Kaum jemanden in Deutschland dürfte bewusst sein, dass knapp ein Drittel des chilenischen Staatsgebietes von einer Wüste bedeckt ist – der Atacama-Wüste im Norden des Landes, eine der trockensten Regionen weltweit.
Es ist vor allem eine Stein- bzw. Hochgebirgswüste, die sich zwischen einem schmalen Küstenstreifen am Pazifik im Westen und den Hochanden im Osten 1.200 km bis weit nach Peru hinein erstreckt. Doch trotz aller Ödnis und Lebensfeindlichkeit dieser Landschaft – sie birgt mannigfaltige Überraschungen und war schon lange vor der spanischen Eroberung vielerorts bewohnt. Nahezu jeder meiner Kolleginnen und Kollegen an der Deutschen Schule Santiago de Chile hat diese Region schon einmal besucht. Also war es auch für uns geradezu Muss, die Atacama zu bereisen.
Unser Viertagestrip führte uns, wie für die meisten Touristen, zunächst per Flugzeug in die Oasenstadt Calama. Im Flieger fiel auf, dass die meisten der männlichen Passagiere wohl Pendler sein mussten. Denn der Stolz des Landes liegt hier auf knapp 3.000 m Höhe – Chuquicamata, der grösste Kupfertagebau der Welt. Die meisten der gut 200.000 Einwohner Calamas hängen direkt oder indirekt an diesem Grossbetrieb, der zum Glück nicht dem Privatisierungwahn unter dem Diktator Pinochet zum Opfer fiel. Die Löhne in der Mine liegen um das Drei bis Vierfache über dem Landesdurchschnitt. Und ihre Ingenieure gehören zu den Spitzenverdienern in ganz Südamerika. Aber das Leben dieser Menschen ist hart: 10 bis 20 Tage Arbeit in der Ödnis, fernab von den Familien und dann eine knappe Woche frei. In diesem Wechsel geht es meist jahrelang. Im übrigen ist der Beruf des Bergbauingenieurs einer der beliebtesten Studienwünsche vor allem der Jungs an der Deutschen Schule Santiago.
Weil aber der Kupfergehalt in der gigantischen Grube immer weiter abnimmt, plant man, den Betrieb in Zukunft unter Tage zu verlegen – eine Milliarden-Investition. Die Technik dafür soll u.a. aus Deutschland kommen. Die Gewinne aus den staatlichen Kupferminen bringen der Regierung gut ein Viertel aller Einnahmen und sind damit die wichtigste finanzielle Säule des Landes. Diese einseitige Orientierung auf den Kupferexport aber ist riskant. Denn der Weltmarktpreis ist konjunkturabhängig und sinkt schon seit mehreren Jahren, vor allem weil China weniger von dem Buntmetall kauft. Um so intensiver wird nach Alternativen gesucht. Und man scheint sie gefunden zu haben – ebenfalls in der Atacama-Wüste: Es ist eine der begehrten sogenannten “seltenen Erden”, nämlich Lithium, das in praktisch jedem Handy- oder Computer-Akku steckt. Geologen vermuten die weltgrössten Lithium-Vorkommen unter dem Salar de Atacama, einem gigantischen Salz-See/-Sumpf Komplex etwa hundert km östlich von Calama.
Flamingos in der Wüste?
Und das war auch unser nächstes Ziel - die kleine Oasenstadt San Pedro de Atacama am Nordrand des Salar. Der tief in das Erdreich ragende Salz-Sumpf-Komplex ist ca. 90 km lang und etwa 30 km breit. An seiner Oberfläche fallen mehrere flache Salzseen auf, in denen sich vor allem im Sommer hunderte von Flamingos tummeln – ein höchst überraschender Anblick mitten in der Wüste! Wir bekamen jedoch nur einige Wenige Exemplare zu Gesicht, den im Mai leben die meisten der Tiere in wärmeren Gegenden.
