HVD in Württemberg willkommen

STUTTGART. Der Humanistische Verband Deutschlands bereitet sich derzeit auf seine Bundesdelegiertenversammlung vor.

Sie findet am 7./8. Juni in Stuttgart statt. Im Vorfeld stellt der hpd vor, was in Stuttgart diskutiert und im Umfeld geplant ist. Dazu heute ein Interview mit dem Geschäftsführer der „Humanisten Württemberg“, Andreas Henschel.

hpd: Was hat Sie veranlasst, den HVD ins Humanistische Zentrum Stuttgart (Karl-Becker-Haus) einzuladen, damit er dort zu seiner ordentlichen Bundesdelegiertenversammlung zusammenkommen kann?

Henschel: Dafür gab es eine ganze Reihe von Motiven und um diese zu erklären, muss ich zunächst etwas weiter ausholen: Seit der Umbenennung unseres Verbandes vor drei Jahren, wo wir den Namen „Die Humanisten“ als prägnantes Signum in unsere Bezeichnung aufgenommen haben, hat sich auch unsere Beziehung zum HVD vertieft und intensiviert. Dabei war die Namensänderung gar nicht so sehr Ausdruck einer Veränderung unserer Zielrichtung. Denn unser Verband war schon immer eher freidenkerisch bzw. humanistisch als „freireligiös“ geprägt. Jedenfalls waren wir noch nie in dem Sinne freireligiös wie das sonst so hier im Südwesten der Republik anzutreffen ist.

hpd
: Wie belegen Sie das?

Henschel: Einmal phänomelogisch zum andern aber auch inhaltlich: Es gab in unserem Verband zumindest seit der Wiederzulassung nach dem Krieg noch nie einen „Pfarrer“ oder „Prediger“ und schon gar nicht war je ein Talar bei den so genannten „Amtshandlungen“ (Trauerfeiern, Hochzeiten, Namensgebungen etc.) in Gebrauch, noch gab es ein Kerzenritual zu Beginn und am Ende einer Feierstunde oder bedeutete die Jugendfeier (bzw. Jugendweihe) gleichzeitig den Eintritt in die „Gemeinde“. Daneben ist bei uns auf der ideologischen Ebene wohl eher ein freidenkerisch geprägter antiklerikaler Atheismus vorherrschend. Teilweise damit auch vermischt finden wir in unseren Reihen auch Menschen mit einem sich auf die Natur beziehendes pantheistischem Empfinden, wie es auch bei den Naturfreunden gepflegt wird, ohne das diese sich als religiös bzw. „freireligiös“ verorten würden.

hpd
: Was bedeutete das für Ihr Verständnis von „freier Religion“?

Henschel: Das Wort „Religion“ hatte hier im Verband – berechtigterweise oder nicht, diese Diskussion lassen wir einmal offen – auch als Verbindung mit dem Adjektiv „frei“ eine eher negative Akzentuierung und die Öffentlichkeit, auch wenn sie interessiert war, hat die Bezeichnung „freireligiös“ nie kapiert bzw. fast generell missverstanden in Richtung Freikirche, Sekte etc. Insoweit war unsere Mitgliedschaft mit dem alten Namen nie glücklich und es gab wohl schon immer Diskussionen darüber, dies zu ändern. Das einzige allgemein akzeptierte Verständnis von dem was die Bedeutung des freireligiös sein könnte, war hier die Deutung als frei von Religion.

hpd
: Wieso dann erst jetzt die Änderung?

Henschel: Diese Diskussionen wurden unter Verweis auf eine vermeintliche Gefährdung der Körperschaftsrechte lange unterdrückt. Nach der Übernahme des Amtes von meinem Vorgänger Dr. Becker habe ich dann gesagt, lasst uns die Kontroverse (die, wie sich dann rausstellte, innerhalb des Verbandes gar keine war) einmal offen führen und dann sichten was dabei herauskommt und es dann auch versuchen beim Kultusministerium umzusetzen. Nach einer über zweijährigen intensiven Diskussionsphase hat sich der Verband mit überwältigender Mehrheit für den neuen Namen entschieden und vom Kultusministerium wurden dann die weit über die Namenserweiterung reichenden Verfassungsänderungen problemlos akzeptiert.

hpd
: ... und mit dem Namenswechsel begannen die Beziehungen zum HVD?

Henschel: Sie wurden intensiver. Konsequenterweise gab damals die Mitgliederversammlung mir auch gleich den Auftrag, die Beziehungen zum HVD als dem großen humanistischen Dachverband neu zu sondieren. Viele denken ja, das wir da schon Mitglied sind aber so einfach geht das dann auch wieder nicht, da es hier doch auch große Unterschiede in der Verbandskultur gibt und die Schwaben sind (historisch gesehen vielleicht sogar mit Recht) eher reserviert gegenüber großen übergeordneten Strukturen, zumal wenn sie dann auch noch preußischen Ursprungs sind bzw. aus Berlin kommen. Die Einladung soll hier auch ein wenig helfen, das „Fremdeln“ abzulegen und das Miteinander zu verstärken.

hpd
: Haben Sie sich „abgenabelt“?

