Wie sich die Popmusik christlicher Phrasen bedient

"Hallelujah" verkauft sich gut

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Im Musikgeschäft gibt es wenige Dinge, die sich so gut vermarkten lassen wie eine Prise Gott. Wenn Popmusiker mit christlicher Symbolik hantieren, geht es selten um spirituelle Erleuchtung – es geht vielmehr um Verkaufszahlen, Pathos und die wohlige Illusion von Tiefgang.

Man nehme ein paar biblische Metaphern, streue sie über einen beliebigen Popsong, und schon hat man ein Werk, das bedeutungsvoll aufgeladen klingt. Das bekannteste Beispiel ist wohl Leonard Cohens "Hallelujah", ein Song, der in unzähligen Versionen interpretiert wurde – meist von Künstlern, die nicht einmal ansatzweise verstehen, dass Cohens Text voller Ironie und sexueller Anspielungen steckt. Nein, stattdessen wird er in Talent-Shows und bei Beerdigungen mit tränenerstickter Stimme geschmettert, als wäre es eine fromme Kirchenhymne. Hauptsache, es klingt erhebend.

Jesus als Marketingstrategie

Nicht zu vergessen: Kanye West, der mit "Jesus Walks" nicht nur die Kirche in die Rap-Szene schleppte, sondern gleich Gott persönlich zu seinem PR-Manager ernannte. Später legte er mit seinem Gospel-Album "Jesus Is King" nach, ein Werk, das sich irgendwo zwischen spirituellem Erweckungserlebnis ("Follow God") und kalkuliertem Image-Wandel bewegt. Wer sich als religiöser Messias inszeniert, kann sich auch so manche Sünde – musikalisch oder moralisch – vergeben lassen.

Die Popmusik ist voll von religiösen Erweckungserlebnissen. Cat Stevens größter Hit "Morning has broken" basiert auf einem schottischen Kirchenlied: "Praise with elation, praise every morning. Gods recreation of the new day”. Als Yusuf Islam wusste er dann endgültig: "God is the light”. Genesis wiederum forderten in der Phil-Collins-Ära ihre Konzertbesucher unverblümt auf: "Get on your knees and start prayin'. 'Cause Jesus. He knows me and He knows I'm right. I've been talkin' to Jesus all my life.”

Und was wäre Popmusik ohne die obligatorische Erwähnung von Engeln? Robbie Williams’ "Angels" ließ Millionen von Menschen denken, dass er tatsächlich an Schutzengel glaube. In Wahrheit dürfte er sich einfach überlegt haben, dass "My dead grandma watches over me" nicht ganz so gut klingt wie "I’m loving angels instead".

Himmel und Hölle – die ewigen Motive

Der Himmel wird besonders gerne bemüht, um Erfahrungen eine überirdische Komponente zu geben. Led Zeppelins "Stairway to Heaven" mag zwar ein "göttliches" Meisterwerk sein, aber es fehlen inhaltlich die religiösen Bezüge ebenso wie in Bob Dylans "Knockin' on Heavens Door", das ursprünglich als Soundtrack für den Western "Pat Garrett & Billy the Kid" geschrieben wurde.

Ein Paradebeispiel für religiösen Kitsch ist hingegen "Hymn" von Barclay James Harvest. Ein Lied wie ein Glaubensbekenntnis, das sich anhört, als könne es problemlos nach der Lesung einer katholischen Trauung gespielt werden. "Jesus came down from Heaven to show the world how to be free" – klingt tiefgründig, bleibt aber so beliebig wie ein Glückskeks. Dass das Ganze eher als sanftes Drogen-Gleichnis gedacht war, hat das Publikum nie groß hinterfragt.

Klar und eindeutig ist dagegen John Lennon, der uns in "Imagine" nicht nur auffordert, sich eine Welt ohne Himmel und Hölle vorzustellen, sondern noch einen Schritt weitergeht: "And no religion, too." Danke, John.

Nach seiner Trennung von den Beatles wurde Lennon noch deutlicher: Der Song "God" beginnt mit der Zeile "God is a concept by which we measure our pain" und erklärt dann, dass er weder an Magie, I-Ging, die Bibel, Tarot, Hitler, Jesus, Kennedy, Buddha noch an die Beatles glaubt. Lennons Fazit?

"I just believe in me, Yoko and me, and that's reality."

