Eine Geschichte der Gewalt

Wir leben heute in der friedlichsten Zeit, seit es Menschen gibt. Steven Pinker fragt: Warum?

 

Einleitung

In diesem Artikel geht der Psychologe, Sprachwissenschaftler und Bright Steven Pinker der Frage nach, warum die Gewalt weltweit immer mehr abnimmt. Steven Pinker ist Johnstone Family Professor in der psychologischen Fakultät der Harvard University. Sein neuestes Buch ist "Das unbeschriebene Blatt. Die moderne Leugnung der menschlichen Natur". Es gibt auch einen Vortrag von Pinker zum vorliegenden Thema.

 

Eine Geschichte der Gewalt
von Steven Pinker

Im Paris des 16. Jahrhunderts war Katzenverbrennen eine beliebte Unterhaltungsform. Dabei wurde auf einer Bühne eine Schlinge um eine Katze gebunden und sie wurde langsam in ein Feuer hinab gelassen. Laut dem Historiker Norman Davies „brüllten die Zuschauer vor Lachen, darunter Könige und Königinnen, als die Tiere, während sie vor Schmerzen schrien, erst angesengt, dann geröstet und schließlich zu Asche verbrannt wurden." Heute wäre ein solcher Sadismus in den meisten Teilen der Erde undenkbar. Wie sich das Einfühlungsvermögens hier verändert hat, ist nur ein Beispiel für den vielleicht wichtigsten und am meisten unterschätzten Trend der menschlichen Geschichte: Die Gewalt nimmt schon seit vielen Jahrzehnten ab und heute leben wir in der wahrscheinlich friedlichsten Zeit, seit es unsere Spezies auf der Erde gibt.

Im Zeitalter von Darfur und Irak und kurz nach dem Jahrhundert von Stalin, Hitler und Mao scheint die Behauptung, dass die Gewalt immer mehr abgenommen hat, irgendwo zwischen halluzinatorisch und obszön zu liegen. Und doch lassen aktuelle Studien, welche versuchen, das Auf und Ab der Gewalt in der Geschichte zu erfassen, genau diesen Schluss zu.

Ein Teil der Belege lag die ganze Zeit vor unserer Nase. Die herkömmliche Geschichtsforschung zeigte schon lange, dass wir in vielerlei Hinsicht immer netter und freundlicher wurden. Grausamkeit als Unterhaltung, Menschenopfer, um dem Aberglauben Genüge zu tun, Sklaverei als Mittel, um sich Arbeit zu ersparen, Eroberung als höchstes Ziel einer Regierung, Völkermord zur Gewinnung von Wohnraum, Folter und Verstümmelung als gewöhnliche Strafe, die Todesstrafe für kleine Vergehen und Meinungsverschiedenheiten, Auftragsmord als Methode der Amtsnachfolge, Vergewaltigung als Kriegslohn, Verfolgungen als Frustrationsventil, Totschlag als Hauptmittel der Konfliktbewältigung - all diese Elemente gehörten für den größten Teil der menschlichen Geschichte zum Leben. Heute jedoch sind sie selten bis nicht existent im Westen, sehr viel weniger gewöhnlich im Rest der Welt als sie es vorher waren, sie werden verschleiert, wenn sie geschehen und breit verurteilt, wenn sie ans Licht kommen.

Einstmals wurden diese Fakten weithin anerkannt. Sie waren die Quelle von Gedanken wie Fortschritt, Zivilisation und dem Emporstieg des Menschen aus Wildheit und Barbarei. In letzter Zeit haben diese Ideen damit begonnen, abgedroschen zu klingen, gefährlich sogar. Sie scheinen Leute aus anderen Zeitaltern und Orten zu dämonisieren, koloniale Eroberung und andere ausländische Abenteuer zu lizenzieren und die Verbrechen der eigenen Gesellschaften zu verschleiern. Die Doktrin des Edlen Wilden - die Idee, dass Menschen von Natur aus friedlich und von modernen Institutionen verdorben sind - taucht immer wieder auf in den Schriften von öffentlichkeitswirksamen Intellektuellen wie José Ortega y Gasset („Krieg ist kein Instinkt, sondern eine Erfindung"), Stephen Jay Gould („Homo Sapiens ist keine böse oder zerstörerische Spezies") und Ashley Montagu („Biologische Studien stützen die Ethik universeller Brüderlichkeit"). Aber nun, wo Geisteswissenschaftler angefangen haben, in verschiedenen historischen Zeiträumen Leichen zu zählen, haben sie entdeckt, dass die romantische Theorie die Tatsachen auf den Kopf stellt: Weit davon entfernt, uns gewalttätiger zu machen, hat uns etwas in der Moderne und in ihren kulturellen Institutionen edler gemacht.

