Integration durch Ghettoisierung?

Die Führung übernahm ein jüngerer Muslim, der sich als Ender vorstellte. „Ich begrüße sie in der Türkei.“ Er lächelte verschmitzt über die erstaunten Gesichtsausdrücke der etwa 40 Besucher, unter denen sich bemerkenswert viele Frauen und Kinder befanden. „Wie sie vielleicht nicht wissen gehört dieses Grundstück dem türkischen Staat und ist ein exterritorialer Teil der Türkei.“ Dabei verschwieg er, dass das Gelände dem türkischen Verteidigungsministerium gehört, doch das war dann ein Kennzeichen seiner folgenden Erzählungen, ‚überflüssige’ Details nicht zu erwähnen.

Der wichtigste Platz der Moschee, so fuhr Ender fort, sei das Café. Dort werde Karten gespielt und Fernsehen geschaut, vor allem Fußball. Und, setzte ich stillschweigend dazu, der geräumige Kaufladen, der sieben Tage die Woche geöffnet hat und sich schon seit Bestehen nicht um die deutschen Ladenschlussgesetze kümmert.

 Das große Gebäude sei vor fünf Jahren neu gebaut worden, alle Teile seien aus der Türkei importiert worden. Die Minarette seien nur optische Dekoration, da dort niemand mehr hinaufklettere, aber sie seien wie Leuchttürme, die zum Gebet einladen. Er spricht es mit einer so freundlichen Überzeugtheit, dass dem Besucher nicht in den Sinn kommt, dass Leuchttürme zwar Orientierungen, aber vorrangig Warnzeichen für die Schiffe sind.

Dann geht es hinein in den Gebetsraum und es wird sehr genau kontrolliert, dass niemand beim Ausziehen der Schuhe etwa mit einem Schuh auf den schon vor der Tür beginnenden Teppich tritt. Der Innenraum ist komplett bis in jede Ecke mit einem dicken Teppich ausgelegt. Ender setzt sich neben ein Buchpult in der Mitte des Raumes und alle lagern, setzen, knien sich, so wie es jedem gefällt, in einem offenen Halbkreis vor ihm herum, die kleineren Kinder unternehmen stolpernde Streifzüge, die niemand verhindert.

Ender hat die Qualitäten eines exzellenten Talkmasters, er ist beredt, macht Scherze, lässt Alltagsweisheiten einfließen, auch Derbes, und spricht trotzt aller Lockerheit präzise.

Eine Moschee sei als Gebäude ein „Gemeinschaftsraum“ für alle und habe diverse soziale Zwecke. Es gäbe in einer Moschee nichts „Heiliges“, denn „Moschee“ sei überall, wo sich ein Muslim niederbeuge. Jeder Ort sei dafür geeignet, insofern er sauber sei und man selber saubere Kleidung trage. Die Farben der Moschee seine Naturfarben und sollen in Farbe und Material die Natur widerspiegeln. Bilder seien im Islam zwar nicht verboten, dürfen aber weder verherrlicht noch angebetet werden. Der Zentralleuchter habe 99 Lampen, als Symbol für die 99 Namen und Eigenschaften Allahs und unten sei ein Straußenei befestigt, da es durch seinen Geruch die Spinnen vertreibe. Manche würden aufgrund einer Koranstelle auch meinen, dass es die Gestalt der Erde darstelle. Die Rezitation des Koran in Arabisch sei ein melodischer Balsam für die Seele, die nicht-melodischen Übersetzungen seien für den Verstand. Wenn man ein Kind beruhigen wolle, solle man ihm arabische Koranrezitationen vorspielen. Lächelnde Mütter hat er sofort auf seiner Seite.

 

Seine weiteren Informationen waren aufschlussreich. Indem sich alle Muslime der Welt bei ihrem Gebet Richtung Mekka verbeugen würden, entstünde ein „Weltkreis“, in dessen Zentrum sich die Kaaba in Mekka befinden würde. Und die Gebetszeiten seien ein Rendezvous mit Gott. „Täglich fünf Rendezvous mit Gott!“ Wenn man die Gebetszeit nicht einhalten kann, könne man das auch später tun, aber richtig Beten gäbe „Pluspunkte bei Gott“. Die Schöpfung sei zudem wie ein Gasthaus, in dem Gott der Gastgeber sei und die Menschen die Gäste, die kostenlose Gnadengaben erhalten würden, wie die Luft, die Sonne, die Augen, die Hände, usw.

   

Im Gebet würde ein Muslim deshalb drei Aspekte ausdrücken: Im „Stehen“ seinen Respekt für die Schaffung der Kunstwerke aller Lebewesen, in der „Beugung“ seine Dankbarkeit für die Gnadengaben und in der „Niederwerfung“ seine Begeisterung über die Werke Gottes, aber gleichzeitig symbolisiere sie auch die Schwäche des Menschen, aber auch seine Geborgenheit, da er dann einem Fötus ähnele.

Ender betont die Ähnlichkeiten zum Christentum. Auch der Islam kenne die guten Taten, die Sünden, den freien Willen, die Erde als Jammertal, die Verheißungen des Paradieses, „Gott als Lehrer zeigt mir einen Weg, gehen muss man ihn als Gläubiger aber selber“.

