(hpd) Der angesehene französische Islamismus-Forscher Gilles Kepel beschreibt in „Die Spirale des Terrors" das Scheitern „zweier großer Erzählungen" zur Interpretation der Ereignisse nach dem 11. September, verweist auf die Brüche im islamistischen Lager und sieht in einer europäischen Politik zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit den wichtigsten Schritt zur Problemlösung.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kursierten weltweit zwei „große Erzählungen": die vom „Martyrium" und die vom „Terror". Die letztgenannte Geschichte fand in der Bush-Administration ihren einflussreichsten Vertreter, trat für einen militärischen Weg zur Bekämpfung des Islamismus ein und strebte so die Etablierung von Demokratien im Nahen Osten an. Die „Martyrium"-Erzählung propagierte das Umfeld der Al Qaida, verbunden mit der Eskalation von (Selbstmord-)Anschlägen zur Mobilisierung der muslimischen Massen gegen den Westen. Das Aufkommen und Scheitern dieser beiden „großen Erzählungen" will der bekannte französische Islamismus-Experte Gilles Kepel, Professor am Institut d'Etudes Politiques in Paris, in seinem neuesten Buch „Die Spirale des Terrors. Der Weg des Islamismus vom 11. September bis in unsere Vorstädte" beschreiben und erörtern. Gleichzeitig zeigt der Autor darin Wege auf, um „die todbringende Dialektik von Terror und Martyrium zu überwinden" (S. 19).
Dies geschieht in vier großen Kapiteln, die historisch-chronologisch angelegt sind und die Ereignisse nach dem 11. September Revue passieren lassen: Zunächst geht es um die Konzeption des „Kriegs gegen den Terror" bis zum Fiasko im Irak, gilt der dabei eingeschlagene Weg mit dem Sündenfällen von Abu Ghraib bis Guantánamo doch als gescheitert. Anschließend widmet sich Kepel den innermuslimischen Konflikten zwischen Schiiten und Sunniten, nimmt dabei aber besonders stark die Rolle des Irans ins Visier. Dem folgt eine Betrachtung der dritten Dschiahd-Generation, welche über die Kritik und Überwindung des „gesegneten Doppelschlags" identifiziert wird. Und schließlich geht es um die Debatten über Integration, Multikulturalismus und Terrorismus in Europa, jeweils veranschaulicht an der Ermordung von Theo van Gogh in den Niederlanden 2004, den Anschlägen in London 2005, den Mohammed-Karikaturen in Dänemark ebenfalls 2005 und der Papst-Rede an der Universität Regensburg 2006.
Bilanzierend konstatiert Kepel: „Der Krieg zwischen George W. Bush und Osama Bin Laden hat beiden Protagonisten eine Niederlage beschert und die beiden großen Erzählungen als Hirngespinste entlarvt" (S. 313). Die von der US-Administration beabsichtigte militärisch orientierte Umgestaltung der islamisch geprägten Welt in Richtung westlicher Demokratien konnte keine Erfolge verbuchen. Aber auch Al Qaida und ihrem Umfeld, gelang es nicht, die Massen in der muslimischen Welt zu einem globalen Kampf gegen den Westen aufzustacheln. Daher sei nun die Zeit für einen realistischen Ansatz gekommen, welcher sich jenseits aller ideologischen Hirngespinste auf die sozialen Gegebenheiten der Region beziehe und in Europa den zentralen Akteur zur Krisenlösung sehe. Als „Alternative bleibe nur die wirtschaftliche Integration des Mittleren Ostens in den Alten Kontinent mit dem Ziel, dass sich im Süden und Osten des Mittelmeers Unternehmerschichten entwickeln, von denen dann die Demokratisierung ausgehen wird" (S. 320).
Überzeugend gelingt es Kepel das Scheitern der Konzeption des „Krieges gegen den Terror" herauszuarbeiten, wobei diese Erkenntnis mittlerweile sogar in den USA als Allgemeingut gilt. Weitaus interessanter sind demgegenüber die Hinweise auf die Brüche im islamistischen Lager, sehen doch selbst wichtige Protagonisten des militanten Teils in den Anschlägen vom 11. September und im innermuslimischen Bürgerkrieg im Irak einen schweren strategischen Fehler. Die sich aus dieser Erkenntnis ergebenden strategischen Optionen sind bislang noch nicht genügend in die Diskussion über die richtige Strategie zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus eingeflossen. Hierzu liefern Kepels Ausführungen wichtige Anstöße, wobei er gerade in diesem Punkt noch etwas deutlicher hätte sein können. Auch darüber hinaus wäre weniger Beschreibung und mehr Erörterung besser gewesen. Gleichwohl bleibt Kepel eine beachtenswerte Stimme in der Diskussion um Islamismus und Terrorismus - auch und gerade hinsichtlich der Handlungsoptionen für Europa.
Armin Pfahl-Traughber
Gilles Kepel, Die Spirale des Terrors. Der Weg des Islamismus vom 11. September bis in unsere Vorstädte. Aus dem Französischen von Ursel Schäfer, München 2009 (S. Piper-Verlag), 360 S., 22,95 €