Um eines klar zu stellen: Jeder Versuch, die Veränderungen in der Gewaltanwendung zu dokumentieren, muss von Unsicherheit durchdrungen sein. In großen Teilen der Welt war die ferne Vergangenheit ein fallender Baum im Wald und niemand da, um es zu hören und sogar für historisch dokumentierte Geschehnisse sind Statistiken bis in die jüngste Zeit lückenhaft. Langzeit-Trends können nur erkannt werden, indem man Zig-Zag-Kurse und Spitzen grausamen Blutvergießens ausbügelt. Und die Entscheidung, sich auf relative, statt auf absolute, Zahlen zu konzentrieren, wirft die moralisch unberechenbare Frage auf, ob es schlimmer ist, wenn 50% einer Bevölkerung von 100 Personen getötet werden oder 1% einer Bevölkerung von einer Milliarde.

Trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen zeichnet sich ein Bild ab. Das Abnehmen der Gewalt ist ein fraktales Phänomen, erkennbar im Maßstab von Jahrtausenden, Jahrhunderten, Jahrzehnten und Jahren. Es lässt sich auf mehrere Größenordnungen der Gewalt anwenden, von Völkermord zu Krieg zu Aufständen zu Mord zur Behandlung von Kindern und Tieren. Es scheint sich außerdem um einen weltweiten Trend zu handeln, jedoch um keinen gleichförmigen. Die Vorderflanke war und ist in den westlichen Gesellschaften vorzufinden, vor allem in England und Holland, und es schien einen Wendepunkt zu Beginn des Zeitalters der Vernunft im frühen 17. Jahrhundert gegeben zu haben.

Aus der weitesten Perspektive kann man einen kolossalen Unterschied über die Jahrtausende feststellen, der uns von unseren vorstaatlichen Ahnen trennt. Entgegen linken Anthropologen, die den Edlen Wilden feiern, weisen quantitative Todeszahlen - wie etwa die Anzahl prähistorischer Skelette mit Axtmalen und eingetauchten Pfeilspitzen oder die Anzahl von Menschen moderner Sammler- und Jägerstämme, welche durch die Hand anderer Menschen sterben - darauf hin, dass vorstaatliche Gesellschaften erheblich gewalttätiger waren als unsere eigene. Es ist wahr, dass durch Raubzüge und Schlachten nur ein kleiner Prozentsatz derjenigen getötet wurde, die in modernen Kriegen sterben. Bei der Stammesgewalt sind die Kämpfe jedoch häufiger, die Prozentzahl der kämpfenden Männer im Verhältnis zur Bevölkerung ist höher und die Todesfälle pro Kampf sind zahlreicher. Laut Anthropologen wie Lawrence Keelex, Stephen LeVlanc, Phillip Walker und Bruce Knauft ergeben diese Faktoren Todeszahlen in Stammeskämpfen, die sich über die gesamte Bevölkerung erstrecken, gegen die jene moderner Zeiten winzig ausfallen. Wenn die Kriege des 20. Jahrhunderts das selbe Verhältnis der Bevölkerung getötet hätten wie jene, die in Kriegen typischer Stammesgesellschaften sterben, dann hätte es zwei Milliarden Tote gegeben, nicht 100 Millionen.

Die politische Korrektheit vom anderen Ende des ideologischen Spektrums hat ebenfalls bei vielen Menschen dazu geführt, dass sie die Gewalt in frühen Zivilisationen verzerrt wahrnehmen - namentlich jene, die in der Bibel eine Rolle spielen. Diese angebliche Wurzel für moralische Werte enthält zahlreiche Belobigungen für Völkermord, in denen Hebräer von Gott aufgehetzt werden, jeden letzten Bewohnen einer eroberten Stadt zu erschlagen. Die Bibel schreibt außerdem die Todesstrafe für eine lange Liste an nicht-gewalttätigen Vergehen vor, darunter Götzendienst, Gotteslästerung, Homosexualität, Ehebruch, mangelnder Respekt vor den eigenen Eltern und das Aufsammeln von Stöcken am Sabbat. Sicherlich waren die Hebräer nicht mörderischer als andere Stämme; man findet regelmäßige Prahlereien für Folter und Völkermord auch in den Frühgeschichten der Hindus, Christen, Muslime und Chinesen.

