Projekt 48. Forum für Aufklärung, Emanzipation und Skepsis.

"Unser vorrangiges Ziel sind Kooperationen"

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Nicole Thies, Vorsitzende des Vereins "Projekt 48".

Seit Mitte Januar gibt es einen neuen Verein, der in der "säkularen Szene" verortet werden kann: Projekt 48. Forum für Aufklärung, Emanzipation und Skepsis. Diese Woche tritt er erstmals mit einer Aktion zum World Atheist Day und einer Fachtagung zu Säkularismus und Feminismus in Erscheinung. Über Selbstverständnis, Ziele und die Einschätzung der politischen Situation hat der hpd mit der Vorsitzenden Nicole Thies gesprochen.

hpd: Die säkulare Szene zeichnet sich durch eine Vielzahl an Verbänden aus, die nicht einmal alle in einer Dachorganisation zusammenarbeiten. Manche sprechen sogar von Zersplitterung. Kannst du mir erklären, warum es noch einen Verein gebraucht hat?

Nicole Thies: Frischen Wind hineinbringen, kann bewegen. Wir haben den neuen Verein gegründet, um Themen zu bearbeiten, die von den anderen Playern aufgrund inhaltlicher Konzentration oder Schwerpunktsetzung nicht behandelt werden. Sicher gibt es einige Schnittmengen. Uns geht es um die Leerstellen. Der Feminismus ist so ein blinder Fleck in der Szene, der nur allzu oft wie ein "Nebenwiderspruch" oder eine Nebenbaustelle behandelt wird. Wir sind mit einem anderen politischen Anspruch angetreten.

Das klingt für mich aber doch nach "Konkurrenz". Wo wollt ihr denn die Mitglieder für euren Verein herbekommen?

Wir haben den Verein Projekt 48. Forum für Aufklärung, Emanzipation und Skepsis. nicht gegründet, um den bestehenden Vereinen Mitglieder abzuwerben. Unser vorrangiges Ziel sind Kooperationen. Wir verstehen uns eher als Förderverein, der konkrete Ideen und einzelne Projekte als Träger umsetzt und finanziert. Dabei sehe ich nicht, dass wir in Konkurrenz um Mitgliedsbeiträge treten.

Wir haben uns bewusst für eine schlanke Struktur entschieden, in der wenige, aber aktive Menschen schnell Rücksprache halten können und auf kurzen Wegen Entscheidungen getroffen werden. Ich will damit nicht sagen, dass wir einem blinden "Aktionismus" folgen. Es geht uns nicht darum, breit oder medien- und öffentlichkeitswirksam Kampagnen loszutreten oder aufzuspringen. Wir wollen mit Menschen aktiv gesellschaftspolitisch wirken und gesellschaftliche Umstände aus naturwissenschaftlich-naturalistischer Perspektive kritisieren und verändern.

Wo genau innerhalb des säkularen Spektrums würdet ihr euch verorten?

Am linken Rand (lacht). Ganz ernsthaft, in den letzten Jahren hat Identitätspolitik einen großen gesellschaftlichen und politischen Einfluss entwickelt, der sich zum starken Gegenwind für Religionskritik und säkulare Haltungen entwickelt hat. Die berechtigte Kritik an den Privilegien, die Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland genießen, wird immer verhaltener und leiser. Gerade weil der Vorwurf, rassistisch, antimuslimisch-rassistisch, transfeindlich etc. zu sein, einzelne Mitstreiter:innen einschüchtert. Die Relevanz dieser identitären Bewegungen wird in der säkularen Szene weithin unterschätzt. Das Eisen ist heiß. Die Abgrenzung zu rechter Religionskritik ist manchmal unscharf. Also noch so ein blinder Fleck.

Die Abgrenzungsfrage stellt sich auch aus naturwissenschaftlich-naturalistischer Perspektive. Elitäre, poststrukturalistische und postkolonialistische Uni-Diskurse haben "biologistisch" und "die weißen Männer der Aufklärung" unter anderem zu Kampfbegriffen erhoben. Das sind Kampfansagen an empirische und evidenzbasierte Ansätze und materialistische Geschichtsauffassungen. Da bedarf es gar nicht mehr der Querdenker:innen oder Verschwörungstheoretiker:innen, um Wissenschaftsfeindlichkeit festzustellen. Beispielsweise schon 2007 habe ich mit Mitstreiter:innen diese Wissenschaftsleugnung der Kreationist:innen auf dem Trierer Kongress und im Tagungsband beim Alibri Verlag thematisiert. Solche Projekte wollen wir anregen, unterstützen und fördern.

Aber zurück zur Verortung: Wir stehen für die Abschaffung der Privilegien von Kirchen und Religions- und Glaubensgemeinschaften. Wer die derzeitigen Diskriminierungsdiskurse auch für die Anerkennung ungläubiger oder säkularer Menschen als Minderheit mit Partikularinteressen nutzt, wird die Gesellschaft nicht verändern. So werden die Privilegien nicht abgeschafft.

Wenn ich mir euer Konzept so ansehe, habe ich den Eindruck, ihr arbeitet euch an Konflikten ab, die längst zugunsten von mehr Säkularität entschieden sind. Die Kirchen verlieren Zustimmung und Mitglieder, für viele Menschen ist Religion kein politischer Faktor mehr und als sichtbaren Ausdruck dessen schafft die Ampelkoalition den Paragraphen 219a StGB ab. Seid ihr angetreten, um die Kämpfe des 19. Jahrhunderts nochmal zu führen?

