Können wir gut sein ohne Gott? Diese uralte Frage stellen Gläubige gerne
, weil ihnen, wie ich vermute, ihre Antwort darauf sehr gut gefällt.
von Dan Gardner
Nein, sagen sie, wir können nicht gut sein, ohne an einen unsichtbaren Geist zu glauben, der, wie der Weihnachtsmann, weiß, wann wir gut oder böse waren. Kein unsichtbarer Geist, keine Belohnung oder Strafe. Keine Belohnung oder Strafe und moralische Regeln werden zu leeren Worten. Atheisten müssen also unausweichlich schlussfolgern, dass Moral etwas für Trottel ist - also sind Gläubige, ipso facto, bessere Menschen als Ungläubige.
Es gab einmal eine Zeit, als nicht mehr zu dem Thema zu sagen war. So gut wie jeder glaubte in einen Gott oder an Götter und die wenigen, die das nicht taten, hielten ihre Münder, damit andere Menschen nicht auf die Idee kamen, sie für die Art lügende, raubende, mörderisch verdorbene Leute zu halten, zu denen man zwangsweise wird, wenn man aufhört, vor unsichtbaren Geistern zu knien.
Leider - so würden das manche ausdrücken - hat der Glaube über die Jahrhunderte abgenommen. Heute hat sich eine beträchtliche Zahl von Menschen dazu entschlossen, dass sie nicht an den Weihnachtsmann glauben wird, bis es einen Beweis für seine Existenz gibt. Das Selbe gilt für Gott. Und sie sprechen ihren Unglauben offen aus.
Das hat die Sache enorm verkompliziert, weil nun jeder ein paar Atheisten kennt, die keine lügenden, raubenden, mordenden Schufte sind. Sie arbeiten. Sie zahlen Steuern. Sie haben Kinder und schlagen sie nicht oder verkaufen sie nicht für medizinische Experimente. Wie kann das sein?
Eine Antwort bietet die gottlose Wissenschaft der evolutionären Psychologie. „Menschen haben Bauchgefühle, die ihnen empathische moralische Überzeugungen verleihen", schreibt der Neuropsychologe Steven Pinker aus Harvard, „und sie bemühen sich, ihre Überzeugungen im Nachhinein zu begründen." Diese „Bauchgefühle" sind nicht Ergebnis dessen, was man uns in der Sonntagsschule beibrachte. „Sie entstehen aus der neurobiologischen und evolutionären Gestaltung der Funktionseinheiten, die wir moralische Emotionen nennen."
Was unseren Körper betrifft sind Menschen ziemlich erbärmlich. Wir sind schwach und langsam und unsere Klauen würden keinen Waschbär erschrecken. Wir haben allerdings wirklich große Gehirne und unsere Vorfahren konnten überleben, indem sie zusammen gearbeitet haben. Zusammenarbeit erforderte von den Menschen jedoch, bestimmten Regeln zu folgen, selbst, wenn das ihren Kurzzeitinteressen widersprach.
Sagen wir, Sie sind scharf auf die Höhle Ihres Nachbarn. Sie könnten ihm einfach den Schädel einschlagen und dort einziehen. Sie brauchen aber die Hilfe Ihres Nachbarn bei der Mammutjagd. Außerdem, sollten Sie ihm den Schäden einschlagen und ihm die Höhle klauen, dann könnte jemand anderes auf die selbe Idee kommen. Auf lange Sicht sind Sie und Ihr Nachbar also besser dran, wenn sich alle darauf einigen, dass es falsch ist, seinem Nachbarn den Schädel einzuschlagen.
Menschen, die lernten, sich zusammen zu reißen, waren erfolgreich. Diejenigen, die das nicht taten, verschwanden. Im Laufe der Zeit wurden die verinnerlichten Regeln, die wir Moral nennen, fest verdrahteter Instinkt.
