OBERWESEL. (hpd) Am 05. August veranstaltete die Giordano-Bruno-Stiftung einen Vortrag mit dem Juristen Prof. Dr. Holm Putzke über das Thema „Religionsfreiheit oder Körperverletzung? Die strafrechtliche Relevanz der Knabenbeschneidung“.
Das Urteil des Kölner Landgerichts, das die religiös motivierte Vorhautbeschneidung als rechtswidrige Körperverletzung wertete, hat eine kontroverse und breite Debatte ausgelöst sowie große Wellen geschlagen. In seiner Urteilsbegründung griff das Landgericht auf die Argumente des Juristen Prof. Dr. Holm Putzke zurück. Der Strafrechtsprofessor an der Universität Passau führte bereits 2008 Argumente gegen die rechtliche Zulässigkeit der religiösen Zirkumzision in seinem Aufsatz „Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung bei Knaben“ aus. Am 05. August veranstaltete die Giordano-Bruno-Stiftung einen Vortrag mit Holm Putzke am Stiftungssitz in Oberwesel, wo er seine Thesen vortrug und mit den Zuhörern diskutierte.
Zunächst wies der Referent darauf hin, wie wichtig die Beschäftigung mit den verschiedenen Hintergründen der rituellen Vorhautbeschneidung sei. Um das Thema in angemessener Form juristisch zu behandeln, müsse man sich mit dem Hintergrundwissen über Religion und Medizin vertraut machen. Da es sich um ein hochsensibles Thema handele, bedürfe es zudem großer Behutsamkeit.
Genitalverstümmelung oder Beschneidung?
Praktiken, bei denen die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane teilweise oder vollständig entfernt beziehungsweise verletzt werden, werden üblicherweise als Genitalverstümmelung bezeichnet. Darunter fallen nicht nur besonders eingriffsintensive Formen wie zum Beispiel die so genannte „pharaonische Beschneidung“ (Infibulation), sondern auch die Klitorisvorhautreduktion und das Einstechen oder Einritzen der weiblichen Genitalien. Wie wird demgegenüber die Verletzung männlicher Genitalien bezeichnet? Dies hänge davon ab wie man die Beschneidung beurteilt aber auch wie die Betroffenen selbst den Eingriff sehen. Schließlich sei es für viele nicht einfach zu hören, dass sie verstümmelt seien oder andere verstümmeln. Dennoch „kann man bei einem Abschneiden von einem funktionalen Körperteil durchaus von einem verstümmelnden Eingriff sprechen“, so Holm Putzke, welcher erklärte, dass dies der medizinisch korrekte Begriff für die Abtrennung (= Amputation) eines Körperteils ohne medizinischen Grund sei.
Aktualität der Thematik und Entwicklung der Diskussion
Das Urteil des Kölner Landgerichts vom 07. Mai 2012 hat die Diskussion um die religiöse Beschneidung ins Rollen gebracht. Holm Putzke stellte in diesem Zusammenhang klar, dass sich das Kölner Gericht ausschließlich mit der islamischen Beschneidung beschäftigt habe, nicht mit der jüdischen. „Die Kritik von dieser Seite ist, solange sie sich an das Landgericht in Köln richtet, völlig unbegründet“, so Putzke. Sie sei damit zu erklären, dass die Diskussion dazu führen könnte, dass auch der Eingriff im Judentum auf den Prüfstand gerät.
Laut Urteil erfüllt derjenige den Tatbestand der Körperverletzung, der eine medizinisch nicht indizierte Zirkumzision ohne Einwilligungsfähigkeit des zu Beschneidenden vornimmt. Die Einwilligung der Eltern wirke dabei nicht rechtfertigend, da ihre Religionsfreiheit und ihr Elternrecht hinter der körperlichen Unversehrtheit und dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes zurücktrete. Da der Beschneider im Fall des Kölner Landgerichts die Rechtswidrigkeit des Eingriffs selbst durch Erkundigung nicht in Erfahrung hätte bringen können, wurde er aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums entschuldigt und freigesprochen.
