Keine Islamisierung der Gesellschaft!

BERLIN. Mit einem Offenen Brief haben in Deutschland lebende Ex-Muslime und Islamkritiker die Bundesregierung aufgefordert,

Islamisierungstendenzen entschieden entgegen zu wirken.

Zwar sei es begrüßenswert, dass die Bundesregierung beginne, endlich zu akzeptieren, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland geworden sei. Die anstehenden Integrationsaufgaben könnten aber nicht gelöst werden, indem man die nach Deutschland eingewanderten bzw. nach Deutschland geflüchteten Menschen konfessionalisiere.

Den islamischen Organisationen in Deutschland werfen die Kritiker vor, weder die Integration noch die Deeskalierung des "religiös gefärbten Kulturkampfes" in Deutschland anzustreben, da gerade diese Konflikte ihnen dazu verhelfen würden, an Ansehen und an Macht unter den Einwanderern zu gewinnen. Statt die islamischen Verbände durch eine weichgespülte Islamkonferenz zu stärken, sei es notwendig, ihnen Grenzen aufzuzeigen und im Sinne der modernen Rechtstaates klare Bedingungen zu stellen.
Die Bundesregierung solle verdeutlichen, dass diese Gesellschaft nicht vor Fundamentalisten zurückweiche. Es sei sehr wohl möglich, einen Wertekatalog anhand der Menschenrechte zu entwickeln, mit dem alle Menschen hierzulande leben können, ohne dabei ihre Religion allzu sehr in den Vordergrund zu stellen. Religiöse Vorschriften – welchen "Gottes" auch immer – dürften nicht neben oder gar über staatliches Recht gestellt werden.

Der hpd dokumentiert nachfolgend den Offenen Brief im Originalwortlaut:

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OFFENER BRIEF AN DIE BUNDESREGIERUNG

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Merkel,
sehr geehrter Herr Bundesinnenminister Schäuble,
sehr geehrte Damen und Herren der Regierungskoalition!

Die von Ihnen initiierte Islamkonferenz sollte der Chancengleichheit aller in Deutschland lebenden Menschen dienen. Es ist begrüßenswert, wenn die Bundesregierung somit beginnt, endlich zu akzeptieren, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland geworden ist.

Fragwürdig ist jedoch der Weg, den Sie bislang eingeschlagen haben. Damit meinen wir die Auswahl Ihrer primär religiösen Gesprächspartner, insbesondere die Vertreter der islamischen Organisationen. Wir sind überzeugt, dass Sie damit nur zur Ethnisierung und Konfessionalisierung beitragen.

Wir bitten Sie zu bedenken:
Viele kritische und „aufgeklärte" Muslime und Nicht-Muslime, aber auch viele islamkritische Einwanderer sind nicht organisiert. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass sie ausgerechnet von islamisch-politisch organisierten Organisationen vertreten werden sollen und somit von der Bundesregierung ignoriert werden.

Die hiesige Einwanderungspolitik atmet immer noch den Ungeist mythischer Blutsgemeinschaftskategorien, statt den politischen Citoyen, den mündigen und selbstbestimmten Staatsbürger zu adressieren und zu fördern. Deshalb werden die Eingewanderten oder nach Deutschland geflüchteten Menschen nach Nationalität und nach Religion sortiert und sogar in der dritten Generation der hier geborenen, immer noch zu Fremden erklärt.

Wir möchten jedoch einfach als Menschen, Bürger dieses Landes angenommen werden. Wir möchten nicht nach der Religion oder nach der jeweiligen Nationalität des Herkunftslandes sortiert werden. Wir möchten nicht Tag für Tag unseren Stammbaum mit uns tragen müssen.

Gemeinsam mit Menschen der Mehrheitsgesellschaft, die an Chancengerechtigkeit interessiert sind, richten wir an Sie den Appell, sich als Gesprächspartner für die Gestaltung unseres Miteinanders nicht vornehmlich religiöse Organisationen auszusuchen, sondern demokratische Verbände und gesellschaftlich engagierte Personen.

