Das Geheimnis des Bewusstseins

Steven Pinker über das Gehirn, die Seele und den Geist in der Maschine (Teil 3).

 

Das Schwierige Problem anpacken

Um die Schwierigkeit des Schwierigen Problems zu erfassen, überlegen Sie sich einmal, wie Sie jemals wissen könnten, ob Sie Farben auf die selbe Art und Weise wahrnehmen wie ich. Gewiss, Sie und ich bezeichnen Gras als grün, aber vielleicht hat für Sie Gras die Farbe, die ich an Ihrer Stelle pink nennen würde. Oder denken Sie mal darüber nach, ob es einen echten Zombie geben könnte – ein Wesen, das sich genau so verhält wie Sie oder ich, das jedoch kein Selbst besitzt, das irgendetwas fühlen könnte. Das war der Knackpunkt eines Star-Trek-Plots, in dem Offiziere Lieut. Commander Data wieder auf Ausgangskonfiguration stellen wollten und eine wütende Debatte darüber entbrach, ob das nur das Löschen einer Maschine wäre oder das Auslöschen eines empfindenden Lebens.

Niemand weiß etwas mit dem Schwierigen Problem anzufangen. Einige Menschen betrachten es als Ansatzpunkt, um die Seele wieder einzuführen, allerdings wäre das nur die Umbenennung des Mysteriums des „Bewusstseins“ in das Mysterium der „Seele“ – ein Wortspiel, das keine Erkenntnis bringt.

Viele Philosophen, wie Daniel Dennett, leugnen, dass das Schwierige Problem überhaupt existiert. Sie sagen, dass es Zeitverschwendung sei über Zombies und invertierte Farben zu spekulieren, weil nichts das Thema auf die eine oder andere Weise beenden könnte. Alles, was man tun kann, um das Bewusstsein zu verstehen – wie herauszufinden, welche Wellenlängen Menschen grün sehen lassen oder wie ähnlich sie es im Vergleich zu blau empfinden, oder welche Gefühle sie damit verbinden – reduziert sich letztlich auf Informationsprozesse im Gehirn und wird wieder ins Einfache Problem aufgenommen, ohne etwas übrig zu lassen, was man noch erklären müsste. Die meisten Menschen reagieren auf dieses Argument mit Unglauben, weil es den ultimativen unleugbaren Fakt zu bestreiten scheint: Unsere eigene Wahrnehmung.

Die beliebteste Haltung gegenüber dem Schwierigen Problem unter Neurowissenschaftlern lautet, dass es zunächst einmal ungelöst bleibt, aber irgendwann von der Forschung bezwungen werden wird, sobald sie das Einfache Problem gelöst hat. Andere stehen diesem fröhlichen Optimismus skeptisch gegenüber, weil keiner der Ansätze für das Einfache Problem einer Lösung für das Schwierige Problem auch nur einen Schritt näher kommt. Das Bewusstsein mit der Gehirnphysiologie zu identifizieren, sagen sie, wäre eine Art von „Chauvinismus des Fleisches“, der Lieut. Commander Data dogmatisch ein Bewusstsein absprechen würde, nur weil er nicht über das weiche Gewebe eines menschlichen Gehirns verfügt. Es dagegen mit Informationsprozessen zu identifizieren würde zu weit in die andere Richtung gehen und Thermostaten und Taschenrechnern ein einfaches Bewusstsein zugestehen – ein Sprung, den die meisten Menschen schwer ertragen können. Ein paar Eigenbrötler, wie der Mathematiker Roger Penrose, halten es für möglich, dass wir die Antwort irgendwann im Bereich der Quantenmechanik finden werden. In meinen Ohren kommt dies jedoch dem Gefühl gleich, dass Quantenmechanik sicherlich komisch ist und das Bewusstsein sicherlich ebenfalls komisch ist, und deshalb vielleicht die Quantenmechanik das Bewusstsein erklären könnte.

Dann gibt es noch die Theorie von dem Philosophen Colin McGinn, laut welcher der Schwindel, den das Schwierige Problem bei uns auslöst, selbst nur eine Laune unseres Gehirns ist. Das Gehirn ist das Produkt der Evolution und genau wie Tiergehirne ihre Grenzen haben, so gilt das auch für unsere. Unsere Gehirne können sich keine 100 Zahlen merken, können sich einen siebendimensionalen Raum nicht vorstellen und können vielleicht intuitiv nicht verstehen, wie neuronale Informationsprozesse, die von außen betrachtet werden, subjektive Erfahrungen im Inneren auslösen können. Ich stimme dieser Theorie zu, obwohl ich einräume, dass sie ein noch ungeborenes Genie – ein Darwin oder Einstein des Bewustseins – mit einer verblüffenden neuen Idee ankommen könnte, die uns das alles klar macht.

