Darwin meets Disney

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Plakat des "Darwineums"

ROSTOCK. (hpd) Nach jahrelanger Planungs- und Bauzeit wird am kommenden Wochenende in Rostock das sogenannte „Darwineum“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Es handelt sich um eine 20.000 Quadratmeter umfassende Freizeitanlage auf dem entsprechend erweiterten Gelände des Rostocker Zoos, in der die Besucher „die Entwicklung des Lebens auf der Erde als spannendes Abenteuer“ erleben sollen.

Das knapp 30 Millionen Euro teure Prestigeprojekt des Landes Mecklenburg-Vorpommern ist in drei Bereiche unterteilt: in einem Ausstellungsrundbau können die Besucher, wie es heißt, „eine Milliarde Jahre durch die Zeit reisen“: Auf Schautafeln und anhand einer Vielzahl musealer Exponate können sie „die Geburt des Universums bestaunen, explodierende Sterne sehen und die Entstehung der Erde erleben“. Angereichert wird die „Zeitreise auf Darwins Spuren“ durch verschiedene Aquarien mit Korallen, Seepferdchen und Buntbarschen sowie einige Kleinterrarien, in denen Schlammspringer, Blattschneiderameisen oder Pfeilschwanzkrebse gezeigt werden. Hinzu kommt eine Außenanlage mit Galapagos-Riesenschildkröten.

Die zweite Abteilung der „Zeitreise“ führt die Besucher in eine sogenannte „Tropenhalle“, in der, folienüberdacht, auf 4.000 Quadratmetern eine Art Urwaldlandschaft nachgebaut wurde. Hier bekommen die Besucher weitere „faszinierende Tiere der Evolution“ zu sehen (als gäbe es andere): Faultiere, Gibbons, Flughunde, Seidenäffchen sowie je zwei Gruppen Gorillas und Orang Utans. „Auf geschlängelten Pfaden“, so die Begleitbroschüre, „streifen die Besucher durch den Dschungel, bestaunen Terrarien mit Reptilien und beobachten das liebevolle und immer wieder spannende Familienleben der Menschenaffen. Eine Hängebrücke führt die Entdecker in scheinbar greifbare Nähe der Orangs, die sich von Ast zu Ast schwingen. Viel Platz zum Klettern und Toben haben die intelligenten Tiere auch auf den riesigen Außenanlagen. Zwischen alten Bäumen findet die Affengemeinschaft alles, was sie zum Wohlfühlen braucht. Aussichtspunkte erlauben eindrucksvolle Einblicke“.

Im dritten Bereich der Anlage - gleich neben Erlebnisrestaurant und Souvenirshop - findet sich ein weiterer Museumstrakt, in dem eine Dauerausstellung zur „Kulturellen Evolution des Menschen zwischen Höhlenmalerei und Kernfusion“ vorgehalten wird. Zudem können die Besucher in einer Art „Forschungslabor“ selbst kleine Experimente durchführen.

Finanziert wurde das Projekt zu größten Teilen über Fördermittel des Landes Mecklenburg-Vorpommern - sprich: Steuergelder -, lediglich 5,4 Millionen brachte die Trägergesellschaft des Zoos selbst auf bzw. wurden über Kredite abgedeckt; gut eine Million kam über Spenden und Patenschaften herein. Unter dem Strich kostete das „Darwineum“ den Steuerzahler bislang rund 23 Millionen Euro. Mit der Anlage sei ein „Besuchermagnet“ geschaffen worden, so der Rostocker Oberbürgermeister Roland Methling, der seinesgleichen suche. Das mag sein. Ob die gigantischen Investitionssummen sich je amortisieren werden, steht allerdings in den Sternen (der Nürburgring lässt grüßen).

Tatsächlich dient das „Darwineum“ allenfalls der Aufhübschung des Rostocker Zoos, dessen Tiergehege und Käfige zu großen Teilen noch aus frühen DDR-Zeiten stammen. Gerade die Menschenaffenanlage, deren Bewohner nun in das neue “Darwineum“ umziehen konnten, zählte zu den katastrophalsten ihrer Art: die 60 Jahre alten völlig heruntergekommenen Käfige, in denen Gorillas und Orang Utans – bis vor ein paar Jahren auch Schimpansen – dahinvegetierten, waren schon zu Zeiten der Wende völlig indiskutabel. Anstatt jedoch die bestehenden Anlagen so weit zu modernisieren, dass sie den Tieren ein einigermaßen erträgliches Leben ermöglicht hätten – alternativ hätte man auch sehr viel früher schon ein von den Baukosten her wesentlich günstigeres neues Affenhaus erstellen können –, wurde das prestigeträchtige 30-Millionen-Projekt des „Darwineums“ anvisiert, bis zu dessen Fertigstellung die Tiere auf beengtestem Raum in vorsintflutlichen Gitterkäfigen ausharren mussten. Selbstredend wurde kein Cent mehr in die alten Anlagen investiert, das Wohlergehen der Tiere - zuletzt vier Orang Utans und ein Gorilla - war nachrangig.

Auch wenn die neue Anlage unbestreitbar eine wesentliche Verbesserung der Haltungsbedingungen darstellt, kann sie die jahrzehntelange Qualhaltung der Tiere nicht vergessen machen. Sie zeigen Symptome schwerster psychischer Störungen, ob und wie sie mit der neuen Situation zurechtkommen – laut Aussage des Zoos sollen weitere Tiere hinzukommen, um neue „Zuchtlinien“ aufzubauen – ist völlig ungewiss. Der über Jahre hinweg isoliert in einem vegitterten Betonbunker gehaltene 40-jährige Gorilla Assumbo etwa ist ein körperliches und psychisches Wrack, die geplante Zusammenführung mit zwei sehr viel jüngeren Gorillafrauen ist ein hochriskantes Vabanquespiel, dessen Einsatz allemal die Tiere zu tragen haben. Im Zweifelsfall wird Assumbo wohl eingeschläfert werden (wie man das 2010 mit den beiden letzten Schimpansen machte, die angeblich zu alt oder zu krank waren, als dass man sie weiter hätte zeigen können), oder er wird in einen anderen Zoo abgeschoben. Ein 32-jähriger Ersatzsilberrücken wurde bereits aus dem Zoo Leipzig angeschafft.