Der abflusslose Salar verdankt seine Entstehung mehreren Gletscherbächen, die ihre mineralreiche Fracht über die Jahrtausende im Talkessel ablagerten und deren Wasser entweder versickerte oder verdunstete. Zurück blieben – und bleiben – dicke Pakete von Salz. Im übrigen hat einer der weltgrössten Konzerne auf diesem Gebiet, die deutsche Kali und Salz AG mit Sitz in Kassel (meiner alten Heimatstadt), in 2006 den grössten Salz-Tagebau der Erde aufgekauft. Er liegt ebenfalls in einem grossen Salar, aber noch weiter im Norden Chiles, unweit der Pazifikküste, wo der Konzern sogar einen eigenen Verladehafen betreibt.
Weil man auf eine noch intensivere Ausbeutung des wertvollen Lithium-Metalls hofft, steht auch der Salar de Atacama nur zu einem geringen Teil unter Naturschutz. Hinzu kommen die ökologischen Probleme bei der Lithium-Gewinnung. Denn der Stoff wird in riesige Verdunstungsbecken gepumpt, aus denen das Wasser verdampft und Lithiumkarbonat hinterlässt. Das Wasser, das zuvor dem tief liegenden Grundwasser entnommen wurde und das in der 2500 m hoch gelegenen Wüstenregion ohnehin Mangelware ist, verschwindet in der Atmosphäre. Solchen Anlagen begegneten wir bei unserer Autofahrt durch den Salar immer wieder – aber die wenigsten Touristen wissen wahrscheinlich, um was es sich dabei handelt. Denn entsprechende Schilder oder Info-Tafeln sucht man hier vergebens.
Der Ort San Pedro selbst war schon lange in der Vor-Inca-Zeit bewohnt und galt als ein wichtiger Handelsknotenpunkt. Er verdankt seine Existenz vor allem einem Gletscherzufluss sowie einem ganzjährig wasserführenden Bach, der nur eine knappe Autostunde weiter als 37 Grad warme Thermalquelle aus dem Fusse eines der vielen Vulkanmassive entspringt. Die Quelle ist heute einer der zahlreichen Touristenmagnete der gesamten Region. Sie liegt in einer engen, etwa 100 m tiefen Schlucht und wird von saftig grünen Vegetationsbändern gesäumt. Das Eintauchen in das warme Quellwasser ist ein Hochgenuss – das Herauskommen dagegen eine Folter, zumindest in der Monaten Mai bis Oktober, also im chilenischen Winter: Denn die Felsspalte liegt auf 3.200 m Höhe und es bläst ein unablässiger, eiskalter Wind von den umgebenden Vulkankegeln, deren Spitzen mit knapp 6.000 m Höhe ganzjährig mit Schnee und Eis bedeckt sind. Zum Glück hatten wir ein paar dicke Handtücher dabei. Einige der anderen Badegäste dagegen kamen mächtig ins Schlottern.
In den letzten zwanzig Jahren hat sich San Pedro de Atacama interessanterweise zu einem Magnet vor allem für Rucksack-Touristen entwickelt. So füllen sich allabendlich sowie vor allem an den Wochenenden die staubigen, weil unbefestigten engen Gassen des 5.000-Einwohner-Städtchens mit Heerscharen von Besuchern aus aller Welt. Tags fällt vor allem das dunkle Rot der aus getrockneten Lehmziegeln erbauten einstöckigen Häusern auf. Dächer, Türen und Fensterrahmen sind meist aus Kaktusholz hergestellt. Die einfache und effiziente Architektur hat in dieser nahezu niederschlagslosen Gegend die Jahrhunderte überdauert. Hinter den meist schmucklosen Fassaden wird man jedoch in der Regel überrascht: Die Gebäude beherbergen im Inneren unzählige Hotels, Pensionen und Restaurants für praktisch jeden Geldbeutel und sind zumeist äussert geschmackvoll eingerichtet. Viele haben zum Innenhof noch einen kleinen Garten oder gar einen Pool.
Jeder kennt die Incas – wer aber die Atacameños?
