REGENSBURG. (hpd) Der Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Müller, hat sich in Fragen der Kirchensteuer und was damit finanziert wird, derart sachlich grob falsch geäußert, dass es nur als Lüge zu bezeichnen ist. Nachdem die theologischen, religiösen Drohungen anscheinend unglaubwürdig geworden sind, kommen nun die weltlichen Bedrohungen.
Als Lüge wird eine Tatsachenaussage dann bezeichnet, wenn wissentlich die Wahrheit verschwiegen und Falschaussagen geäußert werden, sei es um Nachteile zu vermeiden bzw. Vorteile zu erlangen, sei es, um jemanden zu diskreditieren. So, wie der Regensburger Bischof Müller, der den Autoren Michael Schmidt-Salomon diskreditieren wollte, als er ihn bezichtigte, die Kindestötung zu billigen. Die Klage des Autors, dass der Bischof diese Falschdarstellung zu unterlassen habe, wurde in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht abgelehnt, da keine Wiederholungsgefahr bestände. Das Grundprinzip, es mit den Tatsachen und der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, hat Bischof Müller jedoch beibehalten und wieder gelogen. Es geht um die Kirchensteuer und was damit finanziert wird.
Es ist hinlänglich bekannt, dass die Kirchen in ihren „Informationen zur Kirchensteuer“ die finanzielle Bedeutung der Kirchensteuer sehr eigenartig darstellen, so auch das Bistum Regensburg. Allerdings geht das Bistum recht geschickt vor, indem zur Kirchensteuer geschrieben wird: „Im Bereich Erziehung und Bildung unterstützt die Diözese Regensburg insgesamt: 423 Kindertageseinrichtungen, 63 Kirchliche Schulen mit 19.500 Schülern, 12 Einrichtungen der katholischen Erwachsenenbildung, etc. etc.“ Es werden 14 Einrichtungsarten genannt. Das kleine Zauberwort dabei ist „unterstützt“. Das kann viel oder wenig bedeuten, alles oder kaum etwas, es lässt der Interpretation weiten Raum und wird durch die Aufzählung des „Faktischen“ bedeutungsvoll groß. Ebenso heißt es zu den sozialen Diensten: „Im Bereich soziale Dienste unterstützt die Diözese Regensburg insgesamt: 4 Wohngemeinschaften für Erwachsene in der Behindertenhilfe mit insgesamt 400 Betreuten, 1 Sozialpädiatrisches Zentrum mit über 1.300 Betreuten pro Jahr, 52 Alten- und Pflegeheime, 22 Mahlzeitendienste (Essen auf Rädern), 9 Krankenhäuser bzw. Kliniken, etc.“ Es werden 18 Dienstleistungen genannt, einschließlich des Malteser Hilfsdienst. Wiederum ist das kleine Zauberwort „unterstützt“, was jeder Interpretation weiten Raum lässt.
Tendenziöse Darstellungen
Diese Darstellungen sind zwar tendenziös, werden aber noch so hingenommen, da es sich nur um „Unterstützungen“ handelt. Dann kommt jedoch eine faustdicke Lüge. Diese Aufzählungen der vielen Einrichtungen werden dann zusammengefasst in der Frage: „Wie finanziert die Kirche ihre umfangreichen Leistungen?“ Und mit Bezug auf die Kirchensteuer wird dann geschrieben: „Kirchensteuereinnahmen stehen für die Erfüllung der vielfältigen, in dieser Broschüre beschriebenen Aufgaben an erster Stelle.“ Um das dann auch noch optisch zu verdeutlichen, steht darunter eine Grafik „Haushalt 2009 – Einnahmen“, in der die Kirchensteuern 80,77 % der Einnahmen ausmachen.
Die Übersicht zum „Haushalt 2009 – Einnahmen“ ist jedoch etwas völlig anderes als die vorher aufgezählten Einrichtungen, da sich vermutlich keine dieser Einrichtungen in der Trägerschaft des Bistums befindet. Der Haushalt des Bistums stellt nur das finanziell dar, wofür das Bistum selber als Rechtsträger zuständig ist. Die Caritas ist ein eigener Rechtsträger, die Schulstiftungen sind eigene Rechtsträger, etc. Diese Zusammenstellung ist also schlicht die Unwahrheit.
