ist ein ganz ordentlicher Sozialdemokrat und die SPD dürfte unter den parteipolitisch engagierten HVD-Mitgliedern sehr deutlich vorne liegen – geschürt werden, dass sie mit dem Stalinismus identifiziert wird.
Von rechten christlichen Kräften der alten Bundesrepublik ist immer schon die historische Tatsache verdrängt worden, dass Christen am deutschen und europäischen Faschismus tätigen Anteil hatten – und sich nicht etwa nur darin hatten verstricken lassen. Diese Kräfte haben den Kalten Krieg historisch mit der in der Realität völlig haltlosen ideologischen Konstruktion unterfüttert, es ginge in ihm um eine Konfrontation zwischen abendländischem Christentum und gottlosem Bolschewismus.
Und offenbar machen sie heute den Versuch, sich auf kommende Auseinandersetzungen um Wege aus der kapitalistischen Krise dadurch vorzubereiten, dass sie alle Formen von politischer Kritik und sogar von praktischer, nicht christlich eingebundener Menschlichkeit auf vergleichbare Weise als „gottlos bolschewistisch“ verteufeln wollen, wie sie dies ihre Vorgänger mit beträchtlichem Erfolg in den 1950er Jahren gegenüber den Sozialdemokraten praktiziert hatten. Dass sie dafür auf alle Mittel der medialen Ablenkung und Irreführung und auf extreme Mittel wie Rufmordkampagnen zurückgreifen, lässt nicht nur erkennen, wie Ernst es ihnen ist – sondern auch wie sehr sie ihre eigenen Positionen inzwischen bedroht sehen.
Diese Angriffe auf den Humanistischen Verband stellen nicht bloß das Angebot einer Schlacht dar, die sich dann immer noch vorsichtig vermeiden ließe. Es ist vielmehr bereits eine deutliche ideologische Kriegserklärung.
Als organisierte HumanistInnen haben wir keine Wahl: Wir werden diesen Kampf führen müssen – achtsam und sorgfältig unterscheidend zwischen diesen IdeologInnen, denen, welche auf sie hereingefallen sind, und denen, die wir heute schon als potenzielle BündnispartnerInnen gewonnen haben. In dem Maße, wie es uns gelingt, unsere eigenen kritischen Positionen und unsere Parteinahme für die Kultur der Menschheit deutlich und überzeugend darzulegen, können wir dabei nur gewinnen.
Hier wird der HVD seine intellektuellen Ressourcen weiter bündeln und aktiv einsetzen müssen, um die Chancen zu nutzen, die sich aus der durch eben diese Angriffe gesteigerte öffentliche Beachtung und der zugleich deutlich gestiegenen Mitgliederidentifikation, für einen profilierten und gesellschaftspolitisch bündnisfähigen organisierten Humanismus ergeben.