Neu entdecktes Verhalten und Steinanhäufungen frei lebender Schimpansen

Warum werfen Schimpansen Steine gegen Bäume?

schimpanse.jpg

Schimpanse im Berliner Zoo
Schimpanse im Berliner Zoo

LEIPZIG. (mpg) Schimpansen nutzen häufig Werkzeuge, um damit an Nahrung zu kommen oder um diese aufzunehmen. Die Tiere unterscheiden sich jedoch regional, welche Werkzeuge sie für welchen Zweck benutzen. Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben deshalb das Pan African Programme: The Cultured Chimpanzee ins Leben gerufen. In diesem Programm haben sie seit 2010 standardisiert in ganz Afrika Daten zum Verhalten von Schimpansen, zur Demografie und Ressourcenverfügbarkeit gesammelt. Dabei sind die Wissenschaftler jetzt auf eine bislang gänzlich unbekannte Verhaltensweise gestoßen: In Westafrika häufen Schimpansen Steine an, wenn sie diese gegen Bäume werfen. Warum die Tiere dies tun, wissen die Forscher noch nicht. Das Verhalten weist aber kulturelle Elemente auf.

Schimpansen angeln mit Stöcken nach Termiten oder Ameisen und holen damit Honig aus Bienenstöcken. Mit Hämmern aus Stein oder Holz knacken sie Nüsse. Darüber hinaus werfen männliche Schimpansen manchmal mit Zweigen und Steinen, um Artgenossen zu imponieren oder reißen mit den Lippen Blätter von einem Ast, um Weibchen zum Sex aufzufordern.

Rätselhafte Steinhaufen unter Bäumen sind das Werk von Schimpansen. © MPI-EVA PanAf/Chimbo Foundation
Rätselhafte Steinhaufen unter Bäumen sind das Werk von Schimpansen. © MPI-EVA PanAf/Chimbo Foundation

Seit fast 60 Jahren erforschen Wissenschaftler solches und anderes Verhalten von Schimpansen in Ost- und Westafrika. Dabei wurde klar, dass ein an wenigen Orten beobachtetes Verhalten nicht automatisch auch für andere Schimpansenpopulationen typisch ist. Mit dem Pan African-Programm wollen die Leipziger Forscher (PanAf) herausfinden, warum und wie sich solche lokalen Verhaltenstraditionen herausbilden. "Das PanAf-Projekt verfolgt einen ganz neuen Ansatz und wird viele interessante Einblicke in die Demografie und Sozialstruktur von Schimpansen, ihre Genetik, ihr Verhalten und ihre Kultur geben", sagt Hjalmar Kühl vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und vom Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung. Das PanAf-Projekt wird durch zahlreiche Kooperationen mit Schimpansenforschern, Feldforschern und den nationalen Wildtierbehörden aus 14 afrikanischen Ländern ermöglicht.

Steinhaufen unter Bäumen

In Westafrika fielen dem Projektteam an vier Forschungsstätten neben einigen Bäumen auffällige Steinhaufen auf. Kamerafallen, die unter anderem auf dem Gelände der Chimbo Foundation in Guinea-Bissau aufgestellt waren, bestätigten dann den Verdacht, dass Schimpansen diese Bäume regelmäßig aufsuchen und für diese Steinhaufen verantwortlich sind. "Unsere Kameras haben einzelne Schimpansen dabei gefilmt, wie sie Steine aufhoben, die sich neben oder innerhalb der Bäume befanden, die Steine dann gegen die Bäume warfen und dabei laute Rufe ausstießen", sagt Ammie Kalan vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Solche Steinhaufen finden sich nur in Westafrika. © MPI-EVA PanAf/Chimbo Foundation
Solche Steinhaufen finden sich nur in Westafrika. © MPI-EVA PanAf/Chimbo Foundation

Dieses Verhalten hat zur Folge, dass sich an diesen Orten Steine anhäufen. Vor allem erwachsene Männchen werfen bei ritualisiertem Imponiergehabe Steine auf die Bäume. Einige Aufnahmen der Kamerafallen zeigen aber auch Weibchen und Jungtiere bei diesem Verhalten. Die Forscher haben das Verhalten nur in Westafrika beobachtet. Im Gegensatz zu anderer Werkzeugnutzung scheint das nun beobachtete Verhalten nicht mit der Nahrungssuche zusammenzuhängen.

"Die Entdeckung einer neuen, bisher unbekannten Verhaltensweise bei Schimpansen unterstreicht das Potenzial des PanAf-Projekts, weitere Facetten aus dem Leben unserer nächsten lebenden Verwandten aufdecken zu können", sagt Christophe Boesch, Direktor der Abteilung für Primatologie am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. "Die Tiere zeigen das Verhalten auch, wenn Steine in dem Gebiet nicht im Überfluss vorkommen, oder auch, wenn geeignete Bäume nicht vorhanden sind. Es ist also wahrscheinlich, dass es kulturelle Elemente aufweist."

Schimpansen gelten oft als Beispiel für die Evolution früher Homininae. Die nun gefundenen auffälligen Steinanhäufungen werfen zahlreiche Fragen in Bezug auf archäologische Steinansammlungen auf. Möglicherweise könnte dieses Verhalten auch zu neuen Erkenntnissen über Kultstätten in der menschlichen Evolution führen.

Mitmach-Projekt PanAf

Weitere Analysen von Video- und anderen Daten, die im Rahmen des PanAf-Projekts gesammelt wurden, sind derzeit in Arbeit. Die Öffentlichkeit kann über das Portal chimpandsee.org an der Forschung teilhaben, sich PanAf-Videos ansehen und diese kommentieren. Über eine Million Videoclips hat PanAf von Schimpansen, Gorillas, Elefanten, Büffeln, Leoparden und vielen anderen Tierarten in ganz Afrika aufgenommen und bei Chimp&See eingestellt. Besuchen Sie chimpandsee.org um zu erfahren, wie auch Sie ein Bürgerwissenschaftler werden können! (SJ/HR)