Und in dieser „Information zur Kirchensteuer“ ist dann auch bereits angedeutet, wozu sich Bischof Müller vergangenes Wochenende noch gesteigert hat. Es heißt dort zu der Frage: „Wofür wird die Kirchensteuer verwendet?“ unter anderen: „Die Kirche erfüllt aus ihrer Sendung und Verantwortung heraus viele Aufgaben zum Wohle des Einzelnen oder der Gesellschaft allgemein. Aufgaben, die der Staat sonst direkt übernehmen müsste und dafür von den Steuerzahlern mindestens die gleichen Abgaben fordern müsste. Dabei ist immer im Blick zu halten, dass die Kirche im Rahmen dieser Ausgaben auch viele Arbeitsplätze sichert. Die Diözese Regenburg beschäftigt nahezu 1.900 Mitarbeiter.“
Der seinerzeitige Generalvikar des Erzbischofs von Köln, Feldhoff, hat vor Jahren bereits genau vorgerechnet, dass von den Mitarbeitern des Erzbistums gerade einmal 19 Prozent aus Kirchenmitteln bezahlt werden. Und da die Kirchensteuern nur rund die Hälfte der Kircheneinnahmen ausmachen sind es im Grunde nur 10 Prozent aus der Kirchensteuer. Auf Regenburg übertragen hieße das, dass nur 190 MitarbeiterInnen des Bistums aus den Kirchensteuereinnahmen finanziert werden. Alle anderen MitarbeiterInnen werden von anderen finanziert, einschließlich seiner Exzellenz des Bischofs selber, der sein Gehalt vom Bayerischen Staat erhält.
Schlichte bischöfliche Lügen
Diesen Faden der Arbeitsplätze hat Bischof Müller jetzt wieder aufgenommen und in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse bei der Frage nach der Kirchensteuer und einer möglichen Austrittswelle aus dem Steuerverband geantwortet: „Das Kirchenvermögen ist immer Mittel zum Zweck und dient der Besoldung der hauptberuflichen Mitarbeiter, dem Unterhalt verschiedenster kirchlicher Einrichtungen oder dem Erhalt kirchlicher Gebäude. Es dient den mehr als 400 Kindergärten, den über 60 Schulen, den 9 Krankenhäusern, den 66 Sozialstationen und den Dutzenden Beratungs- und Betreuungsstellen und vielem mehr im Bistum Regensburg (..).
Um es noch einmal zu sagen: Das stimmt so nicht. In Krankenhäuser und Sozialstationen fließt kein Cent aus der Kirchensteuer, die Kindergärten werden von den Kirchen nur marginal bezuschusst, die Schulen ebenso. Von allen Aufwendungen für Caritas und Diakonischem Werk (2005 rund 45 Mrd. Euro) werden nur rund 800 Mio. Euro von der Kirche beigesteuert, das sind exakt 1,8 Prozent der Kosten von Caritas und Diakonie, aus der Kirchensteuer davon die Hälfte, also nur ein Prozent. Aus der Sicht der kirchlichen Haushalte werden rund 8 Prozent für die sozialen Dienste aufgewendet, und unter der Maßgabe, dass nur die Hälfte der Einnahmen aus den Kirchensteuern stammen, sind es 4 Prozent der Kirchensteuer, die in die Finanzierung von sozialen Dienstleistungen fließt.
Zeichnung: Janosch Ganz einmal davon abgesehen, dass die Mehrzahl der Mitarbeiter bei Caritas und Diakonie Mitglied der Kirchen sind bzw. sein müssen und deren Kirchensteuern den größten Teil dessen darstellen, was die Kirchen aus der Kirchensteuer dort finanzieren. Insofern ist es für die Kirchen beinahe ein finanzieller Selbstläufer.
In Deutschland werden rund 900.000 Menschen bei den beiden konfessionellen Wohlfahrtsverbänden beschäftigt und rund 280.000 bei den Kirchen selber. Das heißt mit Bezug auf die Finanzierung, dass nur 1 Prozent der Mitarbeiter bei Diakonie und Caritas aus Kirchensteuermitteln finanziert wird, also 9.000 MitarbeiterInnen, und in den Kirchendiensten sind es rund 10 Prozent, also 28.000 MitarbeiterInnen. Würden also die Kirchensteuer dafür ausfallen und es keinerlei Möglichkeit der Kompensation geben, würden ca. 37.000 Arbeitsplätze wegfallen. Eine nicht unerhebliche Zahl. Was sagt aber Bischof Müller im Interview dazu, auf Alternativen angesprochen?