Im Übrigen können die vergleichsweise guten Bedingungen des „Darwineums“ die prinzipielle Problematik der Haltung Großer Menschenaffen (und anderer Exoten) nicht wettmachen. Diese haben allein schon der klimatischen Bedingungen wegen hier nichts verloren: sie verbringen bis zu 90 Prozent ihrer Lebenszeit in den Innengehegen, da es die meiste Zeit des Jahres draußen zu kalt für sie ist und sie Gefahr laufen, sich zu unterkühlen (Mecklenburg-Vorpommern liegt bekanntlich nicht im subtropischen Regenwaldgürtel). Die relativ großzügig bemessenen Außengehege dienen eher dazu, den Besuchern eine den Bedürfnissen der Gorillas und Orang Utans gemäße Haltung vorzugaukeln, die in Zoos prinzipiell nicht möglich ist. Die Tiere selbst können die Außenanlagen nur die wenigste Zeit des Jahres nutzen (ganz abgesehen davon, dass selbst die größte Außenanlage nicht mehr als ein schlechter Witz ist im Vergleich zu den Revieren, die die Tiere in ihren natürlichen Heimaten bewohnen). Von Spätherbst bis Frühjahr sind sie rund um die Uhr auf die Innengehege beschränkt, nachts werden sie zudem in Schlafboxen eingesperrt.

Die Innengehege entsprechen in ihren Ausmaßen den Standards, die die „World Association of Zoos and Aquariums“ vorgibt. Sollten die geplanten „Nachzuchten“ erfolgreich verlaufen, können diese Standards allerdings sehr schnell unterschritten werden (unabhängig davon, dass sie per se zu niedrig bemessen sind).

Auch die Frage, ob es ethisch überhaupt (noch) vertretbar ist, Große Menschenaffen (oder andere Wildtiere) in Zoos gefangen zu halten, wird im „Darwineum“ nicht gestellt, gleichwohl gerade die Bezugnahme auf Charles Darwin solche Fragestellung nahe legte. Während die bahnbrechenden Entdeckungen Darwins, mithin die gemeinsamer Vorfahren von Menschen und Menschenaffen, relativ schnell und so gut wie universell akzeptiert wurden, werden letztere nach wie vor und unter ausdrücklichem Verweis auf ebendiese enge Verwandtschaft in Gitterkäfige gesteckt und zur Schau gestellt.

Der prinzipiell aufklärerische Wert des „Darwineums“ wird allein durch die Zurschaustellung der Menschenaffen in sein Gegenteil verkehrt: der Mensch wird nicht als Teil der Evolution dargestellt, sondern, wie Religionen jeder Art dies seit je verkünden, als gottgleiche „Krone der Schöpfung“, befugt, mit Tieren zu verfahren, wie es ihm beliebt: „Machet sie euch untertan und herrschet...“ (1. Mose 1,28). Darwin würde sich ob dieser Schizophrenie - und ob der Usurpation seines Namens - wohl im Grabe umdrehen.

Auch die immer wieder vorgetragene Behauptung, Zoos würden als „Archen Noah“ fungieren und vom Aussterben bedrohten Arten Zuflucht gewähren, um sie zu späterem Zeitpunkt in ihre natürlichen Heimaten zurückzuverbringen, kann nicht gelten: In Zoos gehaltene Menschenaffen werden nie mehr in ihre ursprünglichen Lebensräume zurückkehren, sie werden ihr gesamtes Leben in Gefangenschaft verbringen. Auswilderungsprogramme für Menschenaffen aus Zoos gibt es nicht. Auch das Argument, sie könnten als „Botschafter ihrer jeweiligen Art“ Menschen für ihr Bedrohtsein sensibilisieren, was zu  entsprechendem Engagement für den Erhalt ihrer natürlichen Lebensräume führe, greift nicht: obwohl sie seit mehr als 150 Jahren in Zoos zur Schau gestellt werden, wird ihr Lebensraum fortschreitend zerstört. Zoos, die mit ihren unkontrollierten Wildfängen bis herauf in die 1980er wesentlich zur Dezimierung der Bestände in freier Wildbahn beigetragen haben, leisten (abgesehen von an einer Hand abzählbarer Ausnahmen) keinerlei nennenswerten Beitrag zum Schutz oder Erhalt der natürlichen Lebensräume jener Tiere, die sie präsentieren.

Das Rostocker „Darwineum“ hat mit evolutionsbiologischer Aufklärung und Wissensvermittlung nur wenig zu tun. Mit Blick auf die Großen Menschenaffen dient die Gesamtanlage allenfalls dazu, deren ethisch längst nicht mehr vertretbare Haltung und Zurschaustellung durch Einbindung in eine Art Evolutionsdisneyland zu kaschieren. Es passt ins Bild, dass der Besucher in kunstvoll gestalteten Dioramen und auf Schautafeln zu sehen bekommt, wie Pteranodontiden (= Flugsaurier) in den Urwäldern der oberen Kreidezeit herumfliegen, während der real existierende Rostocker Stadtwald großflächig abgeholzt wurde, um Platz für das „Darwineum“ zu schaffen. Auch eine Art Evolution.

Colin Goldner
www.greatapeproject.de