Bedenklich erscheint uns Ihr Weg aus folgenden Gründen:

Erstens:
Die meisten unter „islamisch" subsumierten Menschen stammen aus der Türkei. Jahrzehntelang wurde, wenn von Türken die Rede war, mit ihrer Nationalität argumentiert, nicht mit der Religion. Obwohl die Türken aus einem laizistischen Staat kommen, werden sie seit kurzem, auch in den Medien, pauschal als Muslime etikettiert. Die Menschen, die aus der Türkei stammen, aber ihre Identität als „islamisch" definieren, sind allein streng religiöse Islamisten mit politischen Ambitionen. Die Mehrheit versteht sich einfach als Menschen oder etikettiert sich national: türkisch, kurdisch, arabisch usw. Wie es auch ein türkisches Sprichwort treffend auf den Punkt bringt, ist die Religion eine Privatsache: „Gebet und Schuld bleiben verborgen".

Zweitens:
Indem Sie islamische Pseudo-Vertreter an den Konferenztisch holen und primär die Religion zum Thema machen, verschaffen Sie der radikalen religiösen Minderheit unter den Einwanderern eine überproportionale Bedeutung und fördern deren Etablierung qua beabsichtigter staatlicher Alimentierung. Indem Sie ausgerechnet diese islamischen Organisationen mit allen hiesigen Menschen aus islamischen Herkunftsländern insgesamt gleichsetzen, betreiben Sie die staatliche Konfessionalisierung von Moderaten und Nichtgläubigen.

Die Strategie des französischen Innenministers Sarkozy, die fundamentalistischen Muslime als Gesprächspartner zu akzeptieren und als verlängerten Arm der Regierung zu nutzen, hat doch nur diesen radikalen Gruppen genutzt. Dadurch konnten sie sich als

  • eine der Regierung parallele Autorität behaupten,
  • noch mehr Ansehen und Mitglieder unter Einwanderern gewinnen und
  • sich international vernetzt in der französischen Einwandererszene einmischen.

 

Um nichts anderes geht es auch hierzulande.

Hinter den islamischen Verbänden, mit denen Sie in der Islam-Konferenz sitzen, stehen große politische und finanzielle Mächte. Diese Organisationen haben politische Ziele, die mit der Integration nichts zu tun haben. Dies wollen wir mit folgenden Punkten – unter vielen anderen – begründen:

1. Würden der selbsternannte Islamrat und die anderen „islamischen" Organisationen es mit einer angeblichen Orientierung an den Grundwerten der Verfassung ernst meinen, so müssten sie öffentlich bekennen, dass die Menschenrechte für sie in erster Linie bindend sind – und nicht durch eine Interpretation der Verse des Korans relativierbar. Zudem müssten sie solche Verse, die einem friedlichen Zusammenleben entgegenstehen, offen selbstkritisch thematisieren.

2. In einigen Versen des Korans wird die Freundschaft mit Ungläubigen, d.h. den Christen und Juden und Nichtgläubigen verboten. Eine muslimische Frau darf einen Nichtmuslim nur dann heiraten, wenn dieser zuvor zum Islam konvertiert ist. Der Koran ist voller Feindseligkeiten gegen Christen, Juden, Polytheisten und Ungläubige. Wollten diese islamischen Organisationen wirklich die Integration unterstützen, müssten sie solche Verse öffentlich debattieren und sich distanzieren.

3. In einigen Versen des Korans wird empfohlen, wenn es dem Interesse des Islam dient, die Christen und Juden anzulügen. Wir erwarten dazu eine öffentliche Klarstellung des selbsternannten Islamrats.

Die Islamkonferenz wird auf der Grundlage einer paternalistischen Position heraus durchgeführt, denn die meisten Menschen aus muslimischen Ländern werden somit gezwungen, sich religiös zu definieren und zu verorten. Ausgerechnet der weltanschaulich neutral sein sollende Staat würde mit einer Übertragung staatskirchenrechtlicher Privilegien auf islamische Verbände nicht die Integration fördern, sondern die Segregation: Wer aus dem Iran zuwandert, bekommt als Flüchtling des Mullahregimes hier eine islamische Kirchensteuer verpasst, wobei ein Austritt aus der islamischen Gemeinschaft laut Koran nicht möglich ist.

Welche Konsequenzen wird dies haben? Werden Kinder der Einwanderer künftig staatlich finanzierten islamischen Kindergärten, islamischen Konfessionsschulen usw. zugewiesen? Und wird dann dort das Ablegen des Kopftuches als Verstoß gegen die staatlich privilegierten Trägergrundsätze verstanden werden? Soll das Finanzgebaren islamischer Verbände mit dem Körperschaftsstatus weitgehend der öffentlichen Kontrolle entzogen werden?

Es mag sein, dass Sie islamischen Organisationen solche Privilegien nicht einräumen möchten. Aber da derartig problematische Privilegien auf christlicher Seite bereits bestehen, werden sich islamische Organisationen in dieses System leicht hineinklagen können.

