Abschied von Käthe Nebel

Selbstbestimmt aus dem Leben geschieden

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Käthe Nebel
Käthe Nebel

Am Samstag, dem 20.07.2024 ist Käthe Nebel selbstbestimmt im 94. Lebensjahr zu Hause aus dem Leben geschieden. Sie wurde hierbei von einem Arzt unterstützt. Die Mitbegründerin des "Arbeitskreises Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg" beendete ihr Leben so wie sie es lebte: Selbstbestimmt.

Der Arzt legte Käthe Nebel eine Infusion, den Drehschalter am Infusionsschlauch öffnete sie eigenständig und schlief binnen kürzester Zeit friedlich ein. Käthe war Mitglied bei der Sterbehilfegesellschaft DIGNITAS – Deutschland. Da sie die Voraussetzungen für eine Freitodbegleitung erfüllte, hatte die Organisation ihr einen Arzt vermittelt.

Die ehemalige NDR-Journalistin Antje Schmidt begleitete Käthe seit gut eineinhalb Jahren und hielt ihre Begegnungen mit einer Kamera fest. Sie plant, eine Dokumentation über Käthes letzte Lebensphase zu veröffentlichen. Käthe hatte seinerzeit den Kontakt zu Antje Schmidt aufgenommen mit dem Wunsch, dass die Freitodbegleitung aufgenommen und in einem Film ausgestrahlt werde. Somit wurden am Samstag Aufnahmen durchgeführt. Neben Frau Schmidt war Julia Meichsner vom Radiosender Bremen 2 anwesend. Frau Meichsner hat ebenfalls Käthe seit einiger Zeit begleitet und wird von ihrem Freitod und ihrem Wirken als Sterbehilfeaktivistin einen Radio–Podcast entwickeln. Käthe wollte ihre Freitodbegleitung für jeden sichtbar in die Öffentlichkeit bringen. Ihr Ziel war, dass diese Form des Sterben eines Tages als etwas Normales angesehen und das Tabu gebrochen wird. Es waren zahlreiche Freunde anwesend, so auch mehrere Mitstreiter unseres Arbeitskreises, um Käthe auf diesem letzten Weg zu begleiten.

Über 30 Jahre war Käthe im Bereich der Sterbehilfe aktiv. Nach ihrer Pensionierung war Käthe 7 Jahre lang in einem ambulanten Hospizdienst der evangelischen Kirche ehrenamtlich tätig. Sie erlebte, dass Sterben auch sehr grausam sein kann. Somit entwickelte sich ihre Überzeugung für die Sterbehilfe. Käthe schloss sich der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben e.V. (DGHS) an. Sie wurde regionale Ansprechpartnerin der DGHS für den oldenburgischen Raum. Sie veranstaltete über viele Jahre regelmäßige Treffen im oldenburgischen Kulturzentrum PFL. Auf diesen Veranstaltungen konnten sich Mitglieder der DGHS und Interessierte austauschen und informieren. Käthe hat Menschen beraten, die sterben wollten. Sie selbst hat eine gute Freundin zum Sterben nach Zürich begleitet. Dieses friedliche und sanfte Einschlafen ihrer Freundin hatte ihre innere Haltung zur Sterbehilfe gestärkt. Genauso leidfrei wollte Sie auch eines Tages sterben können und dürfen. Aus den DGHS Treffen entwickelte sich ein kleiner Freundeskreis, der sich dann nicht mehr in dem Kulturzentrum PFL traf, sondern im Wohnzimmer von Käthe. Dieser Kreis bestand aus 5 Personen. Da es ebenfalls einen weiteren größeren Lesekreis gab, der sich bei Käthe in regelmäßigen Abständen traf, gab sie ihrem Sterbehilfekreis den Namen "Kleiner Kreis" Ich bin diesem "Kleinen Kreis" 2010 beigetreten. Obwohl wir nur ein kleiner Personenkreis waren, hatten wir Kontakt zu interessanten Personen aufbauen können. So hatten wir z. B. Besuche erhalten von den Sterbehelfern Peter Puppe aus Bremen und Dr. Johann Friedrich Spittler, der als Neurologe und Psychiater auch Gutachten für Sterbehilfevereine anfertigte. Auch der bekannte Berliner Arzt und Sterbehelfer Dr. Uwe-Christian Arnold kam oft nach Oldenburg gereist und hatte eine gute Freundschaft zu Käthe aufgebaut. Es kam zu einem regen Austausch zwischen ihm und unserem "Kleinen Kreis". 2014 veröffentliche Dr. Arnold sein Buch "Letzte Hilfe – Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben". In diesem Buch erläuterte Herr Dr. Arnold seine Beweggründe, die ihn zur Sterbehilfe geführt haben. Auch berichtete er über Menschen, die seine Hilfe in Anspruch nahmen und über die gesellschaftlichen Kräfte, die den Zugang zur Sterbehilfe verhindern möchten. Im selben Jahr der Buchveröffentlichung, stellte er dieses in einem oldenburgischen Theater in einer Lesung der Bevölkerung vor.

