Sind Wissenschaft und Religion miteinander vereinbar? Nein, sagte der Evolutionsbiologe Jerry Coyne und argumentierte für diese Haltung ausführlich bei Edge.org. Daraufhin entbrannte eine Debatte zwischen amerikanischen Intellektuellen um diese Frage. Der „Neue Atheist" Sam Harris beantwortet sie im folgenden Essay und geht dabei satirisch auf seine Mitdiskutanten ein.
Einige Dinge stehen über der Vernunft
Es ist schade, dass Leute wie Jerry Coyne und Daniel Dennett nicht erkennen, wie einfach man Religion und Wissenschaft miteinander vereinbaren kann. Ich verstehe, wie sie ihre fundamentalistische Vernunft geblendet und von tieferen Wahrheiten abgehalten hat. Ich möchte diesen beiden Männern schon lange sagen: „Einige Dinge stehen über der Vernunft. Weit darüber!" Zum Glück hat George Dyson das für mich in einem genialen Essay auf dieser Website getan. Er zerstört die intellektuellen Anmaßungen von militanten Atheisten wie Coyne und Dennett auf die eleganteste Art und Weise, die man sich nur vorstellen kann: Indem er einfach den Titel einer Arbeit aus dem 17. Jahrhundert des großen Robert Boyle zitiert. Als ich ein militanter Neo-Rationalist war, hatte ich den tiefgehenden Eindruck, dass sich meine Kollegen und ich in Bezug auf das Design-Argument nicht genügend mit Boyle befasst hatten und darum öffentliche Demütigung riskierten. Nun ist es passiert...
Die unsterbliche Magie
Bei einer Kleinigkeit bin ich nicht Dysons Meinung, er war bis jetzt nämlich viel zu bescheiden, wenn es darum geht, die Folgen seiner Argumentation offen zu legen. Er hat natürlich recht festzustellen, dass „Wissenschaft und Religion von Dauer sind". Aber auch die Magie ist von Dauer, George: Afrika ist voll davon. Gibt es eine Auseinandersetzung zwischen der wissenschaftlichen Vernunft und magischen Zaubersprüchen? Gibt es, genauer gesagt, eine Auseinandersetzung zwischen dem Glauben, dass Epilepsie ein Ergebnis ungewöhnlicher Gehirnaktivität ist und dem Glauben, dass es sich dabei um ein Zeichen dämonischer Besessenheit handelt? Dogmatiker wie Coyne und Dennett sind klar dieser Meinung. Sie realisieren im Gegensatz zu Dyson nicht: Je besser man die Neurologie versteht, desto besser versteht - und schätzt - man die Dämonologie. Haben Coyne und Dennett die Arbeiten von erfahrenen Magiern wie Aleister Crowley oder Eliphas Levi gelesen? Darauf würde ich nicht wetten. Fragen Sie sich, wie Geist und Materie in irgendeiner Weise im Konflikt stehen könnten? Antwort: Das können sie nicht. Entschuldigen Sie mich, aber ich finde es peinlich, diese Dinge Leuten erklären zu müssen, die angeblich hoch gebildet sind.
Wissenschaftler haben keine Ahnung
Emanuel Derman ermahnt neo-säkulare Militante wie Coyne und Dennett, „nicht länger bei dem Versuch ihre Zeit zu verschwenden, die Gottesidee im Namen der Wissenschaft aufzumischen". Angesichts dieser so umfassenden Dekonstruktion ihrer Arbeit gehe ich davon aus, dass sich Coyne und Dennett für immer verändern werden. Derman erinnert uns mit herausragender Geduld daran, dass Wissenschaftler außerhalb des engen Fokus der wissenschaftlichen Weltsicht keine Autorität besitzen. Kann ein Biologe irgendwelche begründeten Zweifel an der Jungferngeburt Jesu unterhalten? Nein - denn die menschliche Parthenogenese hat überhaupt nichts mit Biologie zu tun. Kann sich ein Physiker eine informierte Meinung über die Wahrscheinlichkeit der Himmelfahrt bilden? Wie könnte er? Die körperliche Translokation in den Himmel erfordert keine Interaktion mit den Naturgewalten. Können entweder ein Biologe oder ein Physiker realistischerweise die kommende Wiederbelebung der Toten bezweifeln? Viele haben es versucht - keinem ist es gelungen. (Bedenken Sie bitte, dass jede Erwähnung von „Entropie" in diesem Zusammenhang bloße Angeberei ist). Wie Derman erkennt, ist es die blankeste Arroganz, die atheistische Wissenschaftler dazu gebracht hat, sich dermaßen zu übernehmen.