Der Islam anerkenne auch alle jüdischen und christlichen Propheten – von Adam bis Jesus -, deren Abschluss Mohammed sei, so wie der Islam die Vervollkommnung aller Religionen sei, ihre Vollendung. Insofern seien alle Menschen eigentlich Muslime, auch wenn sie das noch nicht wissen würden.

Die Gebetskette der Muslime habe in der Entsprechung der 99 Namen und Eigenschaften Gottes 99 Perlen. Und das Sprechen im Gebet sei sehr wichtig, da man sich danach so fühle, was man spricht. „Wenn ich 99mal ‚Scheiße’ sage, fühle ich mich dann auch wie ‚Scheiße’. Spreche ich aber 99mal ‚erhabener Gott’, dann fühle ich mich erhoben.“

In der anschließenden Befragung antwortet Ender, warum Männer und Frauen getrennt voneinander beten, dass die Menschen beim Gebet so dicht nebeneinander und hintereinander stehen würde, dass sie sich bei der Niederwerfung häufig unwillkürlich berühren würden und, er macht es vor, was für ein Gefühl es denn sei, wenn der Po, den man dann direkt vor der Nase habe, der einer Frau sei? Und dass die Frauen im Islam weniger Rechte hätten als die Männer, wehrt er lächelnd ab. Das Gegenteil sei der Fall, da die Frauen mehr Rechte und weniger Pflichten hätten als die Männer, denn diese müssten die Frau und die Kinder versorgen, während die Frauen zu Hause bleiben könnten. Und das Kopftuch? Das sei ein Zeichen der Emanzipation und würde alle Frauen gleich machen. Als höflicher Gast schweige ich. Iman sei nur ein Vorbeter, jeder könne diese Rolle übernehmen, bei den Frauen auch Frauen und so könnten Frauen auch Mufti (Gelehrte) werden, was zwar selten der Fall aber möglich und real ist.

Islamische Charta

Beim Nachlesen wird deutlich, dass sein Vortrag und die weiteren Ausführungen exakt die meisten Punkte der Islamischen Charta widerspiegelten, die der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZDM) 2002 verabschiedet hatte: 1. Der Islam ist die Religion des Friedens, 2. Wir glauben an den barmherzigen Gott, 3. Der Koran ist die verbale Offenbarung Gottes, 4. Wir glauben an die Propheten des Einen Gottes, 5. Der Mensch muss am Jüngsten Tag Rechenschaft ablegen, 6. Der Muslim und die Muslima haben die gleiche Lebensaufgabe, 7. Die fünf Säulen des Islam, 8. Der Islam ist Glaube, Ethik, soziale Ordnung und Lebensweise zugleich, 9. Dem Islam geht es nicht um Abschaffung von Reichtum, 10. Das Islamische Recht verpflichtet Muslime in der Diaspora, 11. Muslime bejahen die vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige, rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung, 12. Wir zielen nicht auf Herstellung eines klerikalen "Gottesstaates" ab, 13. Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte, 14. Vom jüdisch-christlichislamischen Erbe und der Aufklärung geprägt, 15. Die Herausbildung einer eigenen muslimischen Identität in Europa ist notwendig, 16. Deutschland ist Mittelpunkt unseres Interesses und unserer Aktivität, 17. Abbau von Vorurteilen durch Transparenz, Öffnung und Dialog, 18. Wir sind der gesamten Gesellschaft verpflichtet, 19. Integration unter Bewahrung der islamischen Identität, 20. Eine würdige Lebensweise mitten in der Gesellschaft, 21. Parteipolitisch neutral.

In der anschließenden Diskussion im Hof der Moschee, bei der ich mit zwei zum Islam Konvertierten ins Gespräch komme, sagen sie mir nach kurzer Zeit, dass der Tag der Offenen Moschee nicht für Leute wie mich gedacht sei, die sich schon etwas mit dem Islam und seinen Widersprüchen beschäftigt hätten, sondern für einfachere Gemüter. Das verstehe ich, denn wenn sich jemand, der ein klar sortiertes Weltbild mit Gut und Böse sucht, dem Islam zuwendet, findet er dort genau das, was die katholische Kirche vielleicht noch vor fünfzig Jahren im Angebot hatte, Eindeutigkeit sowie klare Regeln und Vorschriften ohne Widersprüche sowie Leute, die Tatsachen theologisch geschickt glaubwürdig verdrehen können.

Die Bewertung als „Propaganda - Veranstaltung“ halten die beiden aber für unangemessen. Sie meinen, es sei doch verständlich, dass man sich seinen Gästen möglichst von den besten Seiten zeigen wolle und vielleicht auch so, weil man es selber gerne möchte, das man so sei.

Der Anspruch nach Offenheit und Öffnung wirkt allerdings auch angesichts der hermetischen Abriegelung des Geländes mit hohen Gittern und scharfen Metallspitzen nach oben und unten wenig glaubwürdig. Aber hätte das Kulturministerium in Ankara einen weniger militärischen Sicherungsstil als der jetzige Besitzer, das Verteidigungsministerium?