(hpd) Die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer legt eine Sammlung von früheren Aufsätzen zu den Themen Demokratie, Säkularität, Staat und Toleranz in der islamischen Welt vor. Die nüchtern und sachlich geschriebenen Texte enthalten neben den relevanten Basisinformationen auch kritische Einschätzungen, die bei aller konstatierten Vielfalt des Islam die eingeschränkte Freiheit in den von ihm dominierten Gesellschaften aufzeigen.
Der Aufstand gegen die Diktaturen in der arabischen Welt haben der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte um das Verhältnis von Demokratie und Islam eine andere Perspektive gegeben. Bislang verwiesen nicht wenige Kommentatoren darauf, dass eine gewisse Rückständigkeit der dortigen Gesellschaften auch und gerade bezüglich einer fehlenden Demokratisierung mit dem Glauben der Muslime zusammenhänge. Die Protestbewegung, die sich aber gerade nicht islamisch oder islamistisch gibt, scheint diese Auffassung zumindest hinsichtlich ihrer Pauschalität zu widerlegen. Angesichts der aktuellen wie grundsätzlichen Bedeutung dieser Thematik greift man interessiert zu dem Buch „Demokratie im Islam. Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt“, das die renommierte Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer veröffentlichte. Entgegen des Klappentextes handelt es sich aber nicht um eine Arbeit zur aktuellen Situation, sondern um einen Nachdruck von acht älteren Aufsätzen aus den Jahren 2003 bis 2009.
Zunächst liefert die Autorin eine kurze Einführung in den Islam, wobei der „Reiz der Pluralität“ (S. 33) an Deutungsmöglichkeiten der Religion hervorgehoben wird. Dem folgen Betrachtungen zu den theoretischen Auffassungen von einem „islamischen Staat“, einem Gegenmodell zu den säkularen westlichen Gesellschaftskonzepten mit unterschiedlichen Auffassungen von „der allumfassenden Natur des Islam“ (S. 43). Die Debatte um islamische Grundwerte steht danach im Zentrum des Interesses, wobei die Autorin auch auf die eingeschränkten Möglichkeiten der öffentlichen Debatte verweist: „In weiten Teilen der islamischen Welt ist es heute nahezu unmöglich, über den Status des Koran als Wort Gottes öffentlich nachzudenken“ (S. 65). Nicht nur deswegen steht man dem Prinzip der Säkularisierung in der islamischen Welt, worum es danach geht, mit großen Vorbehalten gegenüber: „Öffentliche Kritik an religiösen Grundlagen ist strikt verpönt“ (S. 100), das Recht auf nichtmuslimische Mission und uneingeschränkten Religionswechsel kaum existent.
Besondere Aufmerksamkeit erhalten danach Demokratie und Menschenrechte in der islamischen Welt, wozu Krämer bemerkt: „Das Mehrheitsprinzip hat im Islam keine Tradition; es wird von vielen zeitgenössischen Theoretikern aber befürwortet, solange die Mehrheit keine ‚islamwidrigen’ Entscheidungen fällt – und was islamwidrig ist, bleibt natürlich zu klären“ (S. 121). Bezüglich der historischen Bilanz der religiösen Toleranz sieht die Autorin die islamische gegenüber der westlichen Welt im Vorurteil, sei die „duldende Toleranz“ (S. 144) doch ebendort lange Jahrhunderte stärker ausgeprägt gewesen. Wie es demgegenüber um den Antisemitismus in der arabischen Welt steht, behandelt sie danach mit Verweisen auf seinen Import aus den Feindbildern des christlichen Europas und deren inhaltliche Verknüpfung mit dem Nahost-Konflikt. Und schließlich werden die Reformkräfte mit ihren Positionen zu Frauenbild, Gesellschaftsordnung oder Moral gewürdigt, welche sich aber weiterhin auf „intellektuelle Kreise“ (S. 192) konzentrierten.
Mit diesen Inhalten hat der Band nichts mit den im Klappentext erwähnten „Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern“ zu tun, zumal die einzelnen Beiträge bereits mehrere Jahre vor deren Aufkommen entstanden. Gleichwohl lohnt sich die Lektüre aufgrund der grundlegenden Informationen zu einzelnen Besonderheiten der arabischen Welt. Krämer schreibt ebenso interessant wie nüchtern und sachkundig. Dabei bettet sie die einzelnen Ausführungen auch in den gesellschaftlich-historischen Kontext ein, etwa wenn die Angst vor Säkularisierung beschreiend mit befürchteten Fernwirkungen des Westens verknüpft wird. Immer wieder weist die Autorin auch darauf hin, dass es den Islam nicht gibt und unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten bestehen. Gleichzeitig verschweigt sie aber nicht die Grenzen von Grundrechten und Moralvorstellung mit Bezügen auf die Religion. Bei all dem schreibt Krämer als Islamwissenschaftlerin, die Sicht auf Demokratie durch die Politikwissenschaften kommt dabei leider kaum vor.
Armin Pfahl-Traughber
Gudrun Krämer, Demokratie im Islam. Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt, München 2011 (C. H. Beck-Verlag), 220 S., 14,95 €