Attraktive Männer beweisen Schöpfung
Dieser Austausch bei Edge war ein Festmahl für den Verstand! Denken Sie nur an Lisa Randalls bewegenden Bericht über ihre Flugzeugreise in Begleitung eines „entzückenden jungen Schauspielers", der einfach in seinem Herzen wusste, dass unsere Art nicht von affenartigen Vorfahren abstammt, sondern vom biblischen Adam. Ich beschwöre die Leser, sich länger mit diesen Punkten zu befassen, da Randalls Prosa beinahe bis zur Planck-Skala verdichtet ist. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie es gewesen sein muss, sich in 30 000 Fuß Höhe in Begleitung eines Mannes zu befinden, der Molekularbiologie auf Hochschulniveau studiert. Nun bedenken Sie, dass dieses Wunderkind sowohl Schauspieler von Beruf ist, als auch ein begeisterter Unterstützer von Barack Obama. Und schließlich machen Sie sich klar, dass dieser Fremde an Ihrer Seite die Evolution für nichts weiter hält als ein bösartiges Stück säkularer Propaganda. Ich kann mir vage vorstellen, wie sich Coyne und Dennett nach Lektüre von Randalls Geschichte bis hierhin gefühlt haben.
Logik wird überschätzt
Doch Randall gräbt tiefer:
„Auf Erfahrungen basierende und logisch schlussfolgernde Wissenschaft und Glauben sind zwei völlig verschiedene Methoden, um an die Wahrheit heranzugehen. Sie können einen Widerspruch nur dann feststellen, wenn Ihre Regeln logisch sind. Wenn Sie an die geoffenbarte Wahrheit glauben, dann haben Sie die Regeln verlassen. Es gibt beim besten Willen keinen Widerspruch."
Ich bin zuversichtlich, dass Randalls Abenteuer im Flugzeug einen Wendepunkt markiert in unserem intellektuellen Diskurs. Nicht nur hat sie alle Widersprüche zwischen Wissenschaft und Religion (und Magie, UFO-Kulten, Astrologie, Tarot, Handlesen, etc.) aufgelöst, sie hat auch scheinbar widersprüchliche Religionen miteinander vereinbart. Hindus verehren eine Vielzahl von Göttern; Muslime erkennen nur die Existenz von einem an und sie glauben, dass Polytheismus ein Kapitalvergehen ist. Befinden sich Hinduismus und Islam im Konflikt miteinander? Nur „wenn Ihre Regeln logisch sind". So wie Pfade, die einen Berghang hinaufführen, am Fuße des Berges diskrepant aussehen können, stellen wir fest, sobald wir auf dem Gipfel stehen, dass alle Wege zum selben Ziel geführt haben - so wird es mit jeder Anwendung des menschlichen Verstandes sein! Der Gipfel der Wahrheit erwartet euch, meine Freunde. Wähle einfach deinen Pfad...
Schützt religiöse Gefühle
Und doch gibt es mehr zu sagen gegen Leute wie Coyne, Dennett und Dawkins (er ist der Schlimmste!). Patrick Bateson teilt uns mit, dass es „atemberaubend unsensibel" ist, die religiösen Überzeugungen von Menschen zu unterwandern, die jene Überzeugungen als tröstend empfinden. Ich stimme vollkommen zu. Nur ein Beispiel: In Afghanistan und Pakistan ist es nun eine übliche Praxis, kleine Mädchen für das Verbrechen, zur Schule gegangen zu sein, mit Säure zu blenden und zu entstellen. Als ich ein neo-fundamentalistischer rationaler Neo-Atheist war, hatte ich die Angewohnheit, ein solches Verhalten als ein besonders beschämendes Zeichen religiöser Blödheit zu kritisieren. Ich sehe nun ein - verspätet und zu meiner großen Verlegenheit - dass ich nichts wusste von dem Schmerz, den ein frommer muslimischer Mann beim Anblick junger Frauen empfinden könnte, die Lesen lernen. Wer bin ich, um den öffentlichen Ausdruck seines Glaubens zu kritisieren? Bateson hat recht. Der Glaube an die Unfehlbarkeit des heiligen Koran ist eindeutig unverzichtbar für diese angeschlagenen Menschen.
Am besten, man redet nicht darüber
Warum kann ein militanter säkularistisch-atheistischer Neo-Dogmatist wie Coyne die nackte Wahrheit nicht erkennen? Es GIBT einfach keinen Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft. Und selbst wenn es einen gäbe, so wäre es eine unglaubliche Zeitverschwendung, irgendetwas darüber zu sagen. Lawrence Krauss hat diesen zweiten Punkt jenseits jeden Zweifels etabliert. Gehen sie zurück und lesen sie seinen Aufsatz. Es wird Sie nur fünf Sekunden Zeit kosten. Ich habe ihn 70 Mal runtergelesen und jede Durchsicht bringt frische Einblicke.