„Hunderttausende Arbeitsplätze bedroht“
„Ich sehe auch nicht ein, warum wir unser bewährtes System aufgeben sollten, das ohnehin ganz andere Möglichkeiten für das Wirken der Kirche in Deutschland und für die Hilfe in anderen, gerade den armen Ländern eröffnet. Bisher hat noch niemand zeigen können, wie er die unweigerliche Schließung von kirchlichen Einrichtungen und Hilfeleistungen, den Verlust von Hunderttausenden Arbeitsplätzen und den Schaden für die Gesamtgesellschaft verantworten könnte. Allenfalls kann man staatlicherseits darüber nachdenken, dass diejenigen, die sich der Kirchensteuer entziehen, um privat mehr Geld zu haben, eine Ersatzsteuer entrichten müssten. Denn die Kirchensteuerzahler sind doppelt belastet; von ihrem Geld profitiert die Gesamtgesellschaft, der Wirtschaftskreislauf und der Arbeitsmarkt und keineswegs nur die kirchliche Gemeinschaft.“
Die Darstellung, dass Hunderttausende von Arbeitsplätzen gefährdet seien, das wären aufgrund des Plurals mindestens 200.000 bis 300.000 Arbeitsplätze, wenn nicht sogar mehr, ist eine so grobe Lüge, dass sich die Balken biegen.
„Wir haben kein Interesse“
Diese Aussage ist ein starker Tobak, da sie sachlich so sehr an der Realität vorbei geht, dass ich bei der Pressestelle des Bischöflichen Ordinariats anrufe und den stellv. Pressesprecher frage, ob der Text des Interviews so vollständig und korrekt sei. Das bestätigt er. Auf meine Frage, welche Belege oder Informationen er mir zu der Aussage seines Bischofs geben könne, dass „Hunderttausende von Arbeitsplätzen bedroht" seien, kommt die Rückfrage, was ich damit meine. Ich erläutere ihm kurz, dass rund 98 Prozent der Arbeitsplätze des Caritasverbandes ja nicht von der Kirche finanziert werden, deshalb könne die Zahl der gefährdeten Arbeitsplätze gar nicht so hoch seien, unterbricht mich der Pressesprecher: „Wir können das Gespräch hier gleich abbrechen. Wir haben kein Interesse daran, mit dem Humanistischen Pressedienst zu sprechen.“ Damit ist das Gespräch beendet.
Bischof Müller ist ein intelligenter Mann, der innerhalb der katholischen Kirche Karriere gemacht hat. Vor seiner Berufung zum Bischof war er u.a. Professor für Dogmatik in München und steht dem Papst sehr nahe. Er wurde von Papst Benedikt XVI. persönlich mit der Herausgabe der 16 bändigen „Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers" (JRGS) beauftragt.
„Caritas-Legende“
Die Kirche weiß zur Genüge, dass ihnen die Gläubigen weglaufen und die Zahl der kirchlichen Trauungen und der Gottesdienstteilnehmer am Sonntag sich seit Jahrzehnten im beständigen Absinken befindet. Viele der kritisch gewordenen und zur Kirche distanzierten Menschen antworten auf die Frage, warum sie nicht aus der Kirche austreten, „weil die Kirchen soviel Gutes tun.“ Diese „Gute“ ist, was die Finanzierung anbelangt, weiter oben bereits als marginal beschrieben worden. Die Kirche tut aber gut daran, diese Legende aufrecht zu erhalten, was genau Bischof Müller auch tut, verknüpft jetzt aber, als Neuigkeit, mit dem drohenden Arbeitsplatzverlust – eine der größten Ängste, die viele Menschen in Deutschland haben.
In einer nationalen Umfrage sind vor wenigen Jahren Kirchenmitglieder gefragt worden, ob sie aus der Kirche austreten würden, wenn die Kirchen nur wenig oder fast gar nichts aus der Kirchensteuer für soziale Ausgaben verwenden würde – was ja der Realität entspricht. Knapp die Hälfte aller Befragten sagten dazu, dass sie dann aus der Kirche austreten würden. Und je jünger die Befragten, desto größer ist dann der Anteil derjenigen, die aus der Kirche austreten würden. Wenn sie es denn wissen würden.
Insofern wird Müllers Lügerei verständlich, die Kirchenmitglieder nicht mehr mit dem Fegefeuer oder dem Höllenfeuer zu bedrohen, an die sowieso kaum noch jemand glaubt, sondern mit einem drohenden sozialen Absturz in die Arbeitslosigkeit.
Zeichnung: Janosch Wechsel des Bedrohungs-Szenarios
Der Hintergrund für die ganze Situation ist die „fiskalische Gefangenschaft“ der Kirchen in Deutschland. Die Frage der Religionszugehörigkeit ist in Deutschland ist stets eine besonders delikate Frage, da mit der Mitgliedschaft in einer Kirche, die den Statuts einer Körperschaft des öffentlichen Rechts hat, auch die Kirchensteuerpflicht verbunden ist. Die deutsche Besonderheit ist der staatlichen Einzug dieser Kirchensteuer, was den beiden großen Amtskirchen im vergangenen Jahr rund 19 Milliarden Euro Einnahmen aus dieser Kirchensteuer gebracht hat. Es geht also um Geld, um viel Geld.