Etwa drei km vom Städtchen entfernt thronen auf einem Hügel die rotbraunen Ruinen der prähistorischen Festung Pukara de Quitor. Sie zeugen von der einstigen Hochkultur der Ureinwohner, den Atacameños, welche die Region bereits vor 11.000 Jahren besiedelten. Der Begriff ist jedoch wiederum nur eine Sammelbezeichnung für verschiedene Ethnien. Diese Menschen kultivierten ihre landwirtschaftlichen Produkte, darunter Mais, Feigen und Kartoffeln, durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem in der trockenen Umgebung schon in prähistorischer Zeit. Wissenschaftler gehen davon aus, dass es hier jedoch in früheren Zeiten sehr viel mehr Wasser gab als heute. Im 12. Jahrhundert eroberten die kriegerischen Inkas aus dem heutigen Peru die Gebiete der Atacameños und bauten die Festung weiter aus. Eingeschleppte Krankheiten wie Masern und die Grausamkeit der Spanischen Eroberer führten dazu, dass die Festung seit dem 16. Jahrhundert verlassen wurde und verfiel. Seit den 1980er Jahren wird sie wieder von Archäologen restauriert. Und seit der Nach-Pinochet-Ära beginnt auch in Chile eine stärkere Bewusstwerdung der vielfältigen historischen Wurzeln des Landes.
Ein weiterer Höhepunkt beim Besuch der Region sind die Tatio-Geysire. Sie sind etwa 100 km von San Pedro entfernt, liegen jedoch auf einer Höhe von 4.300 m. Sie sind damit das höchst gelegene Geysierfeld der Erde. Entsprechend dünn und eiskalt ist die Luft und jeder Schritt lässt das Herz jagen. Je höher man auf der kurvenreichen Strecke kommt, um so öfter begegnet man Herden der wilden Vikuñas, verwandte der bei uns eher bekannten Alpakas. Sie leben in den Hochanden Equadors, Perus, Boliviens, Argentiniens und Chiles zwischen 3500 und 5500 m und ernähren sich hauptsächlich vom gelbbraunen, in kleinen Büscheln wachsenden paja brava Gras. Während es zur Zeit der Inka etwa 1,5 Millionen dieser Tiere gab, war ihre Zahl bis 1965 auf 6000 zurückgegangen! Durch Schutzmassnahmen, u.a. vom Frankfurter Zoo organisiert, konnten sich die Bestände jedoch wieder auf etwa 200.000 erholen. Vielerorts werden sie zur Nutzung auch in Gattern gehalten. Neben Vikuña-Fleisch, das auch in der Kantine der Deutschen Schule Santiago de Chile angeboten wird, ist es vor allem die extrem wertvolle Wolle, die die Tiere so begehrt machen. Ein Pullover aus Vikunja-Wolle, eines der feinsten Tierhaare überhaupt, kann locker 1.000 bis 2.000 Euro kosten. Seitdem können wir auch erahnen, weshalb in unserer Strasse in Santiago-Vitacura in einem entsprechenden Vikuñna-Wolle-Geschäft keinerlei Preise an den Schaufenster-Auslagen zu finden sind…
Die Geysire sind tags eher kleine, zischende und blubbernde Dampfquellen. Ihre beeindruckenden Fontänen entwickeln sie am frühen morgen. Denn nachts ziehen sie sich unter der kalten Luft in schwefelgefärbte kleine Mulden zurück, auf denen sich dünne Eishauben bilden. Erwärmt die starke Höhensonne die Morgenluft über dem Hochtal und bringt das Eis zum Schmelzen, schiesst das Wasser in die Höhe. Ein Ausflug lohnt sich daher vor allem dann, wenn man bereit ist, schon um vier Uhr morgens aufzubrechen. Alleine ist man dann allerdings wahrlich nicht. Wir zogen es daher vor erst einmal auszuschlafen.
Die vielen Reiseagenturen in San Pedro de Atacama bieten eine umfangreiche Palette von Aktivitäten an. Abgesehen von den üblichen touristischen Highlights sind es mittlerweile auch Mehrtages-Reisen zu dem grössten Salzsee-Komplex der Erde, dem Salar de Uyuni, im benachbarten Bolivien, Mountainbike-Touren, Sand-Surfen in den nahegelegenen Dünen oder geführte Ausflüge zu Pferd. Wir entschieden uns für Letzteres – und wurden reichlich belohnt. Der fünfstündige Ritt führte uns durch benachbarte Flussoasen und zerklüftete Felslandschaften, über ein fast 3000 m hoch gelegenes Plateau mit einer faszinierenden Aussicht sowie durch ausgedehnte Sanddünen-Landschaften (siehe Foto 3). Selbst Anfänger kommen bei diesen Ausritten auf ihre Kosten, weil die stämmigen Pferde absolut trittsicher in jedem Gelände sind. Spätestens bei diesem Ausflug wurde uns auch bewusst, wie wichtig mittlerweile der Tourismus für die einheimische Bevölkerung ist. Ohne ihn wäre das Städtchen wohl noch immer eine der ärmsten Gemeinden in der Atacama-Wüste.