Henschel: Von seiner Geschichte kann man sich nicht „abnabeln“. Wir stehen dazu. Wir waren im Nationalsozialismus verboten und eine ganze Reihe unserer politisch aktiven Mitglieder erlitten Verfolgung, waren im Gefängnis und im KZ. Nach unserer Wiederzulassung waren wir im Bund Freireligiöser Gemeinden (bfgd) über Jahrzehnte aktiv dabei. Wegen dessen zunehmender Bedeutungslosigkeit kam es aber bereits unter meinem Vorgänger zum Austritt und daran hat sich seither, wie ich bei meinen sehr sorgfältigen Sondierungen in den ersten Jahren meiner Amtszeit mitbekam, nichts geändert, sodass ich keinen Sinn darin sah, hier eine Wiederbelebung zu forcieren. Wir haben mit der Umbenennung nun ein neues Kapitel begonnen und meinen, damit erfolgreicher zu sein als bisher.

hpd
: Ich habe gehört, der HVD hat für Sie und die Sachsen-Anhaltiner den Status der „Assoziierung“ in der Zusammenarbeit eingeführt, den es satzungsmäßig gar nicht gibt. Stimmt das?

Henschel: Der HVD musste und wollte hier erfinderisch sein. Da unser regionaler Verband „Die Humanisten Württemberg“ rechtlich und organisatorisch bisher dem HVD nicht angehört, sondern lediglich mit der befreundeten Organisation „assoziiert“ ist, haben wir bisher auch keine Stimm- und Mitbestimmungsrechte in den Gremien der humanistischen Bundesorganisation. Aber nun wollen wir einmal sehen, wie der HVD seine Probleme löst, die er als „lebender“ Verband zweifellos auch hat. Ich denke, dass gerade dies mitzuerleben besonders wichtig ist, denn da können die Menschen hier vor Ort sehen, dass der HVD keine dirigistisch geführte Organisation ist, sondern ein sehr diskussionsfreudiger Mitgliederverband, der dabei immer bemüht sein muss, ein Mindestmass an Konvergenz zu erreichen.

hpd
: Deshalb die Einladung an den HVD?

Henschel: Um diese Annäherung auch für unsere interessierten Mitglieder vor Ort noch stärker erlebbar zu machen und die Arbeit des Humanistischen Verbandes wie auch die darin handelnden Menschen näher kennenzulernen, hat der Vorstand unseres Verbandes sich entschlossen, die nächste ordentliche Delegiertenversammlung des HVD zu uns ins Humanistische Zentrum Stuttgart einzuladen.

hpd
: Was hatten Sie denn bisher vom HVD?

Henschel: Wir haben über die bisherige „lose“ Beziehung bereits weit reichende professionelle Hilfe erhalten in vielen politischen, rechtlichen und sozialen Fragen, die uns wiederum geholfen haben, uns in der Öffentlichkeitsarbeit besser zu positionieren und auch unser Angebot an unsere Mitglieder z. B. im Bereich der Patientenverfügung oder auch in der Jugendarbeit und den Jugendreisen zu bereichern. Der Bezug auf den Humanismus wird insgesamt besser angenommen als der bisherige freireligiöse, der vielen zu unbestimmt war und die Menschen eher hinderte, zu uns zu kommen, weil sie befürchteten, in eine Außenseiterecke zu geraten.

hpd
: Hat Ihnen der HVD auch andere Türen geöffnet oder ist er zu vereinnahmend?

Henschel: Zunächst: Die Vertreter unseres Verbandes sind vom HVD immer herzlich zur Mitwirkung, Mitsprache und Teilnahme eingeladen worden, was ich als Geschäftsführer der Württemberger Humanisten in den letzten Jahren kontinuierlich getan habe und woraus sich eine zunehmend vertrauensvolle und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen unseren Verbänden entwickelt hat.
Wichtig ist uns: Über diese Kontakte haben wir unsere Tore überhaupt erst wieder richtig geöffnet und wir finden auch überregional stärkere Beachtung. Dies drückt sich auch in einer weit reichenden organisatorischen Vernetzung aus, z.B. im Bereich der Jugendarbeit (Junge Humanisten), in der Öffentlichkeitsarbeit (Humanistischer Pressedienst, hpd) und der Bildungsarbeit (Humanistische Akademie Deutschland).

hpd
: Wie wird das außerhalb des HVD und ihrer Organisation gesehen?