U2: Zwischen Glauben und Stadion-Show

Wenn es um Religion im Pop geht, kommt man an U2 nicht vorbei. Bono hat die Bibel quasi in seinen Notizblock integriert; Songs wie "I Still Haven’t Found What I’m Looking For" oder "Yahweh" weisen mehr religiöse Anspielungen auf als eine Ostermesse. Doch im Gegensatz zu vielen anderen ist Bono tatsächlich gläubig – was seine pathetischen Predigten während Konzerten aber auch nicht weniger anstrengend macht. Wo andere Stars religiöse Symbolik für Verkaufszahlen missbrauchen, inszeniert sich U2 als weltverbessernde Apostel des Rock. Wenigstens konsequent. U2-Konzerte enden meist mit dem Song "40", der sich auf Psalm 40 der Bibel bezieht und mit den Worten "I waited patiently for the Lord" beginnt. Während die Bandmitglieder nacheinander die Bühne verlassen, singt das Publikum den Refrain "How long to sing this song?" weiter, ekstatisch verzückt im gemeinsamen Zitieren biblischer Verse, damit der vermeintlich göttliche Funke überspringt.

Xavier Naidoo und das Jesus-Komplex-Syndrom

Natürlich schwimmt auch die deutsche Musikszene erfolgreich auf dem Gottestrip. Allen voran Xavier Naidoo, der über Jahre hinweg mit christlich aufgeladenen Botschaften jonglierte. Lieder wie "Dieser Weg" oder "Sie sieht mich nicht" wirken wie die Vertonung einer Predigt – inklusive leiser Märtyrer-Inszenierung. Später entdeckte Naidoo dann nicht nur seinen persönlichen Messias, sondern auch fragwürdige Verschwörungstheorien. Der religiöse Eifer blieb, aber die Texte wurden zunehmend diffuser. Wo früher "Gott ist groß" stand, war plötzlich von dunklen Mächten die Rede. Vielleicht zeigt Naidoos Karriere am besten, wie schnell der Weg vom spirituellen Pathos zur missionarischen Verblendung führen kann.

Und alle, die Marius Müller-Westernhagen für unverdächtig halten, sollten sich mal anhören, wenn er leidenschaftlich röhrt "Jesus, schenk' mir Dein Leben. Ich geb' Dir meines dafür. Jesus, ich werd' nie aufgeben, bis an die Himmelstür." Selbst Die Toten Hosen lassen sich nicht lumpen und fragen in "Beten", was es mit Erlösung auf sich hat und ob man "die Bibel je selbst gelesen" habe. Und "Alles passiert" beinhaltet quasi eine neutestamentarische Botschaft.

Sakrales Vokabular für profane Inhalte

Natürlich könnte man argumentieren, dass Künstler biblische Referenzen als kulturelles Erbe nutzen, um universelle Emotionen auszudrücken. Aber seien wir ehrlich: Meistens wird mit Religion nur gespielt, weil es dramatisch klingt. Wenn Beyoncé in "Halo" davon singt, dass ihr Geliebter wie ein Heiligenschein über ihr schwebt, geht es eher um romantische Erleuchtung als um göttliche Offenbarung. Und Madonna? Sie hat sich mit "Like a Prayer" einmal quer durchs katholische Bilderbuch gearbeitet, inklusive Kirchenchor und brennenden Kreuzen – Provokation als Geschäftsmodell.

Selbst im Metal und Hardrock, wo man erwartet, dass Satan eine tragende Rolle spielt, funktioniert christliche Symbolik hervorragend. Metallica flehten in "Creeping Death" aus der Perspektive des biblischen Todesengels um Erlösung, während Ozzy Osbourne in "God Only Knows" einen psychotischen Messias imaginiert. AC/DC rasten mit "Highway to Hell" auf direktem Weg ins Fegefeuer, während in "Hells Bells" der Satan höchstpersönlich Einzug hält. Black Sabbath schließlich besingen in "Heaven and Hell" das ewige Schwanken zwischen Sünde und Erlösung. Hauptsache, es klingt dramatisch.

Geschickt nutzt die Popmusik die emotionale Wucht der religiösen Sprache. Worte wie "Erlösung", "Sünde", "Hoffnung" oder "Opfer" laden das besungene Schicksal mit Transzendenz auf, verweisen sie doch auf eine jahrtausendlange Bedeutungsgeschichte. Mit leeren Versatzstücken soll dem poetischen Fast Food eine tiefere Bedeutung verliehen werden. Am Ende geht es also meist nicht um den Glauben, sondern um eine kitschige Erhabenheit, die sich gut verkauft. Popstars sind keine Theologen, und das Publikum ist kein Kirchenchor – aber wenn der richtige Song erklingt, heben trotzdem alle die Arme und singen mit. Hallelujah.„"

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