Wann und wie man Mitglied einer Religionsgemeinschaft wird, das ist eine Frage, die eine jeweilige Glaubensgemeinschaft selbst zu klären und zu entscheiden hat und damit hat der Staat eigentlich nichts zu tun. Es ist eine innerreligiöse Angelegenheit, die nach deutschen Verfassungsgrundsätzen eine innere Angelegenheit der Kirchen ist und damit unter ihr Selbstbestimmungsrecht fällt. Ob man aus einer Glaubensgemeinschaft austreten kann und welche Konsequenzen das hat, ist insofern für den Staat ohne Belang. Es sei denn, das damit eine staatliche Sphäre berührt wird, wie es mit dem staatlichen Einzug der Kirchensteuer der Fall ist.
Fiskalische Gefangenschaft
Nach den theologischen Bestimmungen der christlichen Kirchen wird man mit der Taufe Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Diese Taufe gilt als ewiges „Prägemal“, das heißt, ob man will oder ist, einmal getauft ist man sein Leben lang Mitglied der Glaubensgemeinschaft, die man nicht verlassen kann. Nach den deutschen Kirchensteuergesetzen wird man mit der Taufe ebenfalls Mitglied in einem Steuerverband und unterliegt mit der Kirchensteuerpflicht auch dem staatlichen Kirchensteuereinzug. In dieser gemischten Situation muss es der glaubensneutrale Staat seinen Bürgern als Religionsfreiheit gestatten, aus dem staatlichen Anteil, der mit der Kirchensteuerpflicht verbunden ist, nach eigenem Gusto austreten zu können. Insofern ist der Begriff des „Kirchenaustritts“ und eine staatliche „Kirchenaustrittstelle“ schlicht falsch und grob irreführend. Das einzige, was der Staat bestätigen kann, ist die Beendigung der Mitgliedschaft in einer Steuergemeinschaft und damit die Beendigung des Abzugs der Kirchensteuer von der staatlichen Einkommenssteuer.
Insofern fällt es auf, dass die Kirchen sich bisher nicht an diesen falschen Begriffen gestört haben und den Widerspruch gelebt haben, dass man zwar einerseits nicht aus der Glaubensgemeinschaft austreten könne, aber andererseits im Falle des Austritts aus der Steuergemeinschaft mit der härtesten Kirchenstrafe, der Exkommunikation und dem Ausschluss von den Sakramenten, belegt wurde. Das ist für einen gläubigen Christen eine massive Bedrohung.
Die anstehende Frage ist, ob man mit dem Austritt aus dem staatlichen Kirchensteuereinzug, den man vor staatlichen Stellen bekundet, auch automatisch seine Mitgliedschaft in der Glaubensgemeinschaft beendet, was man eigentlich nur einem Priester gegenüber bekunden könnte.
Drohung des Wegfalls der Sakramente wäre nichtig
Der Kläger in Freiburg, Zapp, ist emeritierter Professor für katholisches Kirchenrecht. Er weiß also genau, worum es geht. Er hat in erster Instanz Recht bekommen, dass er seine Mitgliedschaft in dem Steuerverband beenden kann und dennoch weiterhin Mitglied der katholischen Kirche ist. Das ist die Auffassung, die auch der Papst als oberster Rechtssetzer der katholischen Kirche vertritt. Die Bischöfe in Deutschland haben sich aber bisher dieser Auffassung verweigert. Das mag ja für Länder, in denen es keinen staatlichen Kirchensteuereinzug gibt, egal sein, aber in Deutschland würde man „an der bewährten Praxis festhalten“. Mit anderen Worten, wer sich nicht dem staatlicher Einzugszwang unterwirft, der darf dann auch keine Sakramente mehr empfangen. „Ohne Moos nix los.“
Diese Entscheidung einer ersten Instanz hat offensichtlich große Unruhe unter katholischen Funktions- und Meinungsträgern ausgelöst. Die Reaktionen gingen soweit, dass vom einem „Ende der Kirchensteuer“ gesprochen wird. Mit anderen Worten, wenn die Leute keinen Ausschluss von den Sakramenten mehr befürchten müssen, treten sehr viele aus der Kirche aus. Der Zug durch die juristischen Instanzen hat erst begonnen, warum also diese Aufregung und die Droh-Szenarios? Es geht nicht ums „Seelenheil“, es geht ums Geld.
Carsten Frerk