Deutsche Zustände in den Niederlanden?

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Wahlkabinen / Foto: http://www.parool.nl

NIEDERLANDE. (hpd) Wie die letzten Wahlen in Deutschland bedeuten die Wahlen in den Niederlanden, einen enormen politischen Erdrutsch. Wie dort erlitten die Christdemokraten (CDA) des scheidenden Ministerpräsidenten Jan Peter Balkenende eine historische Niederlage und ihre Wählerzahl wurde hier sogar halbiert. Das bedeutet das politische Ende des CDA-Führers Balkenende.

Die großen Gewinner waren auch hier die Rechtsliberalen der VVD von Mark Rutte (31 Sitze). die Sozialdemokraten (PvdA) bleiben auf niedrigem Niveau relativ stabil und die linken Parteien gewinnen trotz Verluste bei den Sozialisten (SP) an Stimmen (insbesondere die Linksliberalen der D66 und Grünlinks).

Hier endet aber die Ähnlichkeit. Im Gegensatz zu Deutschland trat der CDA-Leiter und abtretende Premier Balkenende von seiner Funktion als Parteivorsitzender zurück. Anders als in Deutschland wurde über die Wahlen indirekt die Beteiligung niederländischer Soldaten an Auslandseinsätze den Wählern zur Entscheidung vorgelegt (die vorherige Regierung scheiterte an die Verteidigung des Afghanistan Einsatzes durch CDA). Anders als in Deutschland bleiben die Sozialdemokraten im Rennen, aber sie werden als zweit stärkste Partei durch die Liberalen abgelöst (in den vier größten Städten behält die PvdA aber ihre Mehrheit) und die Nationalisten der PVV von Geert Wilders überrunden sogar die Christdemokraten und werden nun zu drittstärkster Partei. Beobachter meinen, den Ruck nach Rechts als eine Reaktion „des arbeitenden Niederländers mit Hausbesitz und Angst vor den Immigranten“ auf die Finanzkrise erklären zu können.

Insgesamt ist es also etwa gleich der europäischen Mainstreamtendenz: unklare und instabile parlamentarische Machtverhältnisse durch den Verlust des Volksparteicharakters der traditionellen Parteien und Gewinn der rechten Liberalen sowie dort wo vorhanden, der islamphoben, populistischen Nationalisten und der radikallinken Parteien. Das “Christliche” scheint dabei immer weniger wahlbestimmend zu sein. Die zwei fundamentalistischen christlichen Parteien verlieren Stimmen und konnten also nicht von den Verlusten der Christdemokraten profitieren. Die bis jetzt an der Regierung beteiligte Christliche Union verliert sogar einen Sitz, was nach Beobachtern auf die gegen Homosexuelle gerichteten Sprüche ihres Parteichefs zurückzuführen ist.

Und wie überall: Schwierige Zeiten

Es ist zu erwarten, dass ähnliche Prozesse bei den Parlamentswahlen am nächsten Sonntag in Belgien bzw. in Flandern eintreten. Zwar nicht in diesem Ausmaß, aber nach diesen Ergebnissen halten auch dort die Christendemokraten den Atem an.

Aus einer telefonischen Befragung am vergangenen Wochenende ergab sich, dass fast die Hälfte der Wähler noch nicht wissen, wie sie am Sonntag abstimmen werden. Vier von zehn Flamen wissen es noch nicht, in Wallonien sind es aber mehr als die Hälfte. Die christlich-nationalistische Partei der N-VA würde danach in Flandern zur größten Partei (24,4 %), vor den Christendemokraten (CD & V) mit 19,4 % werden. Die Sozialisten behielten ihre Position als drittstärkste Partei vor den Neofaschisten des „Vlaams Belang“. Die Liberalen verlieren aber Stimmen und die rechten Liberalen (LdD) kommen nicht ins Parlament. In der Wallonie bleiben die Sozialisten mit 34,2 % vor den Liberalen (MR) mit 20,4 % stärkste Partei. Von der Unentschiedenheit der Wähler wurden vor allem die flämischen Christendemokraten und Sozialisten und auf der französisch-sprachigen Seite die Christendemokraten und die Grünen profitieren.

Lila Koalition

In den Niederlanden zeichnet sich nun eine bereits in Belgien längst geübte so genannte lila Regierungskoalition (Rot und Blau der Liberalen) ab. Da die linken Parteien eine Koalition mit der PVV von Wilders ausschließen (wie in Belgien mit dem „Vlaams Belang“), scheinen VVD und die PvdA dazu verdammt, ein lila Kabinett zu bilden. Um die erforderlichen 75 Sitze zu bekommen, brauchen sie aber die Unterstützung der Sozialistischen Partei (15 Sitze, -10) oder Grüne Linke (10, +3) und D66 (10, +7). Auch eine Kombination mit der CDA ist wie in Deutschland natürlich möglich, aber es ist schwer vorstellbar, dass die niederländischen Christdemokraten das nach dieser Niederlage noch tun können.

