Wirtschaften zwischen Humanität und Profit

FALKENREHDE. Auf der Jahrestagung 2007 der Freien Akademie „Mensch und Ökonomie - Wirtschaften zwischen Humanität und Profit", die

dieses Mal in einem Landhotel in Falkenrehde nahe Berlin stattfand, traten Kenner aller heute bedeutsamen Wirtschaftssysteme miteinander und mit einer interessierten Teilnehmerschaft vier Tage lang ins Gespräch.

Kenner des ordo-Liberalismus (Fritz Andres), der Freiwirtschaft (Roland Geitmann), des Marxismus (Thomas Marxhausen) sowie profane (Walter Ötsch, Bernd Senf) und ein theologischer Kritiker des Neoliberalismus (Wilhelm Guggenberger) rangen um die Analyse der herrschenden ökonomischen Verhältnisse und bedachten hilfreiche Reformschritte hin zu einer Harmonie zwischen Mensch und Ökonomie ohne Armut und ökologischen Raubbau.

Fritz Andres problematisierte die von der Gemeinschaft nicht legitimierte private Macht in der Wirtschaft durch Monopolstellungen und Kartellisierung sowie durch Anhäufung von Kapital. Wer das Gleichgewicht von Preis und Leistung stören kann, der hat Macht, die nicht sein darf. Die Freiheit aller Interessen ist nur zu verwirklichen im macht-losen Raum. Andres plädierte daher für eine Entmachtung der Wirtschaft und einen ordnungspolitisch starken Staat. Über die Politik müsste der demokratische Rechtsstaat solche Strukturen vorgeben, damit die Bevölkerung in den ökonomischen Verhältnissen leben könne, die von ihr gewollt werden. Dazu gehöre es, den Boden künftig nicht mehr als privates Eigentum zum Objekt der Spekulationen zu degradieren, sondern ihn im Erbbaurecht dem besten Nutzer in die Hände zu geben.

Roland Geitmann zeigte, wie nicht nur der Boden, sondern auch das Geld durch eine Leihe ohne Zinsen als öffentliches Mittel jedem gleichermaßen zugänglich gemacht werden sollte. Er berief sich in seiner Auffassung sowohl auf die altisraelitischen Sabbat- und Erlassgesetze in den biblischen Büchern Moses als auch auf die dieser Gesetzgebung entsprechenden Theorie vom „rostenden Geld" des Sozialökonomen Silvio Gesell (1849-1933). Demnach dürfe nicht das Parken von Geld auf der Bank mit Zinsgewinnen belohnt werden, sondern müsse umgekehrt durch einen negativen Zins dieses öffentliche Gut unter Angebotsdruck gebracht werden, so dass nur das Geld, das fließt, seinen Wert behält. So würde nicht nur der Boden, sondern auch das Geld beim besten Nutzer und nicht beim mächtigsten Spekulanten sitzen.

Marxhausen entfaltete, wie der Marxismus auch heute noch für die Analyse wirtschaftlicher Vorgänge erhellend ist, jedoch - jedenfalls unter Rückgriff auf die Klassiker Marx und Engels - kaum Anregung für hilfreiche Reformen geben könne. Hierzu seien die Neomarxisten einzubeziehen, bei denen auch moderne Begriffe wie ‚Zivilgesellschaft' im marxistischen Denkhorizont aufgenommen seien. Jedenfalls kann Marx dem Menschen helfen, Ursachen seiner Fremdbestimmung zu erkennen und mehr Selbstbestimmung im ökonomischen Prozess zu erringen. Es gehe zum einen darum, die Kluft zwischen dem Armen, der seine Arbeit zu Markte tragen muss, und dem Reichen, der sich fremde Arbeit aneignen kann, (= sozialökonomische Auffassung von Armut) zu überwinden; zum anderen gelte es zu erkennen, dass im Kapitalismus jeder arm sei, auch der, der sich fremde Arbeit aneignen kann, weil jeder nach der Logik des Kapitals und damit unfrei handeln muss (= geschichtsphilosophische Auffassung von Armut). Mit dem ordo-Liberalismus und gegen die theologische Neoliberalismuskritik behauptet der Marxist, dass nicht das menschliche Wesen für die Armut ursächlich sei, sondern die sich zunehmend verselbständigenden kapitalistischen Verhältnisse. Daher verpufft die Anrufung der Vernunft und gleicht eine Demonstration gegen den Kapitalismus gleich einer Demonstration gegen die Gravitationsgesetze. Wie ändern sich aber die Verhältnisse? Möglicherweise aus sich selbst heraus.

