Demokratie als „Spektakel"?

(hpd) „Postdemokratie" meint ein politisches System, dessen demokratische Institutionen zwar weiter formal bestehen, aber von Bürgern

und Politikern nicht länger mit Leben gefüllt werden. In seinem Buch zum Thema sieht der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch in dem wachsenden Einfluss der wirtschaftlichen Unternehmen auf die Politik die zentrale Ursache dafür.

 

Wie steht es um die Demokratie als politisches Ordnungsmodell auf der Basis von Bürgerbeteiligung und Grundrechten? Schlecht, meint der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch, der Governance and Public Management an der University of Warwick lehrt. In seinem schlicht „Postdemokratie" betitelten Buch geht er von folgender Entwicklung aus: „Während die demokratischen Institutionen formal weiterhin vollkommen intakt sind (und heute sogar in vielerlei Hinsicht weiter ausgebaut werden), entwickeln sich politische Verfahren und die Regierungen zunehmend in eine Richtung zurück, die typisch war für vordemokratische Zeiten. Der Einfluss privilegierter Eliten nimmt zu, in der Folge ist das egalitäre Projekt zunehmend mit der eigenen Ohnmacht konfrontiert" (S. 13). Der damit verbundene Trend bewege sich immer mehr weg von einem Demokratieverständnis, das auf die aktive Beteiligung am öffentlichen Leben setze, hin zu einem Demokratieverständnis, das sich in der passiven Teilnahme an den regelmäßigen Wahlen erschöpfe.

In den sechs Kapiteln seines Buchs will Crouch nach den Ursachen für diese Entwicklung fragen, eingerahmt von Ausführungen zur Definition von „Postdemokratie" und zur Präsentation von Gegenstrategien. Den bedeutendsten Bedingungsfaktor für die beklagte Situation sieht er im ansteigenden Einfluss der wirtschaftlichen Unternehmen auf die Politik bei gleichzeitigem Bedeutungsverlust der Gewerkschaften als Interessenvertretung der „kleinen Leute". Auch die Parteien gerieten in immer stärkere Abhängigkeit von den größeren Konzernen. Und in der Kommerzialisierung öffentlicher Leistungen sieht der Autor eine bedenkliche Begleiterscheinung der erwähnten Entwicklung. Als wichtigste Ursache für den Niedergang der Demokratie heute benennt er daher die „Ungleichheit zwischen der Rolle der Interessen der Unternehmen und denen aller übrigen Gruppen der Gesellschaft". Diese führe zu einer Form der Politik, die wieder „zu einer Angelegenheit geschlossener Eliten" wie „in vordemokratischen Zeiten" (S. 133) wird.

„Postdemokratie" wird demnach wie folgt definiert: „Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, dass Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten" (S. 10). So verstanden könne mit dem Terminus erklärt werden, warum sich in Demokratien Frustration und Langeweile bei den Bürgern breit mache und die Repräsentanten mächtiger Interessengruppen immer mehr dominierten.

Crouch sieht in dem skizzierten Verständnis von „Postdemokratie" - entgegen dem Urteil mancher Kritiker - nur ein negatives Idealbild und keine gesellschaftliche Realität. Er geht aber davon aus, dass die Entwicklung tendenziell weg von dem positiven Idealbild einer Demokratie aktiver Bürger auf egalitärer Grundlage hin zu einer so verstandenen „Postdemokratie" führe. Dafür kann der Autor gute Belege präsentieren, überzeichnet dabei aber auch immer wieder. Soll sein Buch mehr eine wissenschaftliche Analyse oder mehr eine politische Warnung sein? Im Gewand von ersterem bezweckt es wohl letzteres. Dabei blendet der Autor manche Aspekte aus, kann doch etwa allenfalls tendenziell und nicht pauschal von einem Rückzug des Staates aus dem sozialen Bereich gesprochen werden. Etwas blass geraten die Ausführungen zu den präsentierten Gegenstrategien und reichlich unkritisch die Bemerkungen zu den gewaltgeneigten Protestbewegungen. Gleichwohl verdient sein Buch als kritischer Blick auf die Gefahr einer Erosion der Demokratie Beachtung.

Armin Pfahl-Traughber

Colin Crouch, Postdemokratie. Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm, Frankfurt/M. 2008 (Suhrkamp-Verlag), 180 S., 10,00 €