Inhaltlich quer - Zum Tod von Hannelore Mabry

1983 initiierte sie die sog. Münchner „Dombesetzung“ mit insgesamt 18 Frauen und einem Mann, „Mütter fasten für den Frieden“. In Folge gelang es ihr, mithilfe des streitbaren Münchner Anwaltes Hartmut Wächtler (Wächtler und Kollegen) und der Presseunterstützung des nicht minder streitbaren Münchner Journalisten Dr. Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung), das seinerzeit von Richard Herzog erfundene Polizeikostengesetz (als Bestandteil des Polizeiaufgabengesetzes, das sich insbesondere gegen politische Demonstranten richtete) nach insgesamt sieben Jahren Musterprozess sozusagen zu Fall zu bringen.

Dombesetzung / Foto © Solveig Senft

Die Unheilige Schrift

Die Unheilige Schrift und die unheiligen Gefolgsleute derselben sind einer der Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit geblieben. 1988 organisiert sie einen Protest gegen den Besuch von Johannes Paul II. Die von ihr initiierte „öffentliche Probe“ der Aufstellung des Transparents am Siegestor wird ein Medien-Highlight.

Sie muss geahnt haben, dass das Transparent während der Fahrt des Papstes durch München nicht aufgestellt können werden wird. Was sie nicht ahnen konnte war, dass man sie und ihren Telefonanschluss überwachte und sie am Tag des Papstbesuchs, auf dem Weg zum Siegestor, aus dem Auto heraus mitten auf der Straße in die Münchner Ordnungszelle in der Ettstraße verfrachtete. Der Prozess, den sie im Nachgang dazu mithilfe „ihrer“ Feministen und Feministinnen führt, gehört zu den Highlights der juristischen Geschichte der 80er Jahre, ja der Friedensbewegung dieser Zeit insgesamt und endet mit Freispruch und Schmerzensgeld.

Heil Kind - Ein Leben für die Kinderfrage

Viel Arbeit bedeutete die Kinderfrage für die Mutter und Aktivistin Hannelore Mabry. Disziplin, Ruhe- und Rastlosigkeit. Die Kinderfrage, DER FEMINIST, nahmen von ihrem Leben Besitz. Für ihre politische Kompromisslosigkeit bezahlte sie einen hohen Preis. Für ihr einziges Kind gab es kaum Platz in diesem aktiven Leben; die Großmutter, ein Internat, Tante und Onkel versuchten, dem Kind eine nicht vorhandene fürsorgliche Mutter zumindest zeitweise zu ersetzen.

Die Männer an der Seite dieser attraktiven Frau konnten nicht lange bei dieser kleinen Familie bleiben, das Leben mit einer solch engagierten Frau war zu anstrengend. Daher waren sie auch für das Kind nicht wirklich ein Halt. Dass gerade Hannelore Mabry, die Kinderrechtlerin, ihrem eigenen einzigen Kind keinen richtigen Platz in ihrem Leben einräumen könnte, gehört zu den eher tragischen Komponenten im Leben einer engagierten Kämpferin für eine bessere Welt.

Das Reden ist der gelernten Schauspielerin Lorley Katz nie schwer gefallen, nur das Schreiben. Daher war sie auch so gerne jeden Samstag in der Münchner Fußgängerzone mit dem politischen Infostand. Direkt unter den Leuten wie sie daher kamen. Bei jedem Wetter und jeder Temperatur. Jahrelang …

Und doch musste sie schreiben. Zum Schreiben brauchte sie immer sehr lange. Und da war leider niemand in Sicht, die/der ihr dabei helfen konnte. Und doch wusste sie, dass, wer schreibt, auch bleibt. Und so schrieb sie … so lange sie konnte. Ihre Zeitschriften, ihre Aufsätze, die schriftlichen Zeugnisse über Jahre, eine schlagkräftige feministische Organisation zu gründen, die Vereins-Protokolle, ihre zahlreichen Briefe und Notizen, ihre Schriftwechsel mit Herbert Marcuse, mit Günter Anders (Stern), mit vielen prominenten Zeitgenossen … alles, einfach all dies findet sich – aufgrund ihrer eigenen Verfügungen – jetzt im Münchener Institut für Zeitgeschichte. Zum Glück.

Das Ende und Alzheimer – Eine Verneigung

Häufig wirkte sie unverwundbar, unermüdlich, allzeit bereit. Aber „ihre“ Feministen und Feministinnen spürten, dass sie bisweilen wohl auch verzweifelte an der Ignoranz und am Desinteresse so vieler. Die vielen Jahre der Disziplin, des beständigen politischen Kampfes, des Verzichtes auf ganz individuelle Glücksvorstellungen haben sie häufig auch hart und unnachgiebig werden lassen. Gegen sich selbst sowieso und gegen so viele andere, auch Nahestehende. „Ihre“ Feministen und Feministinnen waren ihr dann auch immer öfter – je schwieriger die Zeiten wurden - nicht engagiert genug. Grund für Auseinandersetzungen, die es vielleicht gar nicht gebraucht hätte. Na ja, und die Zeiten blieben – sowieso - nicht dieselben; die Friedensbewegung, der Nato-Doppelbeschluss, die Frauenbewegung … all das war je länger je weniger im Mittelpunkt des Interesses der meisten Menschen.

„Ihre“ Feministen und Feministinnen verloren sich schließlich ein wenig im Kampf ums gewöhnliche Dasein und gingen hinaus in berufliche, familiäre und teilweise auch politische Welten. Und ließen die Lorley letztlich doch irgendwie zurück.

Was sie in früheren Jahren immer befürchtete, aufgrund des Schicksals ihrer eigenen Mutter, wurde nach 2005 schließlich traurige Wirklichkeit. Alzheimer bemächtigte sich Zug um Zug ihres messerscharfen Verstandes und nötigte sie verhältnismäßig früh, in einer Seniorenresidenz im Münchner Westen ein neues, letztes Leben -  nicht mehr selbst bestimmt, sondern beständig unter notwendiger Betreuung - zu beginnen. Und am 20. März 2013 zu beenden.

Die junge Studentin von 1982 hat seither nie aufgeführt, neben Beziehung, Beruf und Familie politisch aktiv zu sein. Nach den Jahren bei DER FEMINIST, als langjährige Vorsitzende des Bund für Geistesfreiheit München, als Beirätin der Giordano Bruno Stiftung, als Vize-Präsidentin des hpd e.V., als Redakteurin und Moderatorin bei Radio LoRa München 92,4, als Mit-Unternehmerin mit eigenem Betrieb, als Betreiberin einer Kulturbühne, als Mit-Begründerin eines Kulturvereins und als Mutter ein aktives, selbstbestimmtes und politisches Frauen-Leben zu führen. Wenn Hannelore Mabry, wenn Lorley, nicht gewesen wäre so, wie sie war, wäre dies vielleicht so nie gelungen.

Liebe Lorley, ganz nachdrücklichen Dank für viele, teilweise unverlangte Lehrstunden. Als politische Mutter bleibst Du mir nicht nur in vielerlei Hinsicht unvergessen, sondern einfach unersetzbar.

Assunta Tammelleo