Was ist so schlecht an Übermenschen?

Johann Hari über Bioethik und die Verbesserung des Menschen. Ist Transhumanismus eine Chance oder eine Gefahr?

Medizinische Fortschritte, die zunächst als Science-Fiction-Verrücktheiten angesehen werden, ändern schnell ihren Ruf und werden als wunderbar und lebensspendend erkannt.

Ich muss Ihnen etwas beichten. Mein Onkel ist ein Cyborg und meine Tante ist eines von Frankensteins Monstern, zusammengesetzt aus Körperteilen verschiedener Menschen. Sie würden das nicht erkennen, wenn Sie sie nur ansehen – sie arbeiten bei Woolworth und sehen sich Coronation Street an – aber es ist wahr. Oh, und ich, lieber Leser, bin ein erheblich verbesserter Übermensch, der gegenüber Krankheiten immun ist, die Millionen von deiner Art töten.

Nein, ich bin nicht verrückt geworden. Ich weise einfach nur darauf hin, wie medizinische Fortschritte, die, zunächst als Sci-Fi-Verrücktheiten angesehen, bald als wunderbar und lebensspendend erkannt wurden. Mein Onkel hat einen Herzschrittmacher, der aus ihm eine lebende Mischung aus Mensch und Maschine macht. Halten Sie die Maschine an und er fällt tot um. Meine Tante ist nur wegen einer Herzverpflanzung hier. Und ich erhielt Immunität gegenüber einem halben Dutzend tödlicher Krankheiten durch Impfung.

Jede einzelne dieser lebensrettenden Technologien wurde anfangs von Bio-Konservativen angegriffen – mit den Religiösen an der Spitze – als man sie zuerst einführte. Man tat dies auf der Grundlage, dass sie „unnatürlich“ und „unmoralisch“ wären. Die Apostel des Aberglaubens hätten es beinahe geschafft, sie im Kindbett zu ersticken.

Ich erwähne dieses Thema jetzt, weil letzte Woche eine Maus gut gebrüllt hat – und einen neuen Kampf auslöste zwischen den Verteidigern des medizinischen Fortschritts und seiner Feinde. Wissenschaftler in Ohio haben Mighty Mouse erschaffen. Er rennt wie ein olympischer Athlet, lebt viel länger als seine Geschwister und vögelt bis zum Umfallen. (Gerüchte, laut denen er sich mit Jodie Marsh trifft, sind noch nicht bestätigt). Es gelang ihnen, indem sie ein einziges Gen im Mausembryo veränderten.

Während meiner Lebzeit werden wir uns wahrscheinlich mit ähnlichen Technologien auseinandersetzen müssen, die eine erhebliche Verbesserung des menschlichen Lebens ermöglichen. Es wird immer einfacher für Wissenschaftler, die Gene in der ersten Zelle eines menschlichen Embryos zu verändern – und somit in jeder Zelle des Kindes, welches aus ihr entsteht und dessen Kinder, Enkelkinder und so weiter, bis in die Unendlichkeit. Neue IVF-Technologien machen es einfacher, sie zu implantieren. Der langsame Prozess der natürlichen Selektion wird bald von einem schnelleren Prozess ersetzt werden, dem der absichtlich gewählten Selektion.

Die Möglichkeiten sind atemberaubend: Um nur eine zu nennen, arbeitet Professor David Balitmore in Kalifornien gerade daran, menschliche Zellen so zu verändern, dass sie gegenüber HIV und Krebs resistent werden. Professor Gregory Stock hat darüber geschrieben, genetische „Ergänzungen“ in jeden Embryo einzubauen, die sie intelligenter, schneller und langlebiger machen.

Jedoch wird diese Debatte von den Extremen entführt. Es gibt eine kalifornische Gruppe von Wissenschaftlern, die sich selbst „Transhumanisten“ nennt, deren großes Ziel darin besteht, diese Technologie zu verwenden, um eine neue, übermenschliche Art zu erschaffen. Max More, einer ihrer Anführer, schrieb in einem Brief an „Mutter Natur“: „Wir sind gewiss dankbar dafür, was du aus uns gemacht hast. Du hast zweifellos das Beste getan, was du konntest. Dennoch, mit allem nötigen Respekt, müssen wir doch sagen, dass du in vielerlei Hinsicht schlechte Arbeit geleistet hast mit dem menschlichen Körperbau. Du hast uns angreifbar gemacht für Krankheiten und Schäden. Du zwingst uns zu sterben und zu altern – gerade dann, wenn wir Weisheit erringen... Wir haben uns entschlossen, dass es an der Zeit ist, den menschlichen Körperbau zu verbessern.“ Der Wissenschaftler Ramez Naam fügt hinzu: „Wir sind die künftigen Eltern von neuen und unvorstellbaren Wesen.“

Die Gegner dieser neuen Technologien haben sich darauf fixiert, die Transhumanisten zu bekämpfen. Der Schriftsteller Francis Fukyama – der in George Bushs Rat für Bioethik tätig ist – forderte einen Halt für praktisch die gesamte Forschung und verlangte zu erfahren: „Sollten wir uns in etwas Überlegenes verwandeln, welche Rechte werden jene verbesserten Wesen dann verlangen?“

Aber diese Ströme sich aufheizender und sofort wieder abkühlender Übertreibungen sind kein Weg, das zu verstehen. Anstatt uns in einem Streit über die Frage zu verlieren, ob wir eine neue Art erschaffen wollen oder nicht, müssen wir unsere Debatte umgestalten. Unser Ziel sollte darin bestehen, Menschen gesünder, intelligenter und langlebiger zu machen und hierfür jede uns zur Verfügung stehende Technologie zu verwenden. Sollte das Endergebnis darin bestehen, dass wir uns so weit entwickeln, um uns Post-Humanoide nennen zu können – und auf unseren aktuellen Stand zurückblicken wie wir heute auf Affen zurückblicken – dann ist das schön, aber es sollte nicht unser Ziel sein.