Es ist schwer, quantitative Studien über Kriegstote vom Mittelalter bis in die Moderne in Jahrhundertmaßstäben zu finden. Mehrere Historiker haben vorgebracht, dass sich die Zahl aufgezeichneter Kriege über die Jahrhunderte bis heute erhöhte, jedoch könnte das auch nur zeigen, wie der Politikwissenschaftler James Payne bemerkte, dass "Associated Press* eine umfassendere Informationsquelle über die Schlachten der Welt darstellt, als es Mönche des 16. Jahrhunderts waren". Bücher über die Sozialgeschichte des Westens enthalten Belege für zahlreiche barbarische Praktiken, die in den letzten fünf Jahrhunderten verschwanden, wie etwa Sklaverei, Amputation, Blenden, Brennen, Schinden, Ausweiden, am Pfahl verbrennen, Rädern und so weiter. Dabei gibt es reichliche und eindrucksvolle Daten über eine andere Form der Gewalt - Mord. Der Kriminologe Manuel Eisner hat Hunderte von Mordschätzungen westeuropäischer Ortschaften gesammelt, die sich über die Jahre 1200 bis in die Mitte der 1990er erstrecken. In jedem Land, das er untersuchte, fielen die Mordzahlen steil nach unten - zum Beispiel von 24 Morden pro 100 000 Engländern im 14. Jahrhundert zu 0.6 pro 100 000 in den frühen 1960ern.

Im Maßstab von Jahrzehnten malen umfassende Daten ein schockierend fröhliches Bild: Die Gewaltzahlen sinken seit Mitte des 20. Jahrhunderts weltweit stetig nach unten. Laut dem Human Security Brief 2006 fiel die Zahl von Toten in zwischenstaatlichen Kriegen von mehr als 65 000 pro Jahr in den 1950ern auf weniger als 2000 pro Jahr in diesem Jahrzehnt. In Westeuropa und in den amerikanischen Ländern gab es in der zweiten Jahrhunderthälfte einen steilen Fall der Zahlen von Kriegen, Militärschlägen und tödlichen Rassenunruhen.

Wenn man noch einmal um den Faktor 10 heranzoomt, ergibt sich eine weitere Abnahme. Nach dem kalten Krieg gab es überall auf der Welt einen Rückgang von Konflikten auf staatlicher Ebene und jene, die sich ereigneten, endeten mit höherer Wahrscheinlichkeit mit diplomatischen Abmachungen, als dass sie bis zum bitteren Ende ausgefochten wurden. Gleichsam fiel, laut der Politikwissenschaftlerin Barbara Harff, zwischen 1989 und 2005 die Anzahl von Feldzügen mit Massenmord an Zivilisten um 90%.

Der Rückgang von Mord und Grausamkeit stellt unsere Fähigkeit, die Welt zu verstehen, vor mehrere Herausforderungen. Zunächst einmal: Wie konnten so viele Menschen so falsch liegen bei etwas, das so wichtig ist? Teilweise liegt das an einer kognitiven Illusion: Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit eines Ereignises daran ein, wie leicht es ist, sich an Beispiele zu erinnern. Szenen von Blutbädern werden mit höherer Wahrscheinlichkeit in unsere Wohnzimmer übertragen und in unsere Gedächtnisse gebrannt als Bilder von Menschen, die an Altersschwäche sterben. Teilweise liegt es an einer intellektuellen Kultur, die dem abgeneigt ist, zuzugeben, dass an den zivilisatorischen Einrichtungen und an der westlichen Kultur irgendetwas gut sein könnte. Teilweise liegt es an der anspornenden Struktur des Aktivismus und der Meinungsmärkte. Niemand hat jemals Anhänger und Spenden angezogen, indem er bekannt gab, dass die Dinge immer besser werden. Ein Teil der Erklärung liegt außerdem im Phänomen selbst. Der Rückgang von gewalttätigem Verhalten wurde begleitet von einem Rückgang von Haltungen, die Gewalt tolerieren oder glorifizieren, und oftmals sind die Haltungen an führender Stelle. So beklagenswert sie sind, erscheinen die Missbräuche in Abu Ghraib und die tödlichen Injektionen, die man einigen Mördern in Texas verabreicht, milde im Vergleich zu den Grausamkeiten der menschlichen Geschichte. Vom erhöhten Standpunkt unserer Zeit aus betrachtet, beurteilen wir sie als Zeichen dafür, wie tief unser Verhalten sinken kann, nicht dafür, wie hoch unsere Maßstäbe gestiegen sind.

