Notizen aus Russland

Begrenzte Werbung für Abtreibungen.

MOSKAU, 21. April. In Russland nehmen schwangere Frauen

zwei- bis dreimal häufiger als im Westen eine Abtreibung vor. 2006 wurden 40,3 Abtreibungen auf 1.000 Frauen, 2002 sogar 54,2 auf 1.000 registriert. In westlichen Ländern sind es zum Vergleich 15 Schwangerschaftsabbrüche pro 1.000 Frauen.

Eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten der Staatsduma hat daher am 21. April ein Projekt zu Änderungen im föderalen Gesetz zur Werbung eingebracht. Es verbietet öffentlich sichtbare Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, unter anderem in öffentlichen Einrichtungen und den Massenmedien. Unter anderem hat diese Werbung auf Titel- und Rückseiten von Zeitschriften zu unterbleiben. In Spezialkliniken und medizinischen Fachpublikationen darf für die Eingriffe hingegen weiter offen geworben werden.

Die Duma-Abgeordnete Olga Borsowa erläuterte das Vorhaben: „Ein solches Verbot kann als Element zur Durchsetzung einer gesunden Lebensweise der Frauen betrachtet werden, denn die vorgesehenen Änderungen sind analog zu den bereits existierenden Modifikationen zur Tabak-, Alkohol- und Bierwerbung.“ (Russisch) (Russisch)

Religiöse Zugehörigkeit der Russen

MOSKAU, 21. April. Nach einer Umfrage des Allrussischen Zentrums zur Erforschung der öffentlichen Meinung (WZIOM), die unter 1600 Befragten in 153 Orten von 46 Provinzen durchgeführt wurde, sind 73 Prozent der Russen orthodoxe Christen, 6 Prozent – Muslime und weniger als 1 Prozent bekennen sich zu weiteren Religionen. 3 weitere Prozent bezeichnen sich als religiös ohne bestimmte Konfessionszugehörigkeit, 7 Prozent sind sich uneins darüber, ob sie gläubig sind oder nicht, und 10 Prozent sehen sich als Ungläubige. (Russisch)

Konjunktur der Fremdenfeindlichkeit

Ein Bericht der Internetzeitung Russland-Aktuell:
JEKATERINBURG/MOSKAU, 18. April. Die Miliz wird in Jekaterinburg am Wochenende verschärften Dienst tun. Grund: Es ist Hitler-Geburtstag – und russische Nazis feiern mit. Die „Feierlichkeiten“ bestehen meist aus Überfällen und Schlägereien.
Szenenwechsel: Die Gesichter sind vermummt, die Köpfe kahlgeschoren. Flaggen der faschistischen „Nationalnyj Sojus“ wehen über der Menge. Plötzlich fliegen ein paar Arme nach oben. „Sieg Heil!“ grölt die Menge. Die Szene spielt sich in Moskau ab, beim sogenannten „Russischen Marsch“.

In dem Land, das vor über 60 Jahren unter großen Opfern den Hitlerfaschismus besiegte, hat rechtes Gedankengut Hochkonjunktur. Leidtragende sind vor allem Kaukasier und Einwanderer aus Mittelasien. Schätzungen zufolge gibt es in Russland etwa 70.000 Skinheads, die Hälfte davon gilt als gewaltbereit.

Einer von ihnen ist der aus Jekaterinburg stammende Artur Ryno. Im April 2007 wurde er in Moskau zusammen mit einem Kumpanen unmittelbar nach dem Mord an einem Armenier verhaftet. Etwa 20mal hatten die beiden mit dem Messer auf ihr Opfer eingestochen. Rassenhass nannte Ryno als Tatmotiv und dann schockte er die Fahnder mit einem grausigen Geständnis. Der erst 17 Jahre alte Student gab zu, schon Dutzende Morde auf dem Gewissen zu haben. Vor der Staatsanwaltschaft prahlte er mit insgesamt 37 Bluttaten. Inzwischen hat er sein Geständnis widerrufen; doch die Behörden sind sich sicher, ihm in über 20 Fällen die Tat nachweisen zu können.

Der Fremdenhass der Neonazis ist dabei nur die Spitze einer in Russland weit verbreiteten Xenophobie. Vorurteile gegen Ausländer sind keineswegs auf eine kleine Randgruppe beschränkt. Viele Russen stempeln die Südländer von vornherein als zweitklassig ab. Sie nennen sie „Tschornyje“, d. h. „Schwarze“ und sind sich oft gar nicht im Klaren darüber, wie abwertend der Begriff ist. Obwohl die Zugereisten oft niedrige Arbeiten übernehmen, die kaum ein Russe machen würde, kursiert Konkurrenzangst unter der Bevölkerung. Die Rechten bedienen sich dann der gängigen Klischees mit Parolen wie „Russland den Russen“ oder „Schlagt die Schwarzen“.