Diese islamischen Organisationen wollen weder die Integration noch die Deeskalierung des verbalen „religiös gefärbten künstlichen Kulturkampfes" in Deutschland. Gerade die Konflikte erhöhen ihre Chance, an Ansehen und an Macht unter den Einwanderern zu gewinnen. Tatsächlich besitzen sie noch keine so weit reichende Autorität unter den Zuwanderern.

Statt die islamischen Verbände durch eine weichgespülte Islamkonferenz zu stärken, wäre es dringend notwendig, ihnen Grenzen aufzuzeigen und klare Bedingungen zu stellen.

Nach den Ehrenmorden und den gerichtlichen Auseinandersetzungen um das Kopftuch sollte überlegt werden, welche Verfassungsprinzipien durch religiöses (Un)Recht verletzt werden. Der „Ehrenmord" an Hatun Sürücü und vielen anderen Mädchen und Frauen ist auch ein Ergebnis der Bestärkung grundrechtsfeindlicher Haltungen durch diese politischen islamischen Verbände. Die hiesige Rechtssprechung ist derlei Verbrechen gegenüber von oft erstaunlicher Milde. Sehr gerne werden die politisch-religiösen Zusammenhänge bereits von den Ermittlungsbehörden ignoriert.

Wer die Betreuung von Einwanderinnen und Einwanderern den islamischen Verbänden zuweist, befördert deren Isolation und Entrechtung. Dass derlei der ehemaligen Ausländerbeauftragten der früheren Bundesregierung, Fr. Marie Luise Beck, preiswürdig erschien, zeigt, wie fatal es ist, wenn Menschenrechte einer naiven Religionsprivilegierung untergeordnet werden.

Und Sie laden nun jene Kräfte zu einer Konferenz für Integration, die den Nährboden für islamische Gewalt bilden und am weitesten von der Idee der Integration entfernt sind! Das bedeutet nicht nur ein verfassungsrechtlich bedenkliches Zurückweichen, es ist die direkte Förderung der Desintegration, der Ethnisierung und der religiösen Separierung der Zuwanderer.

Als Vertreter eines modernen Rechtstaats sollten Sie aufzeigen,

  • dass diese Gesellschaft nicht vor Fundamentalisten zurückweicht und ihnen nicht Schritt für Schritt zunehmend mehr Raum im öffentlichen Leben überlässt; und
  • dass es möglich ist, einen Wertekatalog anhand der Menschenrechte zu entwickeln, mit dem alle Menschen leben können, ohne ihre Religion in den Vordergrund zu stellen.

 

Wir sind der Meinung, dass der Staat vor einer Verhandlung mit religiösen Organisationen verlangen sollte, dass diese ein Basispapier gegen Gewalt, für Pluralität und Humanität unterzeichnen. Dieser Grundlagenvertrag sollte international bekannt gemacht werden. Vielleicht könnte ein solches Modell auch international Schule machen.

Wir fordern Sie auf, die Menschenrechte konsequent als Grundlage Ihrer Politik zu beachten. Religiöse Vorschriften - welchen „Gottes" auch immer - dürfen nicht neben oder gar über staatliches Recht gestellt werden. Ansonsten werden Zug um Zug fundamentale Errungenschaften der Moderne verloren gehen und diese Ge-sellschaft in ihrer Entwicklung massiv zurückgeworfen werden.

Samstag, 16. Dezember 2006

UnterzeichnerInnen Liste:

Arzu Toker, Journalistin, Schriftstellerin, Köln
Dr. Reza Hajatpour, Orientalist, Schriftsteller, Bamberg
Mina Ahadi, Islamkritikerin und Vorsitzende des Internationalen Komitees gegen Steinigung und Todesstrafe
Can Mileva Rastovic, Kulturmanagment, Köln
Nasrin Amirsedghi, Publizistin, Mainz
M. Kurt Saygin, Dipl.-Chemieingenieur, Berlin
Necati Mert, Studierter Ökonom und Publizist, herausgebender Redakteur des Quartal-Periodikums DIE BRÜCKE - Forum für antirassistische Politik und Kultur, Saarbrücken
Bülent Yarar, Unternehmer, Mannheim
Hartmut Krauss, Sozialwissenschaftler, Pädagogischer Leiter in der Erwachsenenbildung, Osnabrück
Dr. Michael Schmidt-Salomon, Schriftsteller, Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, Trier