Henschel: Zunächst einmal möchte ich anmerken, dass ich eine offen geführte Diskussion nie gescheut habe und überverbandlichen Gesprächen nie ausgewichen bin. Insbesondere habe ich die Verbindung zu unserer „Schwester“organisation, der Freireligiösen andesgemeinde Baden immer versucht auf allen Ebenen weiterzuführen bzw. uns gegenseitig über die Entwicklungen und Probleme offen zu informieren, so dass ich, so weit ich darüber informiert bin, Anlass habe zu der Meinung, dass mittlerweile alle im säkularen Spektrum unsere Entwicklung mit Respekt vor uns und auch dem HVD sehen.
Immerhin tagt das „Bundesparlament“ des größten und einflussreichsten humanistisch-atheistischen freidenkerischen Dachverbandes in Deutschland nun in Stuttgart und selbst Landesverbände des HVD wollten dieses Ereignis haben. So setzt der HVD ein Zeichen, das sicher verstanden wird.
Nebenbei: Präsident Dr. Groschopp und ich nutzen am Donnerstag die Gelegenheit zu einem freundschaftlichen Gespräch mit dem Präsidenten des bfgd und der Freireligiösen Landesgemeinde Baden, Rainer Schrauth, in Mannheim.

hpd
: Welche Ereignisse gibt es um die Tagung herum?

Henschel: Es sind vier Ereignisse, davon drei öffentlich. Nicht öffentlich, aber wichtig ist: Die Geschäftsführer des HVD kommen am Freitag zu ihrem turnusmäßigen Arbeitstreffen zusammen.

hpd
: Es wird eine Pressekonferenz geben?

Henschel: Ja, Am Freitag, 6. Juni, 10:00 Uhr, findet eine öffentliche Pressekonferenz statt zu zwei Themen: Einmal zur Politik des HVD allgemein, denn der Humanistische Verband Deutschlands ist eine bundesweite Weltanschauungsgemeinschaft und Anbieter zahlreicher sozialer und gesundheitlicher Dienstleistungen mit politisch eigenständigen und von den Kirchen unterschiedenen Positionen, z.B. zur Stammzellforschung und zu den Patientenfügungen.
Zum anderen: Der HVD bietet bereits in zwei Bundesländern Unterricht im Fach Humanistische Lebenskunde als nichtreligiöse Alternative zum Religionsunterricht an. Er setzt sich derzeit in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern für die Einführung dieses Unterrichtsfachs an den Schulen ein, sieht sich aber politischen und bürokratischen Hürden gegenüber.
Um eine gesicherte Grundlage für das tatsächliche Interesse zu erhalten, hat der HVD eine repräsentative Umfrage bei dem renommierten Institut forsa in Auftrag gegeben, das hierfür bundesweit Personen über 14 Jahre befragt hat. Der HVD präsentiert diese Ergebnis in Stuttgart – und ich kann versichern: Die Ergebnisse ermutigen und verblüffen zugleich.

hpd
: Sie sprachen von der Humanistischen Akademie. Sie empfängt auch?

Henschel: Am Vorabend der Tagung, zu der wir die aus dem ganzen Bundesgebiet anreisenden Delegierten herzlich begrüßen, wird am Freitag, 19:00 Uhr, Prof. Frieder Otto Wolf, Präsident der Humanistischen Akademie, von der Freien Universität Berlin, im Humanistischen Zentrum Stuttgart einen Vortrag zum Thema „Die Zukunft des Humanismus als Lebenshaltung“ halten.
Eine gute Gelegenheit für unsere Mitglieder und interessierte Gäste, im Anschluss an den Vortrag bei einem guten Viertele Trollinger über die zukünftige Entwicklung des organisierten Humanismus bei uns im Ländle mit den Vertretern des HVD zu diskutieren und so auch am bundesweiten Erfahrungsaustausch teilzunehmen.

hpd
: Und was hat die gemeine Mitgliedschaft von den Delegierten?

Henschel: Eine gemeine Mitgliedschaft gibt es bei uns nicht, nur ordentliche Mitglieder, Familien- und Fördermitglieder. Jeder ist herzlich eingeladen, an der Delegiertenversammlung sowie dem Rahmenprogramm teilzunehmen und so persönlich mit den Humanisten und Humanistinnen aus den anderen Teilen der Republik ins Gespräch zu kommen. Und dann im Anschluss an die Tagung lade ich am Sonntagnachmittag noch herzlich dazu ein, mit mir bei einer etwa dreistündigen Wanderung auf dem „Blaustrümpflerweg“ die sehr spannende Topografie Stuttgarts einschließlich einer Fahrt mit der ältesten Standseilbahn Deutschlands, die im übrigen auf einen Friedhof führt sowie der Zahnradbahn „Zacke“ zu erkunden.

Das Gespräch führte GG