Zentralrat der Konfessionsfreien

Strategieklausur auf Schloss Gehrden

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Knapp zwei Jahre nach der letzten Strategieklausur hat der Zentralrat der Konfessionsfreien seine Mitgliedsverbände und einige Gäste Anfang Juni ins malerische Schloss Gehrden im Paderborner Land eingeladen. Damit setzt der Verband die Treffen der säkularen Organisationen Deutschlands fort, die bereits seit zehn Jahren stattfinden. Ein Veranstaltungsbericht von Philipp Möller und Rainer Rosenzweig.

Stille herrscht im Schlosshof Gehrden. Nur ein zarter Wind flüstert durch die akkurat geschnittenen Buchsbaumhecken, und auf dem Fußweg zur Orangerie knirscht der Kies unter unseren Schritten. Der Tagungsort des sechsten Treffens der säkularen Verbände wurde 1142 als Benediktinerkloster errichtet und ging im Zuge der Säkularisation im Jahre 1810 in fürstlichen Besitz über. So geriet das Anwesen erst in den Besitz verschiedener weltlicher Adliger, die hier wohl ausgelassene Feste feierten, doch ab 1965 gelangte es in die Hände des Erzbistums Paderborn – heute eines der reichsten Bistümer Deutschlands, das hier ein Familienerholungswerk betrieb.

Willkommen im 21. Jahrhundert!

2017 wurde das Schloss zum Hotel umgebaut – und damit zum perfekt geeigneten Ort, um über die Säkularisierung Deutschlands zu sprechen. Auf den weiten Wiesen zwischen dem Schloss und der mittelalterlichen Kirche sind Blumenbeete angelegt, die ihren Duft im Schlosshof verbreiten. Im Laufe des Freitagabends trudeln die Delegierten unserer Mitgliedsverbände sowie einige Gäste ein, und pünktlich zum Sektempfang läutet erst eine der Kirchenglocken, dann zwei, und schließlich legt sich ein schwerer Klangteppich über den gesamten Schlosshof, der jedes Gespräch unmöglich macht. Knapp zehn Minuten später herrscht wieder Stille, so dass wir unsere konfessionsfreie Begrüßung fortsetzen können.

Rauschende Feste?

Beim gemeinsamen Abendessen schwebt die Frage in der Luft, wie stark sich der Rechtsruck in Europa wohl in den Wahlergebnissen von Sonntag abzeichnen wird – und welche Rolle dabei insbesondere die religionspolitische Tatsache spielen könnte, dass der Politische Islam in Deutschland nicht nur akzeptiert, sondern teils ebenso hofiert wird wie die Kirchen. Ein rauschendes Fest feiern wir an diesem Abend zwar nicht, aber vor dem künstlichen Kamin gedenken wir mit der ein oder anderen Flasche Wein der hedonistischen Dekaden, die dieses Schloss zwischen Jahrhunderten als religiöse Kultstätte sehen durfte.

Foto: © Evelin Frerk
Foto: © Evelin Frerk

Die Entstehung des Neo-Islamismus

Am Samstag beginnen wir unsere Klausur mit einem Rückblick auf unsere Arbeit, wenngleich die Zeit nur für einige Beispiele ausreicht. Den ersten Teil schließen wir mit einem Vortrag von Dr. Lale Akgün (SPD) zum Politischen Islam in Deutschland: Bemerkenswert, dass nicht mehr nur die alte Garde des Politischen Islam aktiv ist, also etwa DITIB, der Zentralrat der Muslime oder Millî Görüş, sondern inzwischen auch eine neue Generation gut gebildeter Islamisten, die ihre Gefolgschhaft etwa in Shisha-Bars, Kampfsportzentren und auf TikTok gewinnen. Solche Neo-Islamisten, wie sie etwa in Muslim Interaktiv organisiert sind, haben die Kalifats-Demo in Hamburg auf die Beine gestellt, und jegliche Debatte um ihre Abschiebung ist zwecklos – denn die meisten von ihnen sind deutsche Staatsbürger.