Dieser Instinkt bleibt unabhängig davon, was wir über unsichtbare Geister denken. Und seine Macht verringert sich nicht, indem man seine biologischen Wurzeln anerkennt. Wir können uns genau so wenig dazu entscheiden, unsere moralischen Impulse abzustellen, wie wir uns dazu entscheiden können, kein sexuelles Verlangen mehr zu verspüren.
Es ist also keine Überraschung zu erfahren, dass Atheisten wunderbar anständige Leute sein können. Sie sind schließlich Menschen.
Das führte Gläubige zu einem subtileren Angriff. „Menschen, die nicht an Gott glauben, können gut sein", schreibt Reginald Bibby, ein Theist und Soziologe an der Universität von Lethbridge. „Aber Menschen, die an Gott glauben, schätzen öfter das Gutsein und sind also mit höherer Wahrscheinlichkeit gut."
Herr Bibbys Beleg ist eine weit verbreitete Studie von ihm, bei der höhere Anteile von Gläubigen als Ungläubigen Werte wie Freundlichkeit, Vergebung und Geduld als „sehr wichtig" einschätzten.
„Wir werden vielleicht einen entsprechenden gesellschaftlichen Preis dafür bezahlen", schlussfolgert Bibby, „je nachdem, wie viele Kanadier Gott Lebewohl sagen." Ein gelegentlicher Atheist mag also ein netter Kerl sein, aber im Allgemeinen sind sie nicht so nett wie Theisten und falls ihre Zahl steigt, dann fährt die Gesellschaft in null Komma nichts zur Hölle.
Eines der vielen Probleme mit Bibby's These besteht darin, dass seine Erhebung nach Qualitäten fragt, die Religionen normalerweise als Dogmen präsentieren. Freundlichkeit ist gut. Punkt. Keine Diskussion. So ist es einfach. Das Selbe gilt für Vergebung und all die anderen.
Es ist also keine Überraschung, dass Gläubige einfach sagen würden, ja, die sind sehr wichtig. Das sagt ihr Dogma. Ein/e Atheist/in dagegen wird an Moral mit geringerer Wahrscheinlichkeit dogmatisch herangehen. Sie könnte zum Beispiel Freundlichkeit als gut empfinden, jedoch auch Umstände miteinbeziehen, bei denen eine solche nicht angemessen ist. Das könnte sich darin widerspiegeln, dass sie Freundlichkeit nur als „wichtig" statt „sehr wichtig" einstuft. Das macht sie nicht zu einer weniger moralischen Person. Das bedeutet vielmehr, dass sie öfter nachdenkt.
Schlimmer: Bibby nimmt einfach an, es gäbe eine Verbindung zwischen dem, was Menschen in einer bestimmten Lage darüber sagen, was sie fühlen und dem, wie sie sich verhalten - eine Annahme, die durch Berge akademischer Forschung Lügen gestraft wird, von gutem alten gesundem Menschenverstand mal ganz abgesehen. Fernsehprediger würden eine umwerfende Punktzahl in Bibbys Umfrage erreichen. Macht sie das zu Vorzeigemodellen für moralisches Verhalten? Jeder, der das glaubt, ist eingeladen, der „Kirche der Skeptiker der Letzten Tage" mit Hilfe untenstehender Mailadresse eine Spende zu überweisen.
Um dieses Problem zu umgehen, müssen wir uns ansehen, wie sich Menschen verhalten. Tatsächlich entdeckt man den geringsten Grad religiösen Glaubens und wöchentlichen Gottesdienstbesuchs auf der ganzen Welt -- wahrscheinlich den geringsten der Geschichte - in nordeuropäischen Ländern. Diesen Gesellschaften mangelt es nicht an grundlegenden moralischen Qualitäten. Vielmehr sind sie die tolerantesten, friedlichsten, barmherzigsten und gesittetsten Gesellschaften, die jemals existierten.
Sollte so das Schicksal von Ländern aussehen, die Gott Lebewohl sagen, dann wird der Tag, an dem wir diesem Schwindler den Rücken kehren, ein guter Tag sein.
Übersetzung: Andreas Müller
Original: 17. Oktober 2007, Ottawa Citizen
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