Konfessionsfreie und Grundgesetz

(hpd) Obwohl sich Deutschland längst zu einer „multiweltanschaulichen“ Gesellschaft entwickelt hat, bestimmen immer noch jene Artikel das Verhältnis von Staat und Kirchen, die 1919 als Kompromiss in die Weimarer Reichsverfassung eingingen.

 

Mit der Frage, in welchem Verhältnis „Konfessionsfreie und Grundgesetz“ heute zueinander stehen, befassten sich mehrere Veranstaltungen der Humanistischen Akademie. Die Ergebnisse sind soeben in Buchform erschienen. hpd sprach mit dem Herausgeber und Direktor der Humanistischen Akademie Horst Groschopp.

Was die Religionszugehörigkeit angeht, haben sich die Daten für Deutschland in den vergangenen 25 Jahren deutlich verändert. Findet angesichts dessen eine verfassungspolitische Debatte statt?

Horst Groschopp: Nein. Wieso auch? Alle Bürgerinnen und Bürger sind nach Art. 3 GG sozusagen vom Grundstatus her „konfessionsfrei“. Wir sehen „Konfessionsfreie“ – wie wir die „Kirchenabtrünnigen“, die ehemaligen „Dissidenten“, die „Konfessionslosen“ heute nennen – als eine besondere demographische Formation und definieren sie in Abgrenzung vor allem zu den christlichen Kirchen. „Konfessionsfreie“ sind eine in dieser bürgerrechtlichen Allgemeinheit schwer fassbare Gruppe. Sie haben an Zahl mächtig zugelegt, besitzen aber – juristisch gesehen – keinen eigenen Rang: Alles Grundrecht ist „Konfessionsfreienrecht“.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen hebt aber das Grundgesetz – durch Übernahme der Staatskirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz (Art. 140) – Religionsgesellschaften gegenüber anderen „Körperschaften“ hervor. In der Folge befestigten und erweiterten sich die gewährten „Sonderrechte“ zu „Privilegien“. „Privilegien“ ist jedoch ungenau formuliert, denn das gleiche Grundgesetz stellt in Art. 4 Abs. 1 eindeutig klar, dass diese „Privilegien“ auch für „Weltanschauungen“ gelten, also keine mehr sind, wenn diese sie wahrnehmen wollen. Müssen muss aber niemand.

Das Problem, das sich aus der Konstruktion des Grundgesetzes ergibt, und das wird im vorliegenden Buch umfänglich ventiliert, besteht darin, dass es den Zugang zu dieser Gleichbehandlung auf einem Weg eröffnet, der vielen Säkularen suspekt ist – denn es ist ein letztlich „konfessioneller“ Weg. Zugespitzt: Konfessionslose sollen irgendwie konfessionell werden.

Ein anderer Weg ist – im Buch schlägt ihn Eric Hilgendorf vor – der Staat wirkt dahin, dass Religion Privatsache wird. Alle Bürger werden dadurch rechtlich „konfessionsfrei“ im obigen allgemeinen Sinn. Hierzu gibt es ja aktuell einige Bemühungen, den Artikel 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs 1 WRV (Ablösung der historischen Staatsleistungen entsprechend Reichsdeputationshauptschluss 1803, auf alle inzwischen gewährten Staatsleistungen erweitert) in die öffentliche Debatte zu bringen. Ziel ist der Abbau von historisch gewachsenen kirchlichen Garantien – aber auch (wenn schon, dann konsequent) von historisch erkämpften Staatsleistungen an Weltanschauungen.

Für eine verfassungspolitische „Wende“ sehe ich keine Mehrheiten. Erst kürzlich hat sich der 68. Deutsche Juristentag erstmals mit Religionsverfassungsfragen beschäftigt und grundsätzlich festgestellt, dass sich das „verfassungsrechtliche Konzept einer fördernden Neutralität im Verhältnis von Staat und Religion ... bewährt hat“ (siehe pdf in der Anlage). Der Beschluss hatte 114 Stimmen dafür und nur drei dagegen. Die Akademie hat über die Verhandlungen berichtet.

