In den Beiträgen bilden sich zwei unterschiedliche Strategien ab, die Gleichbehandlung der Konfessionslosen zu erreichen. Von welchen Grundannahmen werden diese jeweils getragen?
Horst Groschopp: Ja, es gibt eine Abbau- und eine Aufbaustrategie. Beide gibt es seit den Zeiten der Freireligiösen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Bildung des „Weimarer Kartells“ von 1909. Beide politische Strategien haben ihre politischen Begründungen und juristischen Berechtigungen.
Die Abbaustrategie erstrebt die vollständige Staat-Kirche-Trennung, den Abbau von „Privilegien“, ausgehend von Artikel 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs 1 WRV. Diese Absicht ging in die Weimarer Reichsverfassung ein. Das Buch zeigt den Vorgang und die Ergebnisse (Heinig, Korioth). Am beginnenden 20. Jahrhundert unterstützten allerdings der Liberalismus und die Sozialdemokratie (Erfurter Programm) dieses Ziel. Das sehe ich für heute nicht.
Die Aufbaustrategie geht den Weg der Trennung von Staat und Kirche (wie es im Gründungsdokument des HVD von 1993 heißt) „auf dem Wege der Gleichbehandlung“ im Prinzip aller Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften nach Artikel 140 i.V.m. Art. 137 Abs. 7 WRV.
Beide Strategien sind im Grundsatz nicht vereinbar, was ja nicht heißen muss, dass die alten Grabenkämpfe unter uns wieder aufbrechen, die wir vor der „Sichtungskommission“ 1999/2000 hatten. Aber man darf den jeweils anderen nicht überfordern, nicht bremsen, keine Verwirrung bei den Konfessionsfreien und in den Verbänden erzeugen. In Strategiefragen sollten wir in der „säkularen Szene“ ehrlicher miteinander umgehen und zu gegebener Zeit die Erfahrungen in der Kampagne „Staatsleistungen an die Kirchen ablösen!“ freundschaftlich auswerten.
In welchen Bereichen sind hier konkrete Veränderungen in absehbarer Zeit möglich?
Horst Groschopp: Ich sehe ein Feld, auf dem ich in historisch kurzer Frist praktische Erfolge erwarte, das ist der „Weltanschauungsunterricht“ Lebenskunde und das sind die „Humanistischen Schulen“. Auf zwei anderen Gebieten, die sehr symbolisch aufgeladen sind, weil es sich um machtnahe Politikfelder handelt, erwarte ich großen Widerstand, sehe aber einige Aufgeschlossenheit, eben wegen des Drittels der Konfessionsfreien. Das ist zum einen das Feld der Militärseelsorge und zum anderen das des „Lebenskundlichen Unterrichts“ der Bundeswehr, der ethischen Unterweisung von Soldaten. Überhaupt denke ich, dass „Humanistische Beratung“ etwa in Krankenhäusern und Hospizen verstärkt nachgefragt wird. Das ist aber nicht ehrenamtlich lösbar.
Das zweite schwierige Feld ist das „Staatszeremoniell“, von der öffentlichen Feier- bis zur Erinnerungskultur. Die Humanistische Akademie Berlin wird beide strittigen Fragen 2011 aufgreifen. Zu beiden Themen wird es Tagungen geben (am 9. April und am 5. November) – übrigens auch eine zum Laizismus (3./4. Dezember).
Lässt sich eine so optimistische Einschätzung nach dem letzten Deutschen Juristentag noch aufrechterhalten? Die dort geäußerten Auffassungen lagen ungefähr auf dem Niveau, das von einer Kardinalsversammlung zu erwarten gewesen wäre.
Horst Groschopp: Ich habe dazu oben einiges gesagt, will aber an einem anderen Beispiel meine Haltung erklären. Zunächst: Einschätzungen wie „Kardinalsversammlung“ versperren den Weg zum Dialog. Jetzt mein Beispiel: Als wir im HVD mit Gründung 1993 mit Patientenverfügungen zu arbeiten begannen, hatten wir ethisch wie politisch und juristisch „reine“ und „klare“ Positionen zur Sterbehilfe. Je mehr wir die Praxis und wirkliche „Fälle“ hatten, wurden wir politisch und juristisch konkreter, gewannen Prozesse, halfen Menschen. Hauptmangel blieb lange Zeit die Aufgeschlossenheit der Ärzte. Erst über die Jahre hinweg wurde Vertrauen gebildet, wurden wir besser verstanden, weil wir die Ärzte besser verstanden. Das sehe ich, bezogen auf die Juristen, nicht anders. Der Sammelband zeigt doch gerade, dass man miteinander geredet hat und sich verständigte, was man meint und nicht meint. Deshalb ist, politisch gesehen und für mich persönlich, der Beitrag von Herrn Hempelmann von der EZW der wichtigste.
