Bad Science – Die Wissenschaftslüge

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Buchtitel. denkladen.de

(hpd) Der Schriftsteller, Mediziner und Kolumnist des Guardian, Ben Goldacre, räumt gründlich auf mit mythischen Vorstellungen, gesellschaftliche und gesundheitliche Probleme ließen sich mit einer Zauberpille beheben. Quacksalber und Scharlatane werden entlarvt und die Hintergründe hartnäckiger, doch längst widerlegter Pseudowissenschaften aufgedeckt.

Doch nicht nur dies: Goldacre schildert en detail das wissenschaftliche Vorgehen, das  mit Versuchsaufbau, Vergleich mit Kontrollgruppen standardisiert ist, und er schildert auch die Möglichkeiten, das Auskommen für die eigenen Produkte so optimal wie möglich zu dirigieren. Dem wissenschaftlichen Vorgehen genügen z.B. Homöopathen, Ernährungsberater mit (und ohne) Vitaminpillen oder sonstige Pseudowissenschaftler nicht einmal im Ansatz: Deren Vorgehensweisen erwiesen sich in wirklichen wissenschaftlichen Experimenten gar bereits nachweislich als untauglich (trotz gegenteiliger Behauptungen derselben Quacksalber).

Wirkungsloses und Wirksames

Verfahren zur „Entschlackung“, „Reinigung“ und sonstigen „Befreiungen“ des Körpers von „Verunreinigungen“ schaut sich Goldacre genauestens an und präsentiert Methoden, mit deren Hilfe man diese Verfahren locker zu Hause überprüfen und als Unfug entlarven kann. Auch Kosmetika, mit deren Hilfe die Haut angeblich verjüngt und „entfaltet“ wird, nimmt er unter die Lupe, zeigt einige Werbetricks – und fügt gleich ein Rezept hinzu, wie man sich selbst für wenig Geld eine eigene, effektive Creme mischen kann. „Gehirntraining“ widmet er ein weiteres Kapitel und erklärt, worauf dieses eigentlich hinausläuft – ein Päuschen einlegen und ein Glas Wasser trinken –, woran nichts auszusetzen sei. Allerdings versuchen Einzelne, diese simplen Vorgänge mit technisch klingenden Begriffen aufzubauschen, um damit ein Geschäft zu machen. Schulkinder, in deren Klassen dieses „Gehirntraining“ durchgeführt wird (wahlweise mit „Homöopathie“ oder „Nahrungsergänzungsmittel“ austauschbar), lernen diesen Unsinn von Autoritätspersonen, was den Grundstein für ihre lebenslange Ausbeutung legt. Um gesund zu leben, reicht nach derzeitigen Erkenntnissen wohl etwas Bewegung, Obst und Gemüse, Nichtrauchen und nur wenig Alkohol.

Wirklich interessant wird das Buch, wenn Goldacre auf den Placebo-Effekt eingeht, die bisherige Forschung darstellt und meint, in diesem sehr wichtigen Bereich (der den Effekt von Verfahren wie Homöopathie durchaus erklärt) fänden sich etliche bislang ungeklärte Punkte, die forschungswürdig seien. Man erfährt Hintergründe über bestimmte Vertreter der Alternativszene, den zum Teil nicht einmal vorhandenen akademischen Hintergrund angeblicher Doktoren sowie die Ursachen für den millionenfachen AIDS-Tod in Südafrika bzw. von wem sich Präsident Mbeki von der angeblichen Verschwörung der Pharmaindustrie überzeugen ließ, mit den bekannten fatalen Folgen für sein Volk. Von der Alternativmedizin-Industrie (die übrigens zuweilen im Besitz der angeblichen Kontrahentin, also der Pharmaindustrie ist) führt das Buch zur Frage, ob denn die konventionelle Medizin „böse“ ist (so ganz ohne ist sie jedenfalls nicht) und warum kluge Menschen dumme Dinge glauben.

Die mediale Verantwortung

Denn wenn ein Forscher angeblich herausgefunden haben soll, dass etwa Krebs durch Vitamin C zu heilen sei, hat er vielleicht ein paar Krebszellen in eine Petrischale geworfen, hohe Dosen des Vitamins hinzu gegeben und etwas ist passiert. Doch inwiefern diese Ergebnisse auf einen lebenden Körper übertragbar wären, bleibt im Dunkeln – um das zu erkennen, hätte man als Journalist allerdings die Versuchsanordnung studieren (und verstehen) müssen. Und Zahlen lesen kann auch keiner, vor allem Prozentzahlen. So finden moderne medizinische Mythen über die Medien Einzug in unser Kollektivbewusstsein. Ben Goldacre plädiert damit auch für eine neue Verantwortung der Journalisten und erklärt, wie sich die gegenwärtige Situation entwickelte.

Selbstredend geht Goldacre auf die Gefahren dieser verzerrten Berichterstattung über Wissenschaft und Pseudowissenschaft ein. Denn der Wunsch der Medienvertreter, Alleinursachen und sensationelle Wundermittel zu propagieren – die entsprechenden, oft schlecht recherchierten Artikel werden meist an der Wissenschaftsredaktion vorbei von Geisteswissenschaftlern (wie mir) verfasst –, dieser Wunsch befördert indirekt ein ungünstiges Bild von Wissenschaftlichkeit: Zu schwer, zu unverständlich, nicht wirklich ernst zu nehmen. Das ließe sich umgehend ändern, indem beispielsweise nur sachkundige Journalisten kritisch reflektiert die wissenschaftsbasierten Artikel schreiben und indem Kinder bereits in der Schule gründlich lernen, wie wissenschaftliche Verfahren und Methoden anzuwenden sind. Daneben plädiert Goldacre für weitere pragmatische und realisierbare Ansätze, wie zum Beispiel für die Einrichtung zentraler Datenbanken, in denen jeder Versuch vor dessen Beginn mit Angabe der zu untersuchenden Sachverhalte und Methoden anzumelden sei, um nachträgliche Vertuschungen oder Verzerrungen zu vermeiden.

Insgesamt ist Wissenschaftslüge also außerordentlich informativ, gut strukturiert und unbedingt lesenswert. Amüsant geschrieben ist das Buch auch noch – was will man mehr?
 

Fiona Lorenz
 

Ben Goldacre: Die Wissenschaftslüge. Wie uns Pseudo-Wissenschaftler das Leben schwermachen. Fischer, 2010.

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