Die Frage stellt sich mir nicht. Denn weder das 19. noch das 20. Jahrhundert hat Frauenrechte als Menschenrechte grundsätzlich und universell durchgesetzt. Noch haben wir einen nennenswerten Durchbruch bei der Trennung von Staat und Religion erreicht. Also führen wir den Kampf im 21. Jahrhundert weiter. Stellt sich also die Frage nach den Mitteln.

Ja, scheint so, als würde die jetzige Ampelkoalition den Paragraphen 219a kippen. Ich bewerte dies jedoch als Schwächung für den Teil der Frauen- und Menschenrechtsbewegung, die den Paragraphen 218 aus dem Strafgesetzbuch streichen will. Denn perspektivisch führt die Streichung von Paragraph 219a nicht dazu, dass Abbrüche für alle Frauen frei und (gesundheitlich) sicher zugänglich sind. Die Situation besteht fort, dass nur wenige Angebote von Verhütung bis Schwangerschaftsabbruch zur Verfügung gestellt werden. Fakt ist: Die Attacken der religiösen Rechten bleiben soziale Realität, der sich viele Ärzt:innen und Klinken nicht aussetzen wollen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Widerspruch zwischen dem Säkularisierungsgrad in unserer Gesellschaft und der Forderung nach Trennung von Staat und Kirche oder dem Neutralitätsansatz.

Dass weniger Menschen gläubig sind, ist politisch, sozial sowie bildungs- und gesundheitspolitisch betrachtet kein Selbstläufer. Die Zahlen und Einstellungen führen eben nicht zwangsläufig dazu, dass Entscheidungen rational gefällt werden. Ich bemühe noch mal den Vergleich mit den Querdenker:innen und Verschwörungstheoretiker:innen. Denn bei allem Einfluss der Anthroposoph:innen kann nicht von einer religiösen Bewegung im engeren Sinne gesprochen werden, vielmehr steht dahinter die schon benannte Wissenschaftsskepsis oder -feindlichkeit. Um dieses gesellschaftliche Phänomen zu begreifen, bedarf es der Gesellschaftsanalyse und der Veränderung innerhalb der Gesellschaft.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte plant ihr konkret umzusetzen?

Der schon erwähnte Feminismus und die universalistische Forderung nach Gleichstellung und Gleichberechtigung als Menschenrecht steht klar in dem Kontext universeller Geltung von Menschenrechten. Diesen internationalen und transnationalen Aspekt werden wir in der Tagung "Gemeinsame Kämpfe im Exil: Säkularismus und Feminismus" am 26. März 2022 in Halle (Saale) aufgreifen. Ziel ist die Interessenvertretung, ohne Identitätspolitik zu stärken. Wir wollen im Exil lebende Aktivist:innen mit Vertreter:innen deutscher, säkularer Organisationen ins Gespräch bringen, um Probleme zu analysieren und nach gemeinsamen Strategien zu suchen, politische Veränderungen herbeizuführen.

Und mit welchen Mitteln wollt ihr eure Ziele umsetzen?

Die angesprochene Interessenvertretung ist wesentlicher Teil, aber auch die Netzwerkarbeit erscheint uns zentral, um unsere gemeinsamen Ziele gesellschaftsverändernd umzusetzen. Dabei sehen wir uns als Organisation, die Informationen bereitstellt, von Recherche über wissenschaftliche Vertiefung bis zur allgemeinverständlichen Aufbereitung. Ein Mittel hierfür ist nach unserem Ermessen, Publikationen, ob online oder in gedruckter Form, zu fördern. Hierfür haben wir eine enge Zusammenarbeit mit dem Alibri Verlag ins Auge gefasst.

Heute führt ihr zusammen mit dem Alibri Verlag eine Online-Aktion zum Atheist Day durch und verweist auf die Verfolgung von Atheist:innen weltweit. Ließe sich das nicht auch als "Identitätspolitik" bezeichnen?

Ein erster Schritt ist tatsächlich, den World Atheist Day am 23. März stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Atheismus ist in zahlreichen Staaten noch immer lebensgefährdend, wird strafrechtlich verfolgt und gesellschaftlich geächtet. Menschen, die sich atheistisch positionieren, werden stigmatisiert und ausgegrenzt. Wir wollen Ungläubigen, Kämpfer:innen und Mitstreiter:innen für Menschenrechte ein Gesicht und eine Stimme geben.

Ob das Identitätspolitik ist? Aus der Perspektive Interessenpolitik oder der Anerkennung von Partikularinteressen kann diese Social-Media-Aktion diesen Vorwurf einfahren. Aber der "ideologische" Ansatz dahinter ist ein anderer. Uns geht es um die universellen, unteilbaren Menschenrechte und die Frage danach und Kritik daran, welche Autoritäten – auch Gruppen – sich aufschwingen, einzelnen Individuen ihr Selbstbestimmungsrecht abzusprechen. Wir zielen darauf ab, die Gesellschaft in diesem Sinne grundlegend zu verändern, nicht Sonderrechte für wen auch immer zu etablieren.

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