Irgendwas Höheres

Über freischwebende Intelligenzen und höhere Mächte

 

Laut der Shell Jugendstudie

von 2006 glauben 19% der Jugendlichen an eine unpersönliche höhere Macht. Dieser Glaube nimmt mit dem Alter zu.

Für die Religionskritik spielte dieser eigenartige Glaube bislang kaum eine Rolle. Er scheint auf den ersten Blick keinen sonderlichen Schaden anzurichten. Wegen „Irgendetwas Höherem“ werden keine Ungläubigen geköpft.

Das ist wohl auch durchaus richtig. Dennoch stimmt auch mit dieser Form von Religiösität etwas nicht. Wer meint, dass es da draußen irgendetwas Höheres geben müsse, der scheint sich nicht ernsthaft mit Gott und der Welt befassen zu wollen oder zu können. Ferner zeugt eine solche Haltung von einem sehr nebulösen und somit unklaren Denken. Bekanntlich steht weit oben auf dem Programm der Aufklärung die gedankliche Klarheit.

Daniel Dennett bezeichnet Anhänger einer Version dieses Glaubens als „Murkies“. Murkies sind nicht wirklich religiös. Sie glauben nicht an jemanden, der ihre Gebete erhört und der die Welt erschaffen hat. Sie glauben nur an ein „höheres Prinzip“, an eine „tiefere Wahrheit“ und natürlich an die allseits beliebten „Geheimnisse des Universums“ und sie können es gar nicht leiden, wenn ihnen jemand diesen „Glauben“ nehmen will. Das ist schon überaus seltsam. Denn wer an „irgendetwas“ glaubt, der weiß gar nicht, woran er glaubt, tut das aber trotzdem unter Umständen mit einiger Überzeugung.

Es gibt in diesem Fall scheinbar keine klaren Anhaltspunkte für Kritik, keine haarsträubenden Dogmen um Kekse und Jungfrauen, keine Kartenspieler-Wunder oder unfähige Propheten. Jedoch existiert eine Fassung dieser Haltung (oder sind es verschiedene?), zu der sich schon mehr aussagen lässt: „Es gibt irgendwo da draußen eine höhere Intelligenz.“

Diese Intelligenz stellt man sich als körperloses, unpersönliches und freischwebendes Etwas vor, das zudem noch unsichtbar ist, aber dennoch sehr intelligent. Und irgendwie steckt es hinter dem Universum und dem ganzen Rest, ist vielleicht die Grundlage der Naturgesetze. Womöglich handelt es sich bei dieser Haltung um eine Spielart des so genannten „Panentheismus“, nicht zu verwechseln mit dem „Pantheismus“, der jedoch ebenso einige Fassungen dieses „Irgendwas-ismus“ bezeichnen könnte. Dabei geht es um eine Wesenheit, die in und über, aber nicht außerhalb des Universums steht, die gleichzeitig immanent und trotz allem transzendent ist, wobei dieses Wesen alles umfasst. Einen logisch nachvollziehbaren Sinn ergibt dieses Konzept wahrlich nicht. Vielleicht erklärt es sich ja durch ein panentheistisches religiöses Gefühl, dem diese eigenartige Sichtweise entstammt.

Ferner gibt es einige Probleme mit dem Konzept einer freischwebenden Intelligenz. Intelligenz ist immer an einen Körper gebunden. Nur ein Körper hat Bedürfnisse und Wünsche. Er will zum Beispiel essen, schlafen und einen Mercedes. Seine Intelligenz verwendet er darauf, seine Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen. Was jedoch sind die Bedürfnisse einer körperlosen Intelligenz? Warum sollte sie überhaupt irgendetwas wollen? Essen und schlafen muss sie nicht und mit einem Mercedes kann sie nichts anfangen. Ist sie vielleicht besonders selbstlos, weil sie keine eigenen Wünsche hat? Wohl kaum, jedenfalls nicht im Bezug auf Menschen, die dem Wesen einer solchen Intelligenz vollkommen fremd wären, sondern höchstens in Bezug auf andere freischwebende, intelligente Existenzen. Dann wieder haben diese anderen Intelligenzen keine eigenen Wünsche, benötigen also niemanden, der für sie altruistisch handelt. Man braucht kaum zu erwähnen, dass es für diese intelligenten Freischweber keinerlei Belege gibt.

