Die übersehene Seite der Gewalt

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Demonstration der Österreichischen HochschülerInnenschaft / Fotos: SJÖ

WIEN. (hpd) Die Stadt Wien, das Bundesfrauenministerium, Gewerkschaften und zahlreiche öffentliche Stellen unterstützen die Aktion „16 Tage gegen Gewalt“ - eine internationale Kampagne gegen Gewalt an Frauen. Die Vertretung Österreichs Studierender, die ÖH, hat mit einer Medienaktion auf eine übersehene Seite struktureller Gewalt aufmerksam gemacht. Sie fordert mehr Rechte für Sexarbeiterinnen.

Diesmal hat es den Zuhälter schlimmer erwischt als eine der Sexarbeiterinnen in seinem Bordell. Ein Freier hatte ihr eine Schädelprellung zugefügt. Als der Zuhälter einschritt, schoss ihm der Mann in den Bauch. Ein Vorfall in der Nacht auf Freitag, wenige Stunden nach der gemeinsamen Medienaktion der Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH), des Vereins LEFÖ und der SPÖ-nahen Organisationen VSStÖ, AKS und SJ. (Die grünnahe GRAS und andere Studierenden- bzw. Schülerorganisationen haben nichts über ihre mögliche Teilnahme bekannt gegeben, Anm.)

Als ob es einer Bestätigung bedurft hätte, in welch prekärer Lage Österreichs Sexarbeiterinnen ihrer Beschäftigung nachgehen. Eine Mordserie in Niederösterreich und Wien vor wenigen Jahren, bei der die Leichen der Opfer verstümmelt und verbrannt wurden, ist bis heute ungelöst. Opfer waren ausnahmslos Prostituierte. Ein Zuhälter, der eine „seiner“ Sexarbeiterinnen mit Benzin übergoss und schwer verletzte, wird nach seiner Verurteilung vor wenigen Wochen mehrere Jahre einsitzen müssen. Ebenso ein Jugendlicher, der vor wenigen Monaten schuldig gesprochen wurde, eine Prostituierte verstümmelt zu haben. Erst Donnerstagabend wurde bekannt, dass eine serbisch-slowakische Organisation eine 27-jährige Serbin zur Prostitution in Wien gezwungen hat.

Wie viele Prostituierte jährlich verletzt werden, weiß niemand. Nur solche Fälle werden bekannt. Genauso wenig gibt es belastbare Zahlen, wie viele Sexarbeiterinnen in Österreich ihrem Gewerbe nachgehen. Die Prostituierten, die einen so genannten Deckel haben, eine Art behördlicher Genehmigung, machen nach Schätzung aller Expertinnen und Experten nur einen Bruchteil der Frauen aus, die im Gewerbe tätig sind. Je nach Schätzung sind das allein in Wien bis zu 20.000. Als gesichert kann nur gelten, dass ein Großteil Migrantinnen sind. Häufig sind es Asylbewerberinnen. Prostitution ist die einzige Möglichkeit für sie, in Österreich legal Geld zu verdienen. Alle anderen Arbeiten sind ihnen verboten. Und in Oberösterreich ist nach Auskunft des Vereins LEFÖ Prostitution noch immer im Strafrecht verankert.

Unabhängig, wie viele Sexarbeiterinnen in Österreich arbeiten, ob legal oder illegal – Rechte haben sie so gut wie keine. Will ein Freier das Honorar nicht bezahlen – die Polizei oder die Gerichte können ihn, anders als in Deutschland, nicht zwingen. Prostitution gilt hier nach wie vor als „sittenwidrig“. Wie wenig das Bewusstsein selbst für dieses fundamentale Recht ausgeprägt ist, zeigt die Wortwahl auch fortschrittlicher Zeitungen, die diesen Zustand anprangern. Dort ist bis heute vom „Schandlohn“ der Sexarbeiterinnen die Rede. Die Situation stärkt nach Meinung von Expertinnen und Experten die Stellung von Zuhältern. Wer sonst soll das Honorar eintreiben?