Die andere große Herausforderung, die sich aus dem Rückgang der Gewalt ergibt, ist, sie zu erklären. Eine Kraft, die sich über Epochen, Kontinente und verschiedene Maßstäbe gesellschaftlicher Organisation erstreckt, macht sich lustig über unsere gewöhnlichen Werkzeuge, mit denen wir kausale Erklärungen erzielen. Die üblichen Verdächtigen -- Waffen, Drogen, die Presse, die amerikanische Kultur -- sind der Aufgabe bei weitem nicht gewachsen. Es kann auch unmöglich durch die Evolution im biologischen Sinne erklärt werden: Selbst wenn die Sanftmütigen die Erde besitzen könnten, wäre die natürliche Selektion nicht in der Lage, die Gene für Sanftmut schnell genug zu bevorzugen. So oder so hat sich die menschliche Natur nicht hinreichend geändert, um ihre Neigung zur Gewalt zu verlieren. Sozialpsychologen haben herausgefunden, dass mindestens 80% der Menschen darüber fantasieren, jemanden, den sie nicht mögen, umzubringen. Es gefällt modernen Menschen außerdem noch immer, sich Gewalt anzusehen, denkt man an die Popularität geheimnisvoller Mordfälle, von Shakespeares Dramen, Mel Gibsons Filmen, von Videospielen und Hockey.

Was sich natürlich verändert hat, ist die Bereitschaft der Menschen, diese Fantasien auszuleben. Der Soziologe Norbert Elias nahm an, dass die europäische Moderne einen "Zivilisierungsprozess" beschleunigte, der von verstärkter Selbstkontrolle, Langzeitplanung und Einfühlung in die Gedanken und Gefühle anderer geprägt ist. Dies sind genau die Funktionen, welche die Neurowissenschaftler unserer Zeit dem präfrontalen Cortex zuschreiben. Das ruft jedoch nur die Frage hervor, warum die Menschen diesen Teil ihres Gehirns über die Zeit verstärkt trainierten. Niemand weiß, warum unser Verhalten unter die Kontrolle der besseren Engel unserer Natur geraten ist, aber es gibt vier plausible Vorschläge.

Der erste lautet, dass Hobbes Recht hatte. Das Leben im Naturzustand ist hässlich, bestialisch und kurz, nicht aufgrund unseres primitiven Blutdurstes, sondern wegen der unausweichlichen Logik der Anarchie. Jedes Wesen mit einem Körnchen Selbstinteresse könnte versucht sein, bei seinem Nachbarn einzubrechen und seine Resourcen zu stehlen. Die resultierende Furcht vor einem Angriff wird den Nachbarn zu einem präventiven Erstschlag neigen lassen, welcher wiederum die erste Gruppe zur Versuchung führen wird, einen Erstschlag auszuführen und so weiter. Diese Gefahr kann durch eine Abschreckungspolitik entschärft werden -- schlage nicht als Erster zu, räche dich, wenn du geschlagen wirst -- jedoch müssen die Parteien, um ihre Glaubwürdigkeit zu garantieren, alle Beleidigungen rächen und alle Punkte ausgleichen, was zu Kreisläufen blutiger Rache führt. Diese Tragödien können durch einen Staat vermieden werden, der das Gewaltmonopol inne hat, weil er unparteiische Strafen durchsetzen kann, welche die Aggressionsauslöser zerstören und auf diese Weise Spannungen über einen Erstschlag entschärfen und der Notwendigkeit eines zuspitzenden Vergeltungsdranges vorbeugen. Tatsächlich rechnen Eisner und Elias die Abnahme von Morden in Europa der Umwandlung von ritterlichen Kriegergesellschaften in die zentralisierten Regierungen der frühen Moderne an. Und heute gärt die Gewalt nach wie vor in Zonen der Anarchie, wie etwa Frontregionen, zerfallene Staaten, zusammengebrochene Imperien und Territorien, um welche die Mafia, Gangs und andere Schmuggelwarenhändler wetteifern.

