STRASSBURG. (hpd) Die EU-Abgeordneten beschlossen gestern eine Resolution, die den Kampf gegen die Verbreitung von HIV in der Europäischen Union und ihren Nachbarländern stärken soll. Dabei erlitt eine religiöse Lobby-Kampagne, die den Kampf gegen AIDS von Fragen reproduktiver Gesundheit trennen wollte, eine Niederlage.
Die Resolution fordert ein stärkeres Engagement gegen AIDS durch gründliche Information, effiziente Schutzmaßnahmen und Förderung verringerter Diskriminierung HIV-Infizierter.
Anlässlich des Weltaidstags machten am Donnerstag mehrere Organisationen auf die wachsende Verbreitung von HIV in der Ukraine und Osteuropa aufmerksam. Der Bericht von UNAIDS zählte im letzten Jahr 2,7 Millionen neu entdeckte Fälle weltweit. Rund 390.000 davon sind Kinder. Auf dem Planeten leben 34 Millionen Menschen mit dem Virus, 2010 starben 1,8 Millionen an der Immunschwächekrankheit. In Deutschland nimmt die Zahl von Neuinfektionen ab und wird sich in diesem Jahr auf rund 2.700 belaufen. Woanders sieht es besorgniserregender aus.
Die neue Resolution stellt fest, dass es im Raum der EU-Länder und in den Nachbarstaaten insgesamt 161.000 Neuinfektionen gegeben hat, womit die Gesamtzahl auf 2,2 Millionen angestiegen ist. Die Steigerungsrate sei „alarmierend, besonders in Osteuropa“. Menschen, bei denen das Virus noch unentdeckt blieb, stecken 3,5 Mal so häufig andere Menschen an. Rund 45 Prozent aller Neuinfektionen entfallen ferner auf Frauen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren.
Lobbykampagne religiöse Organisationen
Der Verabschiedung der Resolution ging eine Lobbykampagne religiöser Organisationen voraus, die laut European Humanist Federation (EHF) auf Initiative der Organisation European Dignity Watch entstanden war. Daraufhin, heißt es, sei eine „aggressive Kampagne“ zur Beeinflussung der Europaparlamentarier durchgeführt worden. Ziel der Kampagne war, eine neue Unterscheidung in der EU-Politik zwischen dem Kampf gegen HIV und den Fragen zu reproduktiver Gesundheit zu schaffen. Unter anderem sollte die im Entwurf vorgesehene Einbeziehung für die Förderung der Verbreitung von Verhütungsmitteln und Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche entfernt werden. Die EHF-Mitgliedsorganisation Centre d’Action Laïque wurde kurz vor dem Donnerstag auf den Änderungsantrag aufmerksam und rief mit Hilfe der EHF die humanistischen Organisationen in Europa auf, die Parlamentarier auf die Verabschiedung eines unveränderten Resolutionstextes einzustimmen.
Hätte der von European Dignity Watch angestrebte Plan erfolgreich umgesetzt werden können, wären frühere Resolutionen angegriffen worden, die unter anderem für Frauen einen einfachen Zugang zu Schwangerschaftsverhütung und -abbruch vorsehen. Auch der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) verschickte noch am Tag vor der Abstimmung an die 99 deutschen EU-Abgeordneten die Bitte, den vorbereiteten Entschließungsantrag unverändert anzunehmen.
„Sollten die drei Artikel nicht gemeinsam mit dem Rest der Entschließung verabschiedet werden, bedeutet dies einen weiteren Schritt in die Richtung, Frauen die Kontrolle über ihre sexuellen und reproduktiven Rechte zu beschneiden, wenn nicht diese zu verhindern“, hieß es in dem Appell. HVD-Präsident Frieder Otto Wolf bat deshalb eindringlich, „sich für die Entschließung in ihrer Gesamtheit einzusetzen, und damit Bestrebungen abzuwehren, die letztlich Europas Gesundheit nicht nutzen, sondern sie untergraben.“
HIV ist der Gegner, nicht der Träger
Der Plan von European Dignity Watch und den zugehörigen Organisationen ging nicht auf. Die Resolution erklärt nun unter anderem, es sei entscheidend, „für die Stärkung und den Ausbau von Strategien und Programmen im Bereich der Zusammenhänge zwischen sexueller und reproduktiver Gesundheit und den damit verbundenen Rechten einerseits und HIV andererseits einzutreten, damit HIV/AIDS-Präventionsprogramme in die Programme im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit und damit verbundene Rechte integriert werden und die Prävention von HIV/AIDS fester Bestandteil der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung wird“.
Außerdem wird die EU-Kommission aufgefordert, „gemeinsame Maßnahmen und Strategien der EU zu entwickeln, die der Förderung der uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte sowie von auf Rechten basierenden Konzepten zur Bekämpfung von HIV/AIDS dienen, einschließlich Informationskampagnen gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung, unter der Menschen leiden, die mit HIV/AIDS leben“. Es wird daran erinnert, dass HIV der Gegner ist und nicht dessen Träger.
Nach der Abstimmung zeigte man sich bei der EHF sehr erleichtert und hieß die Entscheidung und die progressive Verpflichtung „herzlich willkommen“. Trotzdem wertete man die Voten als „knapp“. Die Notwendigkeit für weitere Aktivität sei aus Sicht der EHF unter anderem durch die Abstimmung über Paragraph 22 der Resolution deutlich geworden.
Dieser Paragraph 22 fordert die Kommission und den Rat auf, „den Zugang zu hochwertigen, umfassenden Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, Informationen und Ausrüstungen sicherzustellen“ und dokumentierte die „Auffassung, dass es sich dabei unter anderem um vertrauliche und freiwillige Beratungsangebote, Tests und Behandlungen von HIV und allen anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, die Verhütung ungewollter Schwangerschaften, gleichberechtigten und erschwinglichen Zugang zu Verhütungsmitteln, einschließlich der ‚Pille danach‘, eine sichere und legale Schwangerschaftsunterbrechung und Betreuung nach der Schwangerschaftsunterbrechung sowie Betreuung und Behandlung zur Verhinderung einer vertikalen HIV-Infektion, auch von Partnern und Kindern, handeln sollte“. Von 602 abgegebenen Stimmen votierten 209 dagegen.
Arik Platzek