Breit thematisiert wird Prostitution beinahe nur, wenn es um Anrainerbeschwerden gegen Straßenprostitution geht. Im neuen Prostitutionsgesetz hat die Gemeinde Wien versucht, Anrainerbeschwerden und die Sicherheit von Sexarbeiterinnen unter einen Hut zu bringen. Es versucht, die Straßenprostitution auf vereinzelte Zonen zurückzudrängen, im Wesentlichen ist sie in Wohngebieten verboten. Die Beurteilungen fallen gemischt aus, wie die Aussage von Renate Blum von LEFÖ zeigt: "Mit einem Unsichtbar-Machen der Sexarbeit und deren Ausübenden wird die Situation für SexarbeiterInnen nicht besser, sondern schlechter. Es braucht Rahmenbedingungen, die gutes und sicheres Arbeiten ermöglichen und die der Diversität und den Bedürfnissen von SexarbeiterInnen gerecht werden. Die Rechte von SexarbeiterInnen müssen dabei an erster Stelle stehen und der Selbstbestimmung der in der Sexarbeit tätigen Frauen, Männer, Transpersonen gerecht werden". Immerhin anerkannt wird, dass die Stadt versucht, mit dem Phänomen Sexarbeit umzugehen.

Auch in Oberösterreich dürfte sich etwas bewegen, schreibt LEFÖ auf der Vereinshomepage. Dort gibt es einen Gesetzesentwurf, der Prostitution als Sexualdienstleistung definiert. Ein Schritt aus dem Schmuddeleck, in dem die häufig entwürdigende Arbeit von Frauen und Klein- bzw. organisierte Kriminalität so häufig Hand in Hand gehen.

Allein, die ersten Auswirkungen des neuen Wiener Gesetzes stimmen viele Sexarbeiterinnen-Vertreter nachdenklich. Bei einer ersten Polizeiaktion gab es zahlreiche Anzeigen – vorwiegend gegen Frauen, die verbotenerweise auf offener Straße im Wohngebiet sexuelle Dienstleistungen angeboten hatten. Fünf wurden nach Angaben der Polizei festgenommen. Allerdings soll es erstmals auch Freier erwischt haben. Auch die erfasst das neue Wiener Gesetz. Versuchen sie, einer Frau in einem Wohngebiet ein eindeutiges Angebot zu machen, müssen sie bis zu 500 Euro Strafe zahlen.

Manche Bereiche erfasst aber auch das neue Gesetz kaum. Es sind beispielsweise illegale Anbahnungsstätten wie das mittlerweile polizeibekannte Cafe „Berdus“ im 16. Wiener Gemeindebezirk. Vorwiegend türkische Prostituierte warten hier auf Freier, meist beaufsichtigt von ihren Zuhältern. Wenige Gehminuten entfernt gibt es eine Wohnung, in die sich Frau und Freier zurückziehen, wenn sie sich auf die Konditionen geeinigt haben. So lange es warm ist, stehen die Frauen auch vor der offenen Tür des Lokals und sprechen Männer an, die vorbeigehen. In den türkischen Geschäften der Umgebung erfährt man davon, dass hier auch schon mal Frauen geschlagen werden, wenn sie nicht genug Geld verdienen. Der Cafébesitzer will mit all dem nichts zu tun haben. „Was die Frauen hier machen, geht mich nichts an“, sagt er auf Nachfrage. Aktuell ist das Café wieder einmal behördlich geschlossen. Einer der Zuhälter hat es übertrieben, heißt es von der Polizei. So lange er einsitzt, ist wieder Ruhe. Die Geschichte beginnt von neuem.

Aus Sicht Betroffener und vieler politischer Aktivistinnen und Aktivisten bleibt die Situation mehr als unerträglich. „Die Medienaktion soll darauf hinweisen, wie stark Sexarbeit gegenwärtig stigmatisiert, tabuisiert und an den Rand gedrängt wird. Mit Blick auf den internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, wollen wir verstärkt auf diese Problematik verweisen. Wir solidarisieren uns klar mit den SexarbeiterInnen und dem Verein LEFÖ, der sich für die Rechte von SexarbeiterInnen einsetzt und stets daran arbeitet, deren Situation zu verbessern und abzusichern", sagt Angelika Gruber vom Vorsitzteam der Österreichischen HochschülerInnenschaft.

 

Ähnlich ihre VSStÖ-Kollegin Mirijam Müller: „Gewalt an Frauen findet oft versteckt und hinter verschlossenen Türen statt, doch Privates ist politisch. Wir dürfen nicht wegsehen, wenn Frauen diskriminiert und strukturell benachteiligt werden“.

Allein, von dieser Einsicht scheint man in Österreich ein Stück weit weg zu sein. Die politischen Versuche, Sexarbeit wenigstens nicht mehr für sittenwidrig zu erklären halten sich, meist roten oder grünen Vorstößen zum Trotz, in überschaubaren Grenzen. Und mit ihnen die Aussicht, dass Sexarbeit in der Alpenrepublik enttabuisiert wird.

Christoph Baumgarten