Und dieser Glaube nimmt mit dem Alter zu. Die Betroffenen glauben also immer stärker an etwas, von dem sie keine Ahnung haben, was es ist. Zu allem Überfluss sind viele Vertreter dieser Gattung überheblich gegenüber Menschen, die nicht an „irgendetwas“ glauben, denn „an irgendetwas muss man doch glauben“. Und wenn man das nicht tut, dann ist man „materialistisch“ oder „oberflächlich“ und hat kein „Gespür für die tieferen Geheimnisse des Universums“. Denn jeder Mensch braucht doch „einen Halt“ und etwas, das „über ihm“ steht.

Berühmt ist inzwischen die Antwort des Schriftstellers Douglas Adams auf die große Frage nach dem Universum und dem ganzen Rest, nach eben jenen „tiefen Geheimnissen des Universums“. Sie lautet „42“. Die Frage ist nur, wie die Frage lautete. Es handelt sich dabei um einen Aufruf zur gedanklichen Klarheit. Das bloße Gefühl, man müsse etwas in Erfahrung bringen, was man noch nicht weiß, genügt nicht. In der Tat besteht die große Aufgabe der Philosophie traditionell darin, die richtigen Fragen zu stellen.

Und nun wird es auch noch moralisch, wenn solche Menschen sagen, dass es „Hybris“ wäre, zu glauben, dass man selbst „das Höchste auf der Welt“ sei. In der Tat benötigt das Konzept der Hybris irgendeine Art von Göttern. Schließlich besagt es, dass man sich widerrechtlich in den Bereich des Göttlichen hineingewagt hat und nun dafür bestraft werden wird. Beliebtestes Beispiel für Hybris war der Glaube an die Unsinkbarkeit der Titantic, mit dem man die Götter herausforderte. Das haben sie nun davon... dass sie zu schnell gefahren sind und nicht genügend Rettungsboote auf dem Schiff montierten. Mit einem Eingriff in das Göttliche hatte der Untergang der Titanic nichts zu tun, sondern einfach nur mit Selbstüberschätzung und einer ordentlichen Portion Pech.

Konsequenterweise sollten wir auf die Hybris verzichten. Das „Hinausragen ins Göttliche“, auch als „Gott spielen“ bekannt, ist eine völlig willkürliche moralische Kategorie und somit wertlos. Spielen wir nicht schon Gott, seitdem wir Landwirtschaft betreiben? Ist nicht die Züchtung von Haus- und Nutztieren mit ihrer gezielten gentechnischen Veränderung, die heutzutage Hybris sein soll, identisch, nur eben langsamer? War Höhlenmalerei bereits Hybris, wo doch andere Tiere nicht malen?

In dem Spielfilm Jurassic Park 3 gibt es eine Szene, in welcher der Paläontologe Alan Grant seinen Wissenschaftlerkollegen vorwirft, „Gott zu spielen“, als er Behälter für Dinosaurierföten entdeckt. Doch ist die künstliche Erhaltung von beispielsweise Wildpferden nicht auch Hybris, wenn sie doch eigentlich aussterben müssten? Wäre die genetische Erschaffung von Dodos, die technisch vielleicht bald möglich ist, ebenfalls Hybris? Nicht, dass irgendjemand Dodos bräuchte. Kurz gesagt: Die Idee einer „Hybris“ ist sinnlos und sollte ersetzt werden durch vernünftige moralische Konzepte, welche die wirklichen Kosten und Nutzen menschlicher Handlungen im Auge haben.

Wir brauchen schlichtweg keine Gottheiten, egal wie wenige Eigenschaften sie haben und wie nebulös und unfassbar man sie sich vorstellt. Vor allem, wenn man auch noch moralische Ansichten mit einem solchen Wischiwaschi-Glauben verbindet.

 

Andreas Müller

 

Die Neuen Atheisten
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