Wie kam es zu diesem Urteil? Die Debatte um die religiöse Vorhautbeschneidung ist noch nicht alt. Der eigentliche Auslöser sei ein Gespräch mit dem Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Rolf Herzberg gewesen, in dessen Festschrift 2008 jener Aufsatz von Holm Putzke veröffentlicht wurde, auf den das Landgericht Köln bei seinem Urteil zurückgriff. Aber schon 2000 kam es zu Diskussionen zwischen zwei Ärzten um die ethische Vertretbarkeit der Zirkumzision. Dabei stellte sich die Frage, ob ein irreversibler Eingriff ohne medizinische Indikation mit dem hippokratischen Eid vereinbar sei. Mit diesen Ärzten stand Putzke in Kontakt und veröffentlichte mit ihnen 2008 den Gemeinschaftsaufsatz „Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung“ im Deutschen Ärzteblatt. Dieser sorgte zwar nicht nur in Fachkreisen, sondern auch schon in religiösen Kreisen für Aufruhr, wurde aber nicht weiter öffentlich thematisiert. Dies sei laut Putzke vielleicht dadurch zu erklären, dass man dem Thema kein größeres Gewicht verleihen wollte. „Und letztlich hat ein Gericht also nicht aus heiterem Himmel entschieden, sondern es hat eine juristische, medizinische Diskussion aufgegriffen, die es schon ganz intensiv gab“, schlussfolgerte der Referent.
Die Zirkumzision ist der weltweit am häufigsten vorgenommene chirurgische Eingriff. Schätzungen zufolge geht man davon aus, dass circa 30 % der männlichen Weltbevölkerung beschnitten sind. Trotz dieser Zahl sei die Beschneidung selbst in anderen Ländern nicht unumstritten. Beispielsweise gibt es in den USA schon länger intensive ethische Diskussionen und sehr aktive Strömungen von Antibeschneidungsbewegungen. „Dort gibt es auch viele Rabbiner, die der religiösen Beschneidung unglaublich kritisch gegenüberstehen“, schilderte Putzke und wies darauf hin, dass das Thema selbst innerhalb der Religionsgemeinschaften umstritten ist.
Medizinische Grundlagen und Ursprung der Beschneidung
Wann ist eine Vorhautbeschneidung legitim? Sie ist dann legitim, wenn eine medizinische Indikation vorliegt. Diese liegt vor, wenn es sich bei der Zirkumzision um eine Heilbehandlung handelt, die etwa bei Entzündungen oder einer Phimose (= Vorhautverengung) ihre Anwendung findet. Aber auch die Vorteile einer Vorbeugung könnten einen medizinischen Eingriff begründen. So wird in Debatten häufig das verminderte Ansteckungsrisiko von Infektionskrankheiten angeführt. Dieses Argument käme aber erst dann zu tragen, wenn das Kind geschlechtsreif sei. Auch die viel zitierte WHO -Empfehlung bezüglich HIV-Infektionen bezieht sich lediglich auf einwilligungsfähige Personen. „Medizinisch vorteilhaft ist eine Zirkumzision bei Kindern nicht.“, resümierte Putzke das zuvor Gesagte.
Des Weiteren sei eine Vorhautentfernung mit Risiken verbunden. Neben dem Operationsrisiko durch die Narkose können Komplikationen wie Infektionen und Wundheilungsstörungen aber auch Schmerztraumata und ein Sensibilitätsverlust entstehen.
Wo liegen die historischen Wurzeln der Vorhautentfernung? Ursprünglich hatte die Beschneidung die Funktion eines Initiationsritus, der die Aufnahme des Heranwachsenden in die Gemeinschaft der Erwachsenen besiegeln sollte. In Trockengebieten wurde sie zudem als hygienische Maßnahme angesehen, woraus möglicherweise eine religiöse Pflicht resultierte.
Zwar gibt es im Koran keine Erwähnung der Notwendigkeit einer Beschneidung, dennoch wird sie mittelbar aus Textstellen („Sprich: ‚Was Gott sagt, ist die Wahrheit. Folgt dem Weg Abrahams, des Hanifen!“, Koran 3:95), vor allem aber aus den Berichten über den Propheten Mohammed und aus den Überlieferungen der Gesellschaft (Sunna) hergeleitet. Anders als im Islam wird im Judentum ein fester Zeitpunkt der Beschneidung, nämlich der achte Tag nach der Geburt, im ersten Buch Mose genannt. In der Regel wird dort die Beschneidung von einem Mohel oder einer Mohelet überwiegend ohne Narkose vorgenommen.