Schlussendlich: Ankunft von Kenneth Miller in der Rolle des wahren Gläubigen und Verteidiger seiner Arbeit gegen die unerfahrene Lesung Coynes:
Gottes Wille ist unergründlich
„Ich habe keineswegs argumentiert, dass dieser glückliche Zusammenfluss natürlicher Ereignisse und physischer Konstanten die Existenz Gottes irgendwie beweist - nur, dass sie von einer gläubigen Person als mit dem Göttlichen vereinbar verstanden oder gedeutet werden könnte."
Genau so muss man an einen neo-militanten Rationalisten wie Coyne herangehen. Diese Leute sind einfach besessen davon, die beste Erklärung für die Muster zu finden, die wir in der natürlichen Welt beobachten. Aber der Glaube lehrt uns, dass das Beste, leider, oft der Feind des Guten ist. Zum Beispiel fragen Leute wie Coyne, ob die Datenlage, dass Viren zehn Mal so häufig vorkommen wie Tiere und dass ein einziger Virus wie Grippe 500 Millionen menschliche Wesen im 20. Jahrhundert getötet hat (viele von ihnen Kinder), am besten mit Hilfe eines allwissenden, allmächtigen, allguten Gottes erklärt werden kann, der die Menschheit für seine geliebteste Schöpfung hält. Falsche Frage, Coyne! Sehen Sie, die Weisen haben zu fragen gelernt, wie auch Miller, ob es angesichts der Fakten einfach nur möglich ist, dass ein mysteriöser Gott mit einem unergründlichen Willen die Welt erschaffen haben könnte. Natürlich ist es das! Und das Herz frohlockt...
Gott mag Schmelzkäse
Natürlich darf man es mit dieser erhabenen Untersuchung nicht zu weit treiben. Manche haben die Frage aufgeworfen, ob es möglich ist, dass ein mysteriöser Gott mit einem unergründlichen Willen nur an Dienstagen arbeitet, oder ob Er besonders auf Schmelzkäse steht. Es besteht kein Zweifel, dass auch solche Offenbarungen möglich sind - und bevorstehen könnten. Aber sie tragen nicht zu Freude, Keuschheit, Homophobie, oder anderen irdischen Werten bei - und darum geht es ja. Männer wie Coyne und Dennett übersehen diese theologischen Nuancen. Tatsächlich darf man befürchten, dass sie geboren wurden, um eben diese Nuancen zu übersehen.
Man kann, muss alles glauben
Miller erkennt auf der anderen Seite an, dass jeder Wissenschaftler die Freiheit hat, die Welt so zu sehen, wie er oder sie das möchte: Wenn Francis Collins zum Beispiel glauben möchte, dass der historische Jesus tatsächlich von den Toten auferstanden ist und noch immer in ätherischer Form existiert, was ihn scharfsichtig und der Masturbation gegenüber leicht abneigend macht, dann weichen diese Überzeugungen nicht einmal ein bisschen von seiner Statur als Wissenschaftler ab. Ein Mann wie Dawkins, der vor langer Zeit als strenger Anhänger des biologischen Naturalismus entblößt wurde, mag sich dazu entschließen, solche Dinge nicht zu glauben. Das ist seine Entscheidung. Doch angesichts seiner entschlossenen Leugnung des erstandenen Christus - und, wahrlich, der bloßen Existenz eines liebenden und fürsorglichen Schöpfers - ist Dawkins nicht in der Position, Collins Ansatz zu kritisieren, weil er einfach keinen inneren Einblick hat, wie brüchig die wissenschaftliche Vorstellungskraft werden kann, sobald sie vom christlichen Glauben herausgefordert wird.
Der Böse Blick
Miller ist besonders gut darin, die wissenschaftliche Vernunft von jeder anderen Art menschlicher Erkenntnis zu trennen. Es ist von zentraler Bedeutung für den Leser zu verstehen, dass die Wissenschaft ein Gewerbe ist: Was ein Wissenschaftler glaubt, ist bedeutungslos, solange er seine wissenschaftliche Arbeit sauber macht. Das war schon ein Stolperstein für zahlreiche Möchtegern-Intellektuelle, die sich einbilden, dass Wissenschaft etwas mit einem umfassenden Verständnis des Universums zu tun haben könnte, oder dass die Kenntnis der Quantität und Qualität von Belegen vielleicht keine Grenzen kennt. Womöglich wird eine Analogie hilfreich sein: Sagen wir einmal, ein Herzchirurg glaubt, dass Autounfälle nicht von menschlicher Unachtsamkeit, versagenden Bremsen, etc. ausgelöst werden, sondern durch den Bösen Blick. Würde das seine Statur als Arzt verringern? Natürlich nicht - weil Herzchirurgie nichts zu tun hat mit den Indiskretionen zwischen Auto und Fahrer. Wie Miller sagt: „Die wahre Frage lautet, ob die Meinung eines Wissenschaftlers über Gottes Existenz mit seiner wissenschaftlichen Arbeit inkompatibel ist. Das ist sie eindeutig nicht." Ja, das ist so eindeutig wie die aufgehende Sonne. Ich würde nur hinzufügen, dass der Glaube an den Bösen Blick problemlos vereinbar ist mit der modernen Medizin - mit der möglichen Ausnahme der Augenheilkunde. Manche haben dies die „Balkanisierung der Epistemologie" genannt. Ich denke, dass Begriffe wie „Epistemologie" überbewertet sind. Und das denken auch die meisten Amerikaner.