Wie auch immer die Lösungen des Einfachen und des Schwierigen Problems aussehen könnten, so bezweifeln doch nur wenige Wissenschaftler, dass man das Bewusstsein in der Gehirnaktivität verorten wird. Für zahlreiche Nichtwissenschaftler ist dies eine erschreckende Aussicht. Sie erstickt nicht nur die Hoffnung, dass wir den Tod unserer Körper überleben könnten, sondern sie scheint auch die Sichtweise zu unterlaufen, dass wir alle freie Agenten sind und verantwortlich für unsere eigenen Entscheidungen – nicht nur in dieser Lebenszeit, sondern auch in einem Leben, das noch kommen mag. In seinem Essay zur Jahrtausendwende, „Sorry, aber Ihre Seele ist soeben gestorben“, machte sich Tom Wolfe Sorgen, dass wenn die Wissenschaft die Seele getötet hat, „der schreckliche Rummel, der dann entsteht, den Satz „Die totale Verfinsterung aller Werte“ harmlos erscheinen lassen wird.

Einer neuen Moral entgegen

Meine eigene Sicht ist das genaue Gegenteil: Die Biologie des Bewusstseins bietet eine viel solidere Basis für die Moral als das nicht beweisbare Dogma einer unsterblichen Seele. Nicht nur würde ein Verständnis für die Physiologie des Bewusstseins das menschliche Leid durch neue Behandlungsmethoden für Schmerz und Depression mindern. Dieses Verständnis kann uns auch dazu bringen, die Interessen anderer Lebewesen anzuerkennen – der Kern der Moral.

Wie jeder Student im Philosophie-Einführungsseminar hört, kann mich nichts zwingen zu glauben, dass irgendjemand außer mir ein Bewusstsein hat. Diese Macht, die Gefühle anderer Menschen zu leugnen, ist nicht nur eine akademische Übung, sondern ein weitverbreitetes Laster, wie uns die lange Geschichte menschlicher Grausamkeit lehrt. Sobald wir jedoch realisieren, dass unser Bewusstsein ein Produkt unseres Gehirns ist und dass andere Menschen Gehirne haben wie das unsere, wird die Leugnung des Empfindungsvermögens anderer Menschen lächerlich. „Hat nicht auch ein Jude Augen?“, fragte Shylock. Heute ist die Frage genauer: Hat nicht auch ein Jude – oder ein Araber, oder ein Afrikaner, oder ein Baby, oder ein Hund – einen zerebralen Kortex und einen Thalamus? Der zweifelsfreie Fakt, dass wir alle aus dem selben neuronalen Holz geschnitzt sind, macht es unmöglich, unsere gemeinsame Leidensfähigkeit zu leugnen.

Und wenn man so darüber nachdenkt, ist die Doktrin eines Lebens-das-noch-kommen-soll keine so erbauliche Idee, weil sie notwendiger Weise das Leben auf der Erde entwertet. Denken Sie nur an die berüchtigsten Menschen der jüngsten Zeit, die auf Grundlage der Erwartung eines Jenseits handelten: Die Verschwörer, die am 9.11. die Flugzeuge entführten.

Denken Sie auch daran, warum wir uns manchmal gegenseitig daran erinnern, dass das Leben kurz ist. Es ist ein Antrieb, eine Geste der Zuneigung gegenüber einem unserer Lieben zu verlängern oder um das Kriegsbeil in einem sinnlosen Streit zu begraben, um Zeit produktiver zu nutzen, anstatt sie zu verschwenden. Meiner Ansicht nach gibt nichts dem Leben so viel Sinn wie die Realisierung, dass jeder bewusste Moment ein wertvolles und zerbrechliches Geschenk ist.

 

Zu Teil 1 des Artikels.

Zu Teil 2 des Artikels

Übersetzung: Andreas Müller

Quelle: Pinker, Steven: The Mystery of Consciousness. Time. 19. Januar 2007

 

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