Am 26. März fand in Halle eine Fachtagung zum Thema "Gemeinsame Kämpfe im Exil: Säkularismus und Feminismus" statt. Eingeladen hatten Projekt 48. Forum für Aufklärung, Emanzipation und Skepsis und der Hallenser Dornrosa. Gekommen waren 15 Expert:innen aus verschiedenen politischen Bereichen, um miteinander über Strategien zu diskutieren, wie säkularistische Politikansätze wieder in die Offensive gebracht werden können.
Die Veranstaltung war in zwei thematische Blöcke aufgeteilt: Säkularismus und Feminismus. Dass die beiden Themen vielfach aufeinander bezogen sind und als politische Ziele nur im Paket durchzusetzen sind, war eine der Erkenntnisse, die aus den Debatten des Tages hervorging. Eingeleitet wurden die Diskussionsrunden jeweils mit zwei Impulsreferaten, die von "Säkularen im Exil" gehalten wurden. Hier wurde schnell eine zweite Sache deutlich: Wer sein Geburtsland verlassen muss, weil das eigene politische Engagement mit der religiösen Rechten in Konflikt gerät, muss in Deutschland schnell feststellen, dass deren Einfluss hier größer ist, als das Bild eines modernen Industriestaates mit formaler Trennung von Staat und Kirche und einer Bevölkerung mit nur noch geringer kirchlicher Bindung vermuten lässt.
Säkularität in der arabischen Welt
Zunächst sollte aber die Idee des Säkularismus genauer umrissen werden, um zu klären, ob der Begriff in den verschiedenen Kultur- und Sprachräumen mit denselben Vorstellungen verbunden ist. Die ersten beiden Vorträge befassten sich dafür beispielhaft mit dem arabischen Raum und insbesondere mit Syrien. Hammoud Hammoud zeigte einige Aspekte auf, warum sich eine moderne Säkularität in den arabischen Staaten nicht durchsetzen konnte. Da der Dekolonisierungsprozess als einen Aspekt der Abgrenzung gegenüber den Kolonialmächten häufig die Rückbesinnung auf vermeintlich "eigene" religiöse Traditionen enthielt, kam es in dessen Zuge zu einer neuen "Konfessionalisierung" der Länder des Nahen Ostens. Da zugleich autoritäre Regime mit säkularem Anstrich an die Macht kamen, die de facto den ehemaligen Kolonialmächten und den lokalen Eliten dienten, war das Konzept Säkularismus belastet.
Als ein Beispiel für ein solches Regime stellte Tarek Azizeh Syrien vor, das vom Assad-Clan als säkularer Staat inszeniert wird. Doch auch wenn Syrien sich deutlich von den religiös geprägten Diktaturen der Region unterscheidet, finden sich in der politischen Ordnung zahlreiche religiöse Vorgaben (so muss der Staatspräsident Muslim sein und die Scharia spielt bei der Gesetzgebung eine Rolle). Die zivilgesellschaftlichen Akteure vertreten (oder vertraten bis zum Ausbruch des Krieges, der für viele, wie auch den Referenten, den Gang ins Exil bedeutete) ein anderes Konzept von säkularer Gesellschaftsordnung.
In einem kurzen Co-Referat ergänzte Ahmed Nadir die Perspektive bengalischer Blogger. Auch er beschrieb, dass die Religion in den letzten Jahrzehnten vor allem in ihren fundamentalistischen Varianten an Bedeutung gewonnen hat und eines der Ziele der säkularen Blogger war, "Areligiosität" als Lebenskonzept öffentliche Akzeptanz zu verschaffen (was, wie die über 30 Morde der letzten Jahre zeigen, gescheitert ist).
In der weiteren Debatte ging es dann, abgesehen von einer Kritik an Schwächen sogenannter postkolonialer Analysen, weniger um theoretische Fragen als vielmehr um die Stellung säkularer Migrant:innen und Geflüchteter in Deutschland. Dabei wurde deutliche Kritik an den säkularen Verbänden laut, die zu einer stärkeren Zusammenarbeit aufgefordert wurden. Dem deutschen Staat, der Eingewanderte immer noch mit der Religion ihrer Herkunftsländer identifiziert, warfen die säkularen Migrant:innen diesen stereotypen Blick vor.
Gleichberechtigung und Frauenrechte
Am Nachmittag ging es um die besondere Situation der Frauen. Naïla Chikhi erläuterte anhand der Entwicklung in nordafrikanischen Staaten, warum Religion für viele Frauen zum Fluchtgrund wird. In diesen Staaten war die Familienpolitik schon immer eine Domäne der Konservativen, seit einiger Zeit ist sie aber zunehmend islamistisch geprägt. In der Folge würden selbst die "minimalen säkularen Errungenschaften" immer heftiger angegriffen.
Alia Ahmad betonte, dass Frauenrechte in Deutschland für migrierte Frauen nur sehr eingeschränkt gelten. Gleichzeitig sei aber festzustellen, dass auch die migrantischen Selbstorganisationen nicht selbstbestimmt agieren, da sie oft den Erwartungen ihrer Geldgeber:innen unterliegen. Zudem sei es ein Irrtum, dass Migrant:innen als homogene Gruppe anzusehen seien, es gebe ein breites Spektrum an Auffassungen, die keineswegs alle Gehör finden. Gerade säkulare Migrant:innen und deren Kinder erfahren in Deutschland eine doppelte Diskriminierung: Für Deutsche sind sie oft die "Fremden", für die vermeintlich "eigene" Community die Abweichler:innen.
Auch Alia Ahmad kritisierte kurzschlüssige Bewertungen vor allem sogenannter intersektionaler Kreise. Die Tatsache, dass verschleierte Frauen die ersten Opfer rassistisch motivierter Übergriffe seien, dürfe nicht dazu führen, den Hijab als Kleiderordnung zu verteidigen oder sogar den Hijab Day zu unterstützen. Eine angemessene politische Analyse müsse dies trennen können.
Was tun?
Die Diskussion über mögliche Strategien verlief sehr lebhaft, die professionelle arabische und englische Übersetzung sorgte dafür, dass alle gleichberechtigt teilnehmen konnten. Unter den vielen teils eher allgemeinen, teils sehr konkreten Vorschlägen ließ sich kein "Königsweg" finden. Aber das war wohl auch allen Beteiligten im Vorhinein klar gewesen. Jedenfalls kam das Bedürfnis unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Tagung nicht nur dokumentiert werden sollte, sondern auch – dann möglichst in breiterem Rahmen – eine Fortsetzung finden sollte. Als Fazit formulierte Nicole Thies, die in beiden beteiligten Vereinen im Vorstand tätig ist: "Wir haben nicht auf alle drängenden Fragen eine Antwort gefunden. Aber wir haben den Anfang gemacht, um politische Veränderungen herbeizuführen."