Der Staat trägt seinen Teil zur Fremdenfeindlichkeit bei. Eines der am weitesten verbreiteten Diskriminierungsmittel sind die ständigen Personenkontrollen der russischen Polizei. Diese greift sich fast ausschließlich Kaukasier und Mittelasiaten, um deren Registrierung zu überprüfen und sie abzukassieren. „Damit wird den Menschen gezeigt, dass Diskriminierung legal ist“, erklärt Galina Koschewnikowa vom Moskauer SOVA-Zentrum, das den Rechtsextremismus in Russland analysiert.

Erst vor kurzem haben die Behörden den Druck auf die rechte gewaltbereite Szene deutlich erhöht. Dies hat die Welle der Gewalt in diesem Winter allerdings zunächst weiter anschwellen lassen, ist Koschewnikowa überzeugt. „Die Nazis sind Repressionen nicht gewohnt und reagieren mit Gewalt darauf“, erklärt sie. Dennoch wäre ein Einlenken des Staates in diesem Moment das falsche Signal. „Die Ressourcen des rechten Untergrunds sind beschränkt, irgendwann ist der Sumpf ausgetrocknet“, hofft Koschewnikowa. (Deutsch)

Kirchen erhalten Immobilien zurück

MOSKAU, 9. April. Den religiösen Organisationen Russlands wird ihr Vermögen einschließlich Immobilien zurückgegeben, das sie in der Vergangenheit eingebüßt haben. Das sagte der Leiter der russischen Agentur für Staatsvermögensverwaltung Valeri Nasarow. Er hatte mit Patriarch Alexi II. von Moskau und ganz Russland über die Rückgabe des verlorengegangenen Vermögens gesprochen. Laut Alexi II. widmet Präsident Wladimir Putin Fragen der Übertragung von Vermögen an religiöse Organisationen größte Aufmerksamkeit.

Dementsprechend konstatierte Nasarow: „Die gegenwärtige russische Gesetzgebung fordert die Rückgabe von Immobilien und anderem Vermögen an die religiösen Organisationen. Wir sind verpflichtet, dem Buchstaben des Gesetzes zu folgen. Also werden die religiösen Organisationen früher oder später ihr Eigentum zurückerhalten, das ihnen weggenommen worden war.“

Dem Chef der Agentur zufolge entstehen am häufigsten Vermögensstreite zwischen Staat und religiösen Organisationen um Museen sowie Geschichts- und Kulturdenkmäler. „Leider ist nicht zu verzeichnen, dass die Übertragung von Vermögen schnell und schmerzlos abläuft. Viele Nutzer von Vermögen, das einst einer religiösen Organisation gehört hatte, zeigen keine Eile damit, die betreffenden Gebäude an die Kirche zurückzugeben, weil sie selbst keinen anderen Unterbringungsort haben“, sagte Nasarow. (Deutsch)

Endzeitsekte in Pensa: Zwei Tote in der Erdhöhle

PENSA, 9. April. Das Sektendrama im Gebiet Pensa (hpd berichtete) hat zwei Menschenleben gekostet: Wie jetzt einer der Sektierer berichtete, sind während des monatelangen Aufenthaltes in einer selbst gegrabenen Erdhöhle zwei Angehörige der Gruppe gestorben.

Sie seien in den Schächten der inzwischen teilweise eingestürzten Zufluchtsstätte begraben worden, erklärte Vitali Nedogon, der vorübergehend die Rolle des Anführers der Eremiten übernommen hatte. Bei den Toten handele es sich um eine Frau aus Blagoweschtschensk, die an Krebs gestorben sei. Das zweite Todesopfer sei eine Weißrussin, die sich zu Tode gefastet habe.

Trifft die Information über die Todesfälle zu, so halten jetzt nur noch neun Angehörige der Endzeitsekte in der Erdhöhle aus. 24 Menschen waren in den letzten Wochen nach und nach an die Oberfläche gekommen, da das unterirdische Bauwerk durch Schmelzwasser teilweise zerstört wurde. Sie leben jetzt in einem Bauernhaus in der Nähe. Eigentlich wollte die im November „in den Untergrund“ gegangene Gruppe dort bis Ende Mai aushalten, da sie für diesen Zeitpunkt den Weltuntergang erwarten. (Deutsch)

Russland diskutiert über Todesstrafe für Pädophile

MOSKAU, 15. April. In Russland ist eine heftige Debatte über die Bestrafung von Kinderschändern entbrannt. Nach dem sprunghaften Anstieg der offiziell registrierten Fälle von Kindesmissbrauch wird hartes Durchgreifen verlangt. Elternverbände, Politiker und führende Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften fordern eine Verschärfung der Strafen. Sogar über die Todesstrafe oder eine Kastration der Täter wird diskutiert.