Ötsch zeigte, wie der Neoliberalismus dem Menschen per Manipulationen, Propaganda und Suggestionen „den Markt" mit seinen anscheinend unantastbaren Gesetzen vorgaukelt. Im Unterschied zum ordo-Liberalismus plädierte Ötsch im wirtschaftspolitischen Bereich sowohl für wenig Macht beim Staat als auch in der Privatwirtschaft. Es gelte in diesem Bereich die Autonomie des Einzelnen und der Gesellschaft zu stärken. Gegen die neoliberale Logik ist der Mensch nämlich kein Roboter oder Computer, der Markt-„Gesetzen" gehorche, sind seine ökonomischen Interaktionen nicht mechanistisch und ist die Welt keine (Geld-)Maschine, sondern dynamisch. Daher könne der Kapitalismus durch einen Werte-Diskurs entmachtet werden und die Priorität der Politik wieder hergestellt werden.

Der Vertreter einer alternativen Volkswirtschaft Bernd Senf stimmte mit Ötsch darin überein, dass der Mensch in neoliberalen Theoriebildungen kaum vorkomme und schon gar nicht als selbstbestimmt handelndes Subjekt. Nach seiner Auffassung reflektieren die Wirtschaftswissenschaften das herrschende Geschehen nur systemimmanent mit Fragen, wie dies zu optimieren sei, ohne es auch kritisch von außen zu betrachten, um dann auch die Schwächen der liberalen Ökonomie im Bereich des Humanen zu erkennen.

Der Innsbrucker katholische Sozialethiker Wilhelm Guggenberger setzte der neoliberalen Logik von der Ökonomie der Knappheit (der Waren und der Zeit) eine theologische Ökonomie der Fülle entgegen und entfaltete eine „Ethik des Genug", mit der der Mensch statt ewig unbefriedigter Begierde Zufriedenheit finde. Die kapitalistische Ökonomie der Knappheit konzentriert sich auf die Seite des Vorrats; (oft künstlich erzeugte) Knappheit richtet hier das Ich gegen das Du, das Wir gegen das Sie und schafft soziale Probleme, Konflikte und Krieg. Knappheit der Güter und der Zeit lässt die Preise und die Gewinne steigen. Die Ökonomie der Fülle konzentriert sich auf die Seite der Bedürfnisse. Von dieser Seite aus ist eine qualitative statt einer quantitativen Betrachtung des Lebens möglich. So kann der Mensch ein Genug finden. Das Problem der Knappheit, und damit die Aggressivität des Kapitalismus, ist wohl nur von der Seite der Bedürfnisse her zu lösen. Strukturen, die die kapitalistische Macht bändigen können, wie etwa in ordo-Liberalismus oder Freiwirtschaft vorgeschlagen, seien willkommen, müssten aber erst gewollt werden. Daher stünden im Zentrum der Ökonomie ethisch motivierte Menschen und nicht Strukturen.

Die Tagung befasste sich aber nicht nur auf intellektueller Ebene mit der Verbindung von Mensch und Ökonomie. Gunter Willing, der in Thailand die Lebensverhältnisse gesellschaftlich marginalisierter Frauen untersucht, zeigte auf, wie sich Neoliberalismus und Turbokapitalismus, deren destruktive Macht wir Konsumenten über den Kauf von Billigprodukten von dort erzeugen, in Südostasien auswirkt. Das viele Kapital aus USA und Europa, das in Südostasien vagabundiert, führt zu einer Fremdbestimmung dieser Weltregion.

Eine weitere praktische Anschauung der Verbindung von Mensch und Ökonomie, jetzt positiver Art, stellte eine Exkursion zur genossenschaftlichen Obstbausiedlung in Eden bei Oranienburg dar. Hier wurde deutlich, wie ein Zusammenleben auf der Basis des Erbbaurechts statt des Privateigentums an Boden zu ökonomischer Prosperität statt zur Sortierung der Menschen in Arm und Reich führen kann.

Und selbst der musische Abend der Familien Inderfurth und Menke während der Tagung war eine praktische Anschauung für den relativen Stellenwert wirtschaftlichen Strebens. Denn dieser wunderbare Abend zeigte allen Teilnehmern der Tagung klar, dass der Mensch doch ein Kulturwesen ist und die Ökonomie nicht das letzte Wort hat.

Das Buch zur Tagung (Preis: 15,00 EUR) kann vorbestellt werden bei der Geschäftsstelle der Freien Akademie.

Dieter Fauth,
wissenschaftliche Tagungsleitung