Das Werk beginnt mit einem Todesstrafenbefürworter, der bis zu seiner Pensionierung 2006 ein schwer beschäftigter Mann war. Darshan Singh, der ehemalige Chefhenker von Singapur hat mehr als 1000(!) Mal seines Amtes gewaltet. Jedem Delinquenten habe er „ich schicke Dich jetzt an einen besseren Ort als diesen“ zugeflüstert, bevor er die Schlinge um dessen Hals festzurrte und sich Sekunden später die Falltüre öffnete.
Singh hatte 2005 eine internationale Welle der Empörung ausgelöst, als er nonchalant von einem exzessiven Whiskey-Trinkgelage mit dem Gefängnispersonal zu seiner 500. Exekution erzählte. Er sei missverstanden worden, erklärt der Scharfrichter heute.
Nach jeder Hinrichtung ging er auf eine Kneipentour, wo er die neuen Bilder seines gerade angewendeten Handwerks durch Dutzende Johnnie Walker aufzulösen versuchte. Um wieder nüchtern zu werden, brauchte er nach eigenen Angaben zwei Tage. „Mit dem Personal durfte ich wenigstens über das Geschehene sprechen. Da draußen war ich zum Schweigen verurteilt.“
Doch der vierfache Großvater findet auch, gerade Drogenhändler hätten das Recht auf eine Fortsetzung ihres Lebens verwirkt. „Sie sind sadistische Massenmörder! Sie lassen sowohl ihre ‚Kundschaft’ ganz langsam sterben, als auch deren Familien. Selbst vor Kindern machen sie nicht halt.“ Shadrake stimmt dieser Meinung zwar nicht zu, aber er akzeptiert sie. Doch auf die Frage, wie viele reiche Menschen er ins Jenseits befördert habe, wird der gut genährte Singapurer indischer Herkunft nachdenklich. „Keinen, nicht wahr?“, fragt der Autor. Singh hatte vermutlich noch nie darüber nachgedacht. Letztlich sagt er leise: „Ich denke, keiner war vermögend.“
Haarsträubende Doppelmoral der Justiz
Shadrake zieht unter anderem den Fall der 22-jährigen, deutschen Studentin Julia Bohl heran, bei der im März 2002, neben anderen Narkotika (in allerdings geringen Mengen), 687 Gramm Cannabiskraut sichergestellt wurden. Das Betäubungsmittelgesetz in Singapur kennt ab dem Besitz von 15 Gramm Heroin, 30 Gramm Kokain oder 500 Gramm Cannabiskraut als Strafmaß alternativlos(!) nur die Todesstrafe. Angeklagten muss ab diesen Grenzen nicht einmal mehr die Schuld nachgewiesen werden, sondern diese müssen dann ihre Unschuld beweisen.
Mit 687 Gramm lag Bohl signifikant oberhalb der Grenze von 500 Gramm, die über Leben oder Tod entscheidet. Medien, Diplomaten und Juristen befürchteten das Schlimmste.
Das Auswärtige Amt setzte einerseits hinter den Kulissen die Regierung Singapurs sofort durch die Androhung wirtschaftlicher Konsequenzen unter Druck, stellte jedoch andererseits auch Investitionen und den Ausbau der ökonomischen Zusammenarbeit in Aussicht – ein mildes Urteil vorausgesetzt.
Wenige Tage später ergab plötzlich eine B-Probe die „wundersame Verringerung“ des Rauschgifts auf 281 Gramm. So wurde ein als sicher geltendes Todesurteil zu einer Haftstrafe von fünf Jahren Haft, die nach drei Jahren wegen guter Führung am 15. Juli 2005 endete. Noch am selben Tag bestieg Julia Bohl als freier Mensch ein Flugzeug nach Europa.
Nicht so viel Glück hatte der Nigerianer Amara Tochi. Der 19-Jährige wurde am 28. November 2004 im Transitbereich des Flughafens in Singapur mit 727 Gramm Heroin im Handgepäck festgenommen wurde. Der naive Mann war so fest davon überzeugt, dass er nur Heilkräuter mit sich führte, dass er eine Kapsel mit 7,4 Gramm reinem Heroin vor Polizeibeamten runterschluckte. Hätten diese ihm kein Brechmittel verabreicht, hätte sein Leben schon da ein Ende gefunden.
Bei der Urteilsverkündung gegen Amara Tochi kam es zu einer der groteskesten Urteilsbegründungen in der Unrechtssprechung Singapurs. Der vorsitzende Richter Kann Ting Chiu erklärte, es deute tatsächlich nichts darauf hin, dass der Angeklagte gewusst habe, was er mit sich führte. Dennoch verurteilte er ihn zum Tode, weil er es „hätte wissen müssen“.
In den frühen Morgenstunden des 26. Januar 2007 wurde Amara Tochi im Alter von 22 Jahren gehängt. Sein Wunsch, sich von seinen Eltern zu verabschieden, blieb unerfüllt. Sie konnten sich den Flug nicht leisten.
Shadrake wünscht Julia Bohl alles Gute. „Amara Toshi wünsche ich, dass er im nächsten Leben den ‚richtigen’ Pass und die ‚richtige’ Hautfarbe hat.“