Anfang April hatte das Innenministerium Zahlen veröffentlicht, wonach die Anzahl der sexuellen Straftaten gegenüber Minderjährigen innerhalb weniger Jahre auf das 25-fache gestiegen sei. Im vergangenen Jahr wurden über 3.000 Falle registriert. Die Bürgerkammer, ein beratendes Organ des russischen Präsidenten, hatte daraufhin vorgeschlagen, verurteilte pädophile Täter chemisch zu kastrieren.

Doch die Kastration erscheint vielen Russen zu milde. So forderten in der Ural-Metropole Jekaterinburg rund 5.000 Eltern die Regierung in einem offenen Brief auf, die Todesstrafe für Kindesmissbrauch wieder einzuführen. Diese Forderung wird vom Mufti-Rat der russischen Muslime unterstützt. „Die Todesstrafe wäre die optimale Strafe für solche Verbrecher, vor allem wenn sie mehrmals diese Verbrechen verübt haben oder ihre Opfer dabei umgekommen sind“, erklärte Nafigulla Aschirow, einer der beiden Vorsitzenden des Mufti-Rats. Auch Vertreter der orthodoxen Kirche haben in der Vergangenheit die Todesstrafe für Triebtäter gefordert. Seit 1996 gilt jedoch in Russland ein Moratorium zur Todesstrafe.

Michail Prokopenko, Leiter des Kommunikationsdienstes der Abteilung für externe Kirchenbeziehungen vom Moskauer Patriarchat der orthodoxen Kirche, sieht die Hauptursache für die steigende Zahl von Kindesmissbrauch in der allgegenwärtigen Vermarktung von Laster und sexueller Gewalt. Man könne auch nicht gegen die Folgen der pornografischen Industrie kämpfen und gleichzeitig die überall verbreiteten schändlichen Informationen durch Massenmedien und die Werbung außer Acht lassen, meint der Geistliche. (Deutsch) (Russisch) (Russisch)

Forderung russischer Klerikaler an Europarat

MOSKAU, 3. April. Der Interreligiöse Rat Russlands (IRR) aus Vertretern des Christentums, Islams, Judentums und Buddhismus hat den Kommissar für Menschrechte beim Europarat Tomas Hammerberg aufgefordert, eine Gay-Parade in Moskau nicht zu unterstützen.

„Wir bitten Sie, von einer Unterstützung der geplanten Aktion sexueller Minderheiten, die eine Trennlinie zwischen Russland und dem Europarat schaffen könnte, Abstand zu nehmen. Wir möchten nicht, dass diese [die sexuellen Minderheiten] zu der Auffassung gelangten, der Europarat sei eine Instanz, die dazu bereit ist, etwas zu unterstützen, das den religiösen Überzeugungen der gläubigen Russen entgegensteht und deren Gewissen grob verletzt“, heißt es in der Erklärung an den Menschrechtskommissar.

Neben dem Recht auf Versammlungsfreiheit, das der IRR unverhohlen Homosexuellen verwehren will, wenden sich die Vertreter auch gegen Homo-Ehen und betonen, dass die Gläubigen der „traditionellen“ Religionen in Russland von alters her zum Respekt gegenüber der Familie, dem Bund von Mann und Frau, erzogen werden: „Wir sind der Auffassung, dass ein solches Herangehen das einzig Richtige ist, und dass die Verfälschung der Familie, wie sie sich unter anderem durch Homosexualität manifestiert, eine Sünde ist, die die Würde des Menschen zerstört“.

Und weiter erklären die Klerikalen: „Die Auffassungen der Mehrheit in Russland schließen die öffentliche Propagierung solcher Erscheinungen aus wie Homosexualität, die staatliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften jedweder Form, die Übernahme eines Erziehungsrechts von Kindern durch Personen mit nichttraditioneller Orientierung, die künstliche Schaffung einer positiven Einstellung zu sexuellen Abweichungen in der Gesellschaft, darunter unter Kindern, im Bildungswesen und den Massenmedien.“

Die Klerikalen begründen ihre Erklärung mit dem Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention, wonach eine Regierung das Recht habe, die Menschenrechte aus moralischen Gründen einzuschränken. Der Europäische Gerichtshof hat hingegen schon mehrfach die auch für Russland verbindliche Konvention dahingehend ausgelegt, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Bürger nicht deshalb eingeschränkt werden darf, weil irgendein Teil der Bevölkerung oder sogar deren Mehrheit moralische oder religiöse Auffassungen habe, die diese Freiheit negieren. (Russisch)

Tibor Vogelsang