In mehreren Beiträgen wird die Frage angerissen, was eine angemessene Repräsentation der Konfessionslosen wäre. Die Argumentationsansätze von Reinhard Hempelmann und Frieder Otto Wolf könnten weiter nicht auseinander liegen...
Horst Groschopp: Da empfehle ich dann doch die Lektüre, denn beide stimmen in der Frage der Gleichbehandlung überein. Hempelmann ist aber Kirchenvertreter. Sein Konzept der Gleichbehandlung setzt irgendwie auf Kirchenähnlichkeit von Weltanschauungsgemeinschaften mit Religionsgesellschaften. Das ist eine Haltung, die wir nicht befriedigen können und wollen, auch wenn ich selbst mitunter von „humanistischer Konfession“ rede. Da gibt es große Unterschiede, wie es auch in den Buchbeiträgen Nuancen zwischen mir und Frieder Otto Wolf gibt. Er, so meine Interpretation seines Textes, fragt völlig berechtigt nach einem möglichen „dritten Weg“ jenseits der historisch gewachsenen Staat-Kirche-Beziehungen. Das bestimmt auch die Haltung zu „Islamlehrstühlen“. Sind wir doch froh, dass es im HVD kein Unisono gibt. Um so wichtiger wird ausgehandelte Verbandspolitik.
Gibt es eine Möglichkeit, jene Konfessionslosen zu repräsentieren, die sich bewusst keiner Weltanschauungsvereinigung angeschlossen haben, weil sie in diesen Fragen ihren individuellen Weg gehen wollen, die sich aber zugleich weltanschaulich neutrale soziale Einrichtungen wünschen und den starken Einfluss der Kirchen, wenn es um ethische Fragen geht, ablehnen?
Horst Groschopp: Sie können sich z.B. in politischen Parteien organisieren. Der KORSO besteht zudem aus vielen Vereinen. Wer einen „Zentralrat“ hinbekommt, wird von jeder politischen Partei umworben werden. Doch wer in unserer Szene will diese Tortur der Organisation von unten an auf sich nehmen, bei dieser geringen Chance auf Erfolg? Wer hat gute Beziehungen zu BILD und ZEIT, die zu gewinnen wären?
Ich komme noch einmal auf den Anfang dieses Interviews zurück: Als 1919 diese Kirchenartikel formuliert wurden, waren fast alle Bürgerinnen und Bürger katholisch, evangelisch oder jüdisch, einige wenige waren freikirchlich oder freireligiös. „Dissidenten“ gab es 1919 etwa 100.000, davon war noch ein Viertel organisiert – „Sonderrechte“ für diese Gruppe? Das nein, aber Artikel 137, 7 WRV.
Die Konfessionsfreien heute sind zwar zahlenmäßig wesentlich größer, aber, um ein Bild von Karl Marx im „18. Brumaire“ zu benutzen, alles irgendwie „Parzellenbauern“. Allgemeine Aufrufe an diese Gruppe verhallen im politischen Raum. Sie verbindet keine Kirchenkritik, keine Kommunikation, keine Organisation. Sie sind keine Kulturgemeinschaft. Nicht alle sind „ungläubig“. Ihre Interessen sind ohne sie formuliert, wenn auch historisch und soziologisch ordentlich abgeleitet. Wenn diejenigen, die sich auf sie berufen, seit 1909 („Weimarer Kartell“) im Prinzip die gleichen Forderungen stellen bis hin zum KORSO 2008 – warum soll Politik oder Recht auf diese Gruppe Rücksicht nehmen?
Wir sind doch alles brave, integrierte Leute. Wenn die Kirchen zu den Organisationen zählen, denen immer weniger Vertrauen entgegen gebracht wird, wieso soll auf Kirchengegnerschaft basierte Konfessionsfreienpolitik modern sein?
Ich setze auf praktischen Humanismus und weltanschauliche „Humanismuspflege“ und habe eine ganz andere Sorge. Die ist im abschließenden Satz in meinem Beitrag in dem Band formuliert. Das kann man dort nachlesen.
Wir danken für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.