 

Wilders strebt zur Macht

Eine weitere Option ist ein rechtes Kabinett der VVD, CDA und der Wilders PVV, das eine knappe Mehrheit von 76 Stimmen haben würde. Das würde aber die bisherige Quarantäne um Wilders durchbrechen. Die Liberalen haben aber gestern bereits vorsichtig angedeutet, dass es logisch erscheint, die PVV einzubeziehen, da sie den größten Gewinn von allen beteiligten Parteien erreichte. Doch für diese Kombination braucht man die CDA.

Auf jedem Fall ist klar: In den Niederlanden gibt es bald den ersten liberalen Ministerpräsident seit 100 Jahren (der Letzte regierte von 1913 bis 1918). Logisch, dass die Gewerkschaften sich schon Sorgen machen. Der Sprecher der FNV sagte: "Die VVD, war die Partei, die am lautesten die Durchführung eines großen Sparpakets forderte." Der Gewerkschaftsverband ist besorgt, dass eine neue Regierung "mit der stumpfen Axt“ besparen wird, und dass dadurch die fragile Erholung der Wirtschaft, im Keim erstickt wird. Und in der Tat hat die VVD als ein Wahlziel angegeben, das Staatsdefizit auf null herunterzufahren. Die FNV äußerte vor allem Bedenken darüber, dass das zu harten Einschnitten bei den öffentlichen Ausgaben auf Kosten des Netzes der sozialen Sicherheit gehen wird. Auch das knappe Rennen zwischen VVD und PvdA (am Ende nur eine Differenz von einem Sitz) lässt sich auf dem Hintergrund dieser 2 gegensätzlichen Vorstellungen über Krisenbewältigung erklären: sofortiges öffentliches Sparen und Reform des Arbeitsmarktes einerseits und sozialdemokratisches, salamitaktisches Sparen und Reformieren andererseits.

Wilders doch Minister?

Für die Wilders – Partei waren die Wahlen zwar ein Fest, aber eine Regierungsbeteiligung bleibt zunächst unwahrscheinlich, obwohl Wilders natürlich gern Minister sein möchte. Er findet es unklug und nicht-demokratisch, dass PvdA und VVD ihn ignorieren. "Wir wollen regieren", ist sein Credo. Für Wilders sind die Gewinne seiner Partei "ein glorreicher Tag für die Niederlande". Sie mache Fortschritte in jeder Gemeinde. Die größten Gewinne bucht sie in Rucphen (Nord Brabant): fast 24 Prozent. Es wird angenommen, dass ihre unerwarteten Zugewinne insbesondere aus dem liberalen Lager kommen, da die laut Prognosen weit vor der PvdA hätten scoren sollen (24 % der Wilders-Wähler haben bei vorherigen Wahlen den Liberalen ihre Stimme gegeben). Aber auch 23 % vorher PvdA-Wähler stimmten jetzt für Wilders, da er, mehr als diese Partei, die soziale Situation wie die Gesundheitsorganisation und auch die Begrenzung der Lebensarbeitszeit in sein Programm aufgenommen hat.

Natürlich gibt es bereits scharfe Reaktionen verschiedener Verbände auf die Wahl. Ob sie aber eine PVV-Regierungsbeteiligung verhindern können, ist mehr als fragwürdig. So ruft die Organisation der Marokkanischen Muslime (UMMON) die PVV-Wähler auf, zu berücksichtigen, dass die Muslime „eine nicht zu verwahrlosende und negierende Bevölkerungsgruppe“ ausmachen; die Organisation gegen Rassismus (Bekennt kleur) spricht von einem schockierenden Ergebnis; die niederländische Islamitische Föderation (NIF) hofft, dass es trotz dieser Ergebnisse „doch noch gut wird in den Niederlanden“. Wilders kann sicherlich nur in einer Koalition mit der rechtsliberalen VVD und den Christdemokraten zu seinem Ministeramt kommen (und mit einer der fundamentalistischen christlichen Parteien um die notwendige absolute Mehrheit zu erreichen). Dafür müsste aber die bisherige politische Quarantäne um diese Partei aufgehoben werden. Ob das die Christdemokraten mitmachen, ist fragwürdig. Die Liberalen aber haben, wie gesagt, schon diese Variante in Erwägung gezogen.


R. Mondelaers