Realität vs. Religionspolitik

Im zweiten Teil des Tages vergleichen wir uns mit anderen, teils deutlich älteren und längst etablierten Lobbyorganisationen. Wir analysieren sie und uns mit Blick auf Expertise, Manpower, Finanzen, Bekanntheit, Sympathie und Wirksamkeit – und resümieren: In dem entstandenen Spinnennetz gibt es nicht den einen Punkt, der alle anderen hochzieht, sondern wir müssen an allen kontinuierlich weiterarbeiten. Der Aufbau einer Lobbyorganisation sei kein Sprint, formuliert eine Teilnehmerin, sondern ein Marathon, der viel Geduld und Ausdauer erfordert.

Foto: © Evelin Frerk
Foto: © Evelin Frerk

Zugleich stellen wir fest, dass die Lücke zwischen Realität und Religionspolitik immer größer wird: Während Kirche und Religion individuell und gesellschaftlich an Bedeutung verlieren, bleibt der politische Einfluss der Religionsgemeinschaften stabil – oder wird, wie im Falle des Islam, weiter ausgebaut. Unsere Botschaft an die Politik muss daher immer wieder lauten: Nur eine säkulare Gesellschaft, in der Religion kein politisches Machtinstrument ist, kann auch eine offene Gesellschaft bleiben!

Vom Was zum Wie

Den Sonntag nutzen wir für ein Fazit: Welche Themen und Gesetze wir angreifen müssen ist uns ebenso klar wie die Tatsache, dass die Ampel-Regierung bisher keines ihrer drei säkularen Ziele aus dem Koalitionsvertrag erreicht hat: Weder ist die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs vollzogen, noch sind die Staatsleistungen abgelöst oder die Kirchen dazu verpflichtet worden, sich an das allgemeine Arbeitsrecht zu halten. Da schon bald wichtige Landtagswahlen anstehen und auch die nächste Bundestagswahl schon am zeitlichen Horizont auftaucht, ist unsere Zuversicht auf baldige Umsetzung der angekündigten Reformen überschaubar. Zwei Fragen haben wir heiß diskutiert: Wie nutzen wir die verbleibenden Monate optimal? Und wie bereiten wir uns auf eine künftige Regierung vor, die unter Umständen so christlich-konservativ geprägt ist, dass säkulare Themen noch nicht einmal im Koalitionsvertrag landen?

Fest im Sattel der Macht

Als unsere Gäste abgereist sind, legt sich nach diesem bewegten Wochenende wieder Stille über den Schlosshof – und wir ziehen Bilanz: Es gibt wahnsinnig viel zu tun für eine Lobbyorganisation, die sich für den weltanschaulich neutralen Staat stark macht. Die Kirchen sitzen trotz ihres redlich verdienten Bedeutungsverlusts noch fest im Sattel der Macht. Um diese Macht nicht zu verlieren, sind sie bereit, islamischen Verbänden in den Sattel zu helfen, und es gibt im politischen Berlin und seinem Umfeld leider genug Akteure, die sich als Steigbügelhalter andienen. In weiten Teilen der Bevölkerung hingegen zeigt sich ein vollkommen anderes Bild: Religion wird immer unattraktiver, und für die Sonderrechte der Religionsgemeinschaften hat kaum noch jemand Verständnis.

Ärmel hoch!

Als sich am Sonntagabend der befürchtete Rechtsruck in der Europawahl abzeichnet, wird der Zusammenhang zur Religionspolitik umso deutlicher: Das Grundgesetz schreibt die Gleichbehandlung aller Weltanschauungsgemeinschaften vor, und solange die Kirchen von Steuermilliarden und eigenen Gesetzen profitieren, werden auch islamische Verbände nach ihren Rechten rufen. Das wiederum ruft die Rechten auf den Plan, die aus dem Erstarken des Islam in Europa politische Profite schlagen. Und weil weite Teile des politisch linken Feldes offenbar den Feind ihres Feindes als Freund betrachten, schieben sie die Kritik am totalitären Islam in die rechte Ecke und stärken damit wiederum die Rechten und die Islamisten. Dafür zu sorgen, dass die Freiheit und die Sicherheit Europas nicht unter dieser toxischen Beziehung leidet, ist eine echte Mammutaufgabe. Packen wir's an!

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