Payne spricht eine andere Möglichkeit an: Dass die kritische Variable bei der Duldung von Gewalt ein allumfassender Sinn für die Kostbarkeit des Lebens ist. Wenn Schmerz und früher Tod zu den alltäglichen Erfahrungen des Lebens gehören, dann bedauert man es weniger, sie anderen zuzufügen. Angesichts dessen, dass Technologie und wirtschaftliche Effizienz unser Leben verbessern und verlängern, wissen wir das Leben an sich höher zu schätzen.

Eine dritte Theorie, die von Robert Wright vorgebracht wird, führt die Logik von Nicht-Nullsummenspielen an: Szenarien, in denen beide Agenten gewinnen, wenn sie zusammenarbeiten, indem sie zum Beispiel Güter tauschen, Arbeit teilen oder wenn sie von der Friedensdividente profitieren, die sich ergibt, wenn sie ihre Waffen niederlegen. Weil sich die Menschen praktisches Wissen aneignen, das sie günstig mit anderen teilen können und weil sie Technologien entwickeln, die ihnen erlauben, Güter und Ideen über größere Gebiete zu geringeren Kosten zu verbreiten, steigt ihre Kooperationsbereitschaft stetig an und andere Menschen werden lebendig wertvoller als tot.

Dann gibt es noch das Szenario, das Peter Singer skiziert. Die Evolution, meint er, hinterlässt bei den Menschen einen kleinen Empathiekern, der im Grundzustand nur auf einen engen Kreis von Freunden und Bekannten angewandt wird. Über die Jahrtausende haben sich diese moralischen Kreise ausgeweitet, um immer größere und größere Verfassungen einzuschließen: Den Klan, den Stamm, die Nation, beide Geschlechter, andere Rassen und sogar Tiere. Der Kreis könnte sich, wie bei Wright, durch die sich vergrößernden Reziprozitätsnetze nach außen erweitert haben, jedoch könnte ihn auch die unausweichliche Logik der goldenen Regel ausgebreitet haben. Je mehr man über andere Lebewesen nachdenkt und je mehr man von ihnen weiß, desto schwieriger ist es, seine eigenen Interessen gegenüber den ihren zu bevorzugen. Die Empathie-Rolltreppe könnte auch durch den Kosmopolitismus angetrieben werden, in welchem Journalismus, Denkschriften und realistische Erzählliteratur das Innenleben anderer Menschen und die anfällige Natur der eigenen Position greifbarer machen -- das Gefühl, dass jeder nur nach seinem Glück strebt.

Wie auch immer er ausgelöst wird, der Rückgang der Gewalt hat umfassende Auswirkungen. Er ist kein Grund für Selbstzufriedenheit: Wir genießen den Frieden, den wir heute vorfinden, weil Menschen in früheren Generationen von der Gewalt ihrer Zeit entsetzt waren und darauf hin arbeiteten, sie zu beenden, und so sollten wir darauf hin arbeiten, die entsetzliche Gewalt unserer Zeit zu beenden. Es gibt auch nicht unbedingt einen Grund für Optimismus über die nahe Zukunft, weil die Welt noch niemals zuvor Staatsoberhäupter hatte, die vormoderne Empfindlichkeiten mit modernen Waffen verbinden.

Das Phänomen zwingt uns jedoch dazu, unser Verständnis von Gewalt zu überdenken. Die Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen war lange ein Fall für Moralisierung. Mit dem Wissen, dass sie etwas dramatisch gesenkt hat, können wir sie auch als einen Fall von Ursache und Folge behandeln. Anstelle zu fragen, "Warum gibt es Krieg?" könnten wir fragen, "Warum gibt es Frieden?". Wenn man die Wahrscheinlichkeit für Völkervernichtung durch Staaten mit der Wahrscheinlichkeit für Katzenquälerei vergleicht, kommt man zu dem Ergebnis, dass wir etwas richtig gemacht haben müssen. Und es wäre schön zu wissen, was genau das ist.

 

Übersetzung: Andreas Müller

Original: Zuerst veröffentlich in The New Republic. 19.03.07; nachzulesen bei Edge

 

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