Rechtslage und die Rolle von Politik und Justiz
Laut Strafgesetzbuch (§223 StGB) wird derjenige mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe belegt, der eine andere Person körperlich misshandelt oder dessen Gesundheit schädigt. Selbst ein erfolgreich und kunstgerecht durchgeführter ärztlicher Heileingriff stellt eine Körperverletzung dar. „Und deswegen ist es ganz normal, dass auch die medizinisch nicht indizierte religiöse Beschneidung eine Körperverletzung darstellt, nämlich zunächst mal den Tatbestand des Paragraphen 223 StGB erfüllt“, erklärte Holm Putzke. Entscheidend sei jedoch, ob dieser Tatbestand der Körperverletzung gerechtfertigt ist. Grundsätzlich wirkt die Einwilligung des Patienten in diesem Fall rechtfertigend. Dies gilt jedoch nur, solange die betroffene Person einwilligungsfähig ist. Kinder, bei denen die Zirkumzision vorgenommen werden soll, haben diese Einwilligungsfähigkeit noch nicht. Ihre Einwilligung muss durch die Eltern ersetzt werden, welche jedoch nach § 1627 BGB im Wohl des Kindes liegen muss.
„Was liegt denn im Wohl des Kindes?“, fragte Holm Putzke. „Ganz klar, ärztliche Heileingriffe“, so seine Antwort. Wenn etwas notwendig sei und wenn ein Kind dadurch geheilt werde, sei das selbstverständlich zu seinem Wohl. Die religiös motivierten, das heißt medizinisch nicht notwendigen, Beschneidungen fallen nicht darunter. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass eine solche Beschneidung dem Recht auf negative Religionsfreiheit entgegensteht. Schließlich sei sie eine religiöse Kennzeichnung. Diese könne auch nicht durch die Religionsfreiheit der Eltern gerechtfertigt werden. „Kein Freiheitsrecht kann es geben, das dazu legitimiert, ein anderes Freiheitsrecht zu beeinträchtigen und in die körperliche Unversehrtheit von jemandem einzugreifen“, erklärte Putzke.
Die Politik habe zunächst empört auf das Urteil des Kölner Landgerichts reagiert. Im Hinblick auf die Besänftigung, die außerhalb von Deutschland erreicht wurde, sei dieses Verhalten aber nachvollziehbar. Holm Putzke hätte sich jedoch gewünscht, dass gleichzeitig die Unabhängigkeit der deutschen Justiz betont und auf die UN-Kinderrechtskonvention hingewiesen worden wäre. Ebenso problematisch sei die Aussage von Angela Merkel gewesen, dass sich Deutschland mit einem solchen Urteil zur „Komikernation“ mache. „Das, meine ich, steht einer Bundeskanzlerin nicht zu und ist auch unangemessen“, kritisierte er und ging anschließend auf das Verhalten des Bundestages ein. Dieser hätte vor Verabschiedung der Resolution lieber eine Diskussion stattfinden lassen müssen.
Das Bundesjustizministerium stehe nun vor dem Problem, ein Gesetz zu formulieren, was möglichst nur die religiöse Beschneidung von Jungen erfasst. „Ein Gesetz, das nur eine einzige religiöse Handlung erlaubt“, kommentierte Putzke, „das gehört nicht in unsere Rechtsordnung.“ Mehr Entscheidungen von Gerichten, abgesehen von dem des Landgerichts Köln, gebe es nicht und die Staatsanwaltschaften hielten sich bisher zurück.
Das Fazit des Vortrags bildete ein Zitat des Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Rolf Herzberg: „So haben Juden und Christen sich befreit von manchen Vorschriften eines archaischen Wüstengottes, närrisch-grausame Intoleranz überwunden und sich fortschreitend zivilisiert. Ist es da nicht im 21. Jahrhundert höchste Zeit, dass man endlich auch aufhört mit der [..] skandalösen Missachtung kindlicher Grundrechte?“
Nach dem Vortrag begann eine lebendige und lange Diskussionsrunde in der vieles detailliert klargestellt und ergänzt wurde. Seit kurzem ist Prof. Dr. Holm Putzke Mitglied im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.
Florian Chefai