Und warum ist das so?

Horst Groschopp: Das hat nach meiner Ansicht einen wesentlichen Grund. Es geht der Politik in allen Bundestagsparteien und den maßgeblichen Staatskirchenrechtlern jetzt darum, auch aus internationalen Erwägungen heraus, den Islam in das deutsche Religionsrecht zu implantieren, ohne dieses selbst zu ändern. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des MdB Swen Schulz u.a. zur Frage der Islamlehrstühle hat die Bundesregierung (BT DS 17/3387) eindeutig erklärt, dass es sich bei den Islamischen Studiengängen um theologische und bekenntnisorientierte handelt, die sie fördert.

Von den Buchstaben des Gesetzes her sind die Weltanschauungsgemeinschaften den Religionsgemeinschaften gleichgestellt. Was bedeutet das?

Horst Groschopp: Der Sammelband, nimmt man den schon erwähnten Beitrag von Eric Hilgendorf aus, fragt nicht, wo wird Kirche privilegiert, sondern: Welche Gruppen von Konfessionsfreien können in welcher Organisationsform und auf der Basis des Grundgesetzes Gleichbehandlung erreichen – meinetwegen Laizismus in belgischer Variante. Diese Gruppen sind nach Artikel 140 i.V.m. Art. 137 Abs. 7 WRV die „Weltanschauungsgemeinschaften“.

Hier sagen die meisten Beiträge: Die grundgesetzliche Lage ist den „Weltanschauungen“, den immanenten Welterklärungen im Gegensatz zu den transzendierenden von Religionen freundlich gesinnt – überall wo „Religion“ steht, gilt dies prinzipiell auch für „Weltanschauungen“ wie den Humanismus oder Organisationen wie den Humanistischen Verband. Man muss wollen und können. Man muss ja nicht auf allen Feldern diese Gleichbehandlung wollen. Aber es zeigt sich die Schwäche derjenigen Konfessionsfreien, die sich zum Humanismus bekennen: Die Gesetzeslage ist weiter als es die eigenen Strukturen sind.

Gibt es hier eigentlich bedeutsame Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern?

Horst Groschopp: Frau Mertesdorf hat in ihrem Beitrag konkret herausgearbeitet, in welchen Bundesländern welche Gesetzeslagen und Rechtsprechungen vorfindlich sind – und dies hinsichtlich aller denkbaren Aufgaben eines praktischen Humanismus auf allen Feldern des Schulwesens, der „Seelsorge“, der Pflege, der Feiertage, des Öffentlichkeitsanspruches ... also all der Felder, die wir „kirchliche Privilegien“ nennen. Wir haben hier eine Art juristischen Wegweiser.

Und inwieweit stimmt der Verfassungstext mit der Verfassungsrealität überein?

Horst Groschopp: Die Verfassungsrealität ist das, was in Umsetzung und Anwendung des Grundgesetzes, seiner Interpretation und im Kampf um diese Interpretation praktisch daraus gemacht wird. Hier zeigt die Geschichte, dass der Staat nichts verschenkt und dass die gesunkene Bedeutung der Kirchen nicht automatisch zu Umverteilungen in Richtung andere Religionen (etwa Islam) oder Weltanschauungen führt. Ich verweise auf die Prozesse oder die Prozessdrohungen, die z.B. der HVD Berlin in den letzten Jahren geführt bzw. angedroht hat, um seine heutige Stellung zu erreichen. Ich verweise auf die alten und neuen Prozesse betreffend das Fach „Humanistische Lebenskunde“ (erfolgreich in Brandenburg) oder den Bremer Kampf um eine „Humanistische Schule“.

Es gilt allerdings generell: Wer keine konkreten Interessen anmeldet – hat keine, höchstens allgemeine einer Systemänderung. Eine Gewähr auf Dauer muss die Organisation schon bieten. Man muss diesen Weg ja nicht gehen. Aber wo „Weltanschauungsgemeinschaft“ draufsteht, da müssen bestimmte Inhalte dann schon drin sein um im Chor mitsingen zu können.