Wenn man es so sieht, dann wird deutlich, dass die Transhumanisten exzentrisch sein mögen, ihre Gegner jedoch schlimmer sind, weil sie versuchen, lebensrettende Behandlungen aufzuhalten, nur weil sie nicht mit ihren primitiven Ängsten vereinbar sind.

Fukyama und seine Bio-Konservativen bestehen darauf, dass es unentbehrlich ist, die menschliche Keimbahn in ihrer aktuellen Form zu belassen, weil sie unser festes und ewiges menschliches Wesen widerspiegelt. Hantieren Sie damit herum und Sie machen sich am Kern unseres Seins zu schaffen. Aber diese Clique sollte Plato weglegen und Darwin zur Hand nehmen, so dass Sie erkennen, dass es kein feststehendes „wir“ gibt. Die menschliche Keimbahn entwickelt und verändert sich stetig und wird dies immer tun. Richard Dawkins bietet uns eine elegante Metapher an, die das erklärt. Stellen Sie sich eine Frau vor, die heute lebt, und die mit ihrer Tochter an der Küste Afrikas Händchen hält. Jene hält wiederum die Hand ihrer Mutter fest, und sie hält die Hand ihrer Mutter fest, und so weiter, man hält Händchen bis in die ferne Vergangenheit. Wenn jede Frau einen Meter benötigt, dann fallen nur 300 Meilen an – kaum ein Zahn in Afrikas Küste – bevor diese Menschenkette unseren Affenvorfahren erreicht. An welcher Stelle in dieser Kette erscheint auf einmal dieses mystische menschliche „Wesen“?

Sicherlich könnte jede Frau in der Kette gedacht haben – wie Fukyama – dass die Evolution schon weit genug voran geschritten ist, danke auch, und könnte damit aufhören. Wie Professor John Harris bemerkt: „Ich persönlich bin zufrieden damit, dass unser Affenvorfahre entweder nicht die Macht oder die Fantasie besaß... um sich auf unsere Kosten zu erhalten.“

Die menschliche Keimbahn wird sich weiterentwickeln. Die Frage ist nur: Möchten Sie, dass diese Veränderungen gefährlich und zufällig sind, oder dass sie uns in das verwandeln, was wir sein möchten?

Die Bio-Konservativen sagen, dass es einen Unterschied zwischen „Behandlung“ und „Verbesserung“ gibt. Erstere passt die Menschen wieder der Norm an und letztere macht sie „besser als gesund“. Das ist eine etwas geschwindelte Unterscheidung: Als man mich gegen Gelbfieber impfte, hatte ich die Krankheit gar nicht. Ich wurde verbessert. Aber selbst, wenn Sie diese Argumentation akzeptieren würden – na und? Wenn Sie herausfänden, dass Sie Ihre Eltern viel schlauer und langlebiger per Mausklick (oder Gequieke) hätten machen können und sich dagegen entschieden, wären Sie dann nicht wütend?

Trotz allem ist eine der Sorgen der Bio-Konservativen legitim – auch wenn ihre Lösung Blödsinn ist. Einige von ihnen befürchten, dass, wie in H.G. Wells Roman „Die Zeitmaschine“, sich die Menschheit in zwei Teile spalten wird – die verbesserte Oberschicht und die „natürlichen“ Menschen, die man als Bürger zweiter Klasse zurücklässt. Das ist eine echte Gefahr – aber die Lösung kann kein Blankoverbot sein. Heute haben Menschen im Westen Zugriff auf Proteinasehemmer und Impfstoffe, während sie Millionen in Afrika verwehrt sind. Wir antworten nicht, indem wir die Behandlungen hier verbieten, sondern indem wir sie nach dort erweitern. Genauso können wir nicht auf die Verbesserung des Menschen mit einer Art genetischen Stalinismus reagieren, der jeden per Regierungsdekret auf die niedrigste Ebene herabsetzt, um so Gleichheit zu garantieren. Unterstützen wir die Forschung – dann lasst uns die Forschunsergebnisse verbreiten.

In einem Jahrhundert wird eine Generation schlauerer, gesünderer Menschen mit dem selben verständnislosen Abscheu auf die Bio-Technikfeinde zurückblicken, die sie in ihrer Entwicklung aufhalten wollten, wie wir heute heute auf den Mob zurückblicken, der Galileos Teleskop zerbrach. Lasst Mighty Mouse laufen – er flitzt geradewegs in eine bessere Welt.

Übersetzung: Andreas Müller
Quelle: johannhari.com. What's to fear in superhumanism?. 11. 05. 2007

 

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