Auch zu Ludwig Minelli, dem Gründer der Sterbehilfeorganisation DIGNITAS, hatte Käthe einen guten Draht. Sie hatte ihn 2015 für einen Vortrag nach Oldenburg eingeladen. Das Kulturzentrum PFL war mit interessierten Zuhörern zahlreich gefüllt. Unser "Kleiner Kreis" fand die Arbeit von Sterbehelfern und Sterbehilfeorganisationen wichtig, aber wir wollten auch eine Unabhängigkeit von Personen und Institutionen. Wenn eine Organisation oder ein einzelner Sterbehelfer aus welchen Gründen auch immer nicht helfen will oder nicht darf, dann braucht es einen Plan B. Daher hatten wir uns intensiv mit "Do it Yourself – Methoden" beschäftigt. Durch Tod, Krankheit und Umzug ist der "Kleine Kreis" allmählich auseinandergebrochen und hatte sich aufgelöst.

Käthe Nebel, Mitbegründerin des "Arbeitskreises Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg", Foto: © Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg
Käthe Nebel, Mitbegründerin des "Arbeitskreises Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg", Foto: © Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg

Im Jahre 2015 wurde die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid durch den § 217 Strafgesetzbuch (StGB) in Deutschland verboten. Geschäftsmäßig bedeutet, dass ein Vorgang auf Wiederholung ausgerichtet ist und hat nichts mit finanziellen Aspekten zu tun, was die Wortwahl fälschlicherweise suggeriert. Auch die Vermittlung von Sterbehilfe war durch diesen Paragraphen strafbar. Besonders die Vertreter der CDU und die der Kirchen haben sich für dieses Verbot stark gemacht. Sie haben in ihrer Argumentation diese Form der Sterbeassistenz als Sünde beschrieben. Es wurde argumentiert: "Gott gibt das Leben, Gott nimmt das Leben". Diese religiöse Argumentation empörte Käthe, die überzeugte Atheistin war. Sie argumentierte, dass man Tiere friedlich einschläfert, damit Sie nicht leiden müssen. Dem Bürger in Deutschland hingegen blieb es verwehrt diesen leidfreien Weg gehen zu dürfen aufgrund dogmatischer Engstirnigkeit einer kleinen Personengruppe, die aber im Bundestag die Macht hatte. Die Mehrheit der Bevölkerung hingegen ist dem Thema Sterbehilfe liberal gegenüber eingestellt, was aus verschiedenen Umfragen hervorgeht. Bürger und Verbände wehrten sich und zogen bis zum Bundesverfassungsgericht. Käthe und ich verfolgten dies Entwicklung und freuten uns riesig, als das Bundesverfassungsgericht 2020 diesen Paragraphen als verfassungswidrig und somit als nichtig erklärte. In der Pressemitteilung vom 26. Februar 2020 des Bundesverfassungsgerichtes heißt es: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Die in Wahrnehmung dieses Rechts getroffene Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren." Ebenfalls führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Entscheidung Sterbehilfe zu erhalten sich einer Bewertung anhand allgemeiner Wertvorstellungen, religiöser Gebote, gesellschaftlicher Leitbilder für den Umgang mit Leben und Tod oder Überlegungen objektiver Vernünftigkeit entzieht. Allerdings verwies das Gericht darauf, dass der Bundestag die Sterbehilfe regulieren könne (aber nicht muss). Die Möglichkeit der Sterbehilfe muss aber genügend Raum gelassen werden. Sterbehilfeorganisationen nahmen ihre Arbeit wieder auf, was einige Politiker des Bundestages sehr empörte. So haben sich drei fraktionsübergreifende Parlamentariergruppen an die Arbeit gemacht Gesetzentwürfe zu entwickeln. Der Gesetzentwurf der Parlamentariergruppe um Professor Dr. Lars Castellucci (SPD) machte Käthe und mich sehr wütend. Nach diesem Entwurf wäre wieder ein neuer § 217 im Strafgesetzbuch eingeführt worden. Dieser hätte erneut die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt

Im März 2022 veranstaltete Käthe mit mir eine Kundgebung auf dem oldenburgischen Schlossplatz. Wir hatten einen Stand aufgebaut und Informationsmaterial verteilt. Wir trugen Umhängeschilder mit der Aufschrift: "Mein Ende gehört mir" und "Pro Sterbehilfe" und erregten das Interesse der Passanten. Wir vertraten die Ansicht, dass Menschen, die schwer krank sind oder andere gut nachvollziehbare Gründe haben aus dem Leben scheiden zu wollen, nicht durch übermäßige Bürokratie hiervon abgehalten werden sollten. Die Hürden in diesen Gesetzentwürfen sind für einen großen Teil der Betroffenen zu hoch gesetzt. Die meisten Besucher unseres Standes waren sehr erstaunt als Käthe und ich berichteten, dass Sterbehilfe in Deutschland durchgeführt wird. Dies war den Leuten nicht bewusst. Die anwesenden Personen wollten mehr erfahren und hatten die Idee und den Wunsch geäußert einen Arbeitskreis zu dieser Thematik zu gründen. Einige der Passanten hinterließen uns ihre Emailadressen und Telefonnummern. Käthe und ich trafen uns im April 2022 mit einem Dutzend Interessierter und dies war dann die Geburtsstunde unseres Arbeitskreises Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg. Heute umfasst unser Arbeitskreis 8 aktive Personen in der Planungsgruppe und 260 Personen in einem Emailverteiler bzw. einer Telefonliste, welche von mir geführt werden. Unsere Planungsgruppe organisiert Aktionen und Informationsveranstaltungen zum Thema Sterbehilfe und kontaktiert die Interessenten. Zudem hat sich innerhalb des Arbeitskreises ein Gesprächskreis entwickelt, der sich vierteljährlich trifft. Ziel unseres Gesprächskreises ist das gegenseitige Kennenlernen und der Austausch.

Im November 2022 veranstalteten wir als Arbeitskreis eine weitere Kundgebung auf dem oldenburgischen Schlossplatz gegen eine Neuauflage des §217 im Strafgesetzbuch. Mit Spannung verfolgten wir die Abstimmung am 06. Juli 2023 im Bundestag. Es wurde über den Castelluci-Entwurf und den Entwurf einer weiteren Parlamentariergruppe um Katrin Helling-Plahr abgestimmt. Beide Entwürfe fanden keine Mehrheit. Die Initiatoren dieser Entwürfe geben aber nicht auf. Weiterhin gibt es Bestrebungen, ein neues Gesetz zu entwickeln und zu verabschieden.

Käthe war aber nicht nur eine Aktivistin der Sterbehilfe. Der Schriftsteller Dirk Faß hat über Käthe Nebel ein Buch geschrieben und 2021 über den Isensee Verlag veröffentlicht. Diese Buch trägt den Titel "Käthe Nebel eine der mutigsten Aktivistinnen aus dem Oldenburger Land". Faß beschreibt, wie Käthe mit zahlreichen Projekten und Aktionen im Umwelt- und Naturschutz, für die Gleichstellung der Geschlechter und für soziale Gerechtigkeit tätig war. 1998 gründete Käthe den Oldenburger Verschenkmarkt , der heute noch besteht. 2007 wurde sie für ihr lebenslanges soziales und ökologisches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt.

Auch als Zeitzeugin des 2. Weltkrieges hatte Käthe Nebel viel zu erzählen. Als 14 jährige erlebte sie im Osten des Deutschen Reiches den Einmarsch der Roten Armee. Diese Ereignisse haben Käthe geprägt und ein Leben lang begleitet. Die Reporterin Julia Meichsner von Bremen 2 hat diese Erinnerungen in einem Porträt über Käthe Nebel im November 2022 für die Nachwelt festgehalten.

Käthe war Mitglied des Humanistischen Verbandes Deutschland und innerhalb des Regionalverbandes Oldenburg sehr aktiv. Bei den Lesern der oldenburgischen Lokalausgabe der Nordwest Zeitung war Käthe Nebel bekannt und beliebt. Durch ihre zahlreichen Leserbriefe hat Käthe Nebel jahrzehntelang ihre Meinung zu sämtlichen Themen kundgetan. Sie hatte die Begabung, mit ihren kurzen Leserbriefen den Nagel auf den Kopf zu treffen. So haben wir Käthe auch bis zuletzt immer gekannt. Eine kämpferische Frau, die kein Blatt vor dem Mund genommen hat. Wir werden sie sehr vermissen und sie wird uns weiterhin ein großes Vorbild sein. Wir als Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg werden den Kampf für die Sterbehilfe, den Käthe begonnen hat, weiterführen.

Habbo Schütz
Arbeitskreis Selbstbestimmtes Sterben Oldenburg

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