Die tiefgründigste Frage
Endlich gelangt Miller zur tiefgründigsten Frage von allen:
„Man kann sich in der Tat die Wissenschaft in jeder Hinsicht zu eigen machen und trotzdem noch eine tiefergehende Frage stellen, eine, für die sich Coyne nicht zu interessieren scheint: Warum funktioniert die Wissenschaft? Warum ist die Welt um uns herum auf eine Weise organisiert, die sie unseren logischen und intellektuellen Kräften zugänglich macht?"
Ich habe mich oft gefragt, warum das Gehen geht. Warum ist die Welt auf eine Weise beschaffen, dass wir auf ihr herumlaufen können? Und warum sollten unserer Fähigkeit, uns derart frei zu bewegen, Grenzen gesetzt sein, wie etwa jene, die uns die höchsten Höhenlagen aufnötigen? Tatsächlich hielt ich dieses Thema meiner doktoralen Disseration für angemessen, wurde jedoch auf grausame Weise durch einen fantasielosen Berater davon abgebracht. Und doch meine ich, geht Millers Frage sogar noch tiefer. Männer wie Coyne und Dennett haben ihre Augen von der Antwort eindeutig abgewandt - eine Antwort, auf die über 90% ihrer am wenigsten gebildeten Nachbarn ohne Probleme gekommen sind: Das Universum ist für die Vernunft erkennbar, weil der Gott Abrahams es so erschaffen hat. Dieser Gott, der einst eine Vorliebe für Menschenopfer an den Tag legte und dessen einzige direkte Kommunikation mit der Menschheit (durch die Bibel, vertreten durch den Heiligen Geist) nicht das geringste wissenschaftliche Verständnis preisgibt, hat uns trotzdem die geistige Fähigkeit eingeflößt, um hierauf seinen wundervollen und Furcht einflößenden Kosmos in wissenschaftlichen Begriffen zu erfassen. Warum die Wissenschaft nun als der größte Agent der Abschwächung religiösen Glaubens in der Welt angesehen worden ist und warum die Wissenschaft von religiösen Menschen in beinahe allen Kontexten als Bedrohung angesehen wurde, das ist eines der letzten Mysterien, die menschlicher Analyse nicht zugänglich sind. Wenn Gott von uns erwartet hätte, dass wir gute und schlechte Gründe, etwas zu glauben, unterscheiden können, so meinte ich oft, hätte er diesen Unterschied für jeden verständlich gemacht.
Was nicht passt, ...
Das Universum ist vollkommen und widerspruchsfrei. Was auf einer Ebene der Physik oder Biologie als ein Widerspruch erscheinen kann, wird stets durch höhere vibrierende Energien miteinander vereinbart, oder, wie Miller hervorhebt, durch „Wunder". Wunder, wie man kaum zu erwähnen braucht, sind genau die Art von Ereignissen, die sich dem rationalen Verständis entziehen und die jeden, der ein umfassendes Verständnis der Welt anstrebt, an ihnen zweifeln lassen würde. Das heißt also, wenn Jesus von einer Jungfrau geboren wurde, die Toten auferweckte, selbst von diesen nach einem kurzen Zwischenspiel auferweckt wurde, dann körperlich in den Himmel gefahren wäre und daraufhin von dort oben Juden und Homosexuellen für zwei Jahrtausende ein beständiges Misstrauen gegenüber unterhalten hätte - das wäre genau die Art von Ereignissen mit geringer Wahrscheinlichkeit, von denen Leute wie Coyne, Dennett und Dawkins annehmen würden, dass sie sich niemals zugetragen haben. Das bedeutet, dass die Zweifel von fundamentalistisch-atheistischen, rationalistisch-neo-humanistischen säkularen Militanten die Wunder von Jesu' Wirken tatsächlich plausibler machen, als sie es andernfalls wären. Jerry, Dan, Richard - bitte macht euch darüber einmal Gedanken.
Sam Harris
Quelle: Edge.org
Übersetzung: Andreas Müller
Die Neuen Atheisten
Zur Übersicht