Bizarre Schönheiten – Valle de la Luna und Valle de la Muerte
Den absoluten Höhepunkt einer Reise nach San Pedro de Atacama bildet für die meisten Besucher eine Fahrt zum nahegelegenen Valle de la luna, dem Tal des Mondes. Seine bizarre Schönheit ist vor allem bei Sonnenuntergang erst richtig zu erleben, wenn die schrägen Sonnenstrahlen die mannigfaltigen Felsspitzen gelbrot erleuchten lassen und geradezu dramatische Schattenspiele und Ausblicke in dieser Mondlandschaft erzeugen (siehe Foto 4). Jahrmillionen lange geologische Prozesse der Hebung und Senkung sowie vielfältige Einflüsse von Sonne, Wind, Frost und Hitze haben extrem verwitterte Stein- und Felsformationen hervorgebracht, die in dieser Form vielleicht einzigartig auf der Welt sind. Zwischen den Klippen stechen z.T. weiträumige Salzablagerungen knallig weiss hervor.
Ähnlich faszinierend ist das nahe gelegene Valle de la Muerte, das Tal des Todes. Hier sind es vor allem die steilstehenden, zerklüfteten Tonstein- und Gipsschichtformationen, die z.T. engste Schluchten bilden und zwischen denen sich ein schmaler Reit- und Mountainbike-Weg schlängelt. Die überraschende Besonderheit im Tal des Todes bildet eine enorme Sanddünenformation, die wir unter fachkundiger Leitung mit unseren Pferden durchqueren konnten. Dabei sackten die Tiere in den staubfeinen Sand z.T. metertief ein. Dank ihrer absoluten Trittsicherheit blieb aber auch diese Exkursion nahezu frei von jeglichem Risiko.
Fazit: Wer Chile besucht, kommt an der Atacama-Wüste nicht vorbei. Hier warten Erlebnisse, die man so wohl nicht vermutet.
2 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Da wäre ich mal gern gewesen; aber ich mache keine Fernflüge mehr. Außerdem ist da die Luft schon sehr dünn.
Letzteres hat wohl auch in diesem ansonsten informativen Beitrag zu ein paar Fehlern geführt:
- Die mineralreiche Fracht (Salze) entstammt nicht dem Gletscher-Schmelzwasser; sie wird aus dem teils vulkanischen Gestein ausgewaschen.
- Und da wird nicht salzfreies (genießbares) Grundwasser hochgepumpt, sondern stark salzhaltige Sole, die in Salinenfeldern weiter eingedampft wird. Gleichwohl sinkt dadurch der Wasserspiegel in der Salzpfanne.
Die ablflusslose Pfanne liegt in einem geologischen Graben (größenvergleichbar mit dem Oberrheingraben, nur hat dort der Rhein für einen Abfluss gesorgt) und kann mit allen Einzelheiten in Google Maps betrachtet werden: Flüsse, Bäche, Wasserlöcher oder die qkm-großen Salinenanlagen (-23.477365, -68.337629 ; beide Zahlen wie angegeben zusammen c&p in die Maps search bar).
Weitere Infos in https://de.wikipedia.org/wiki/Salar_de_Atacama
Dr. Bruno Osuch am Permanenter Link
Lieber Hans Truttnau,
Und natürlich sind die Salze Produkte von Auswaschungen aus dem Vulkangestein. Aber die entsprechenden Bäche werden grösstenteils trotzdem von den umliegenden Gletschern gespeist, es sei denn, sie quellen direkt als Thermalwasser aus den Tiefen der Vulkanfelsen, wie ebenfalls beschrieben. Beim nächsten Mal werde ich beim Formulieren noch präziser sein. Mit besten Grüssen vom anderen Ende der Welt!
Dr. Bruno Osuch