Die Totenasche in Flüssen zu verstreuen oder im heimischen Regal aufzubewahren - in Rheinland-Pfalz soll das bald möglich sein. Dort kündigt sich ein radikal neuer Umgang mit dem Thema Bestattungen an. Noch ist das Gesetz nicht vom Mainzer Landtag verabschiedet, aber die dortige Ampel-Regierung plant ein Ende des Friedhofszwangs.
In Rheinland-Pfalz soll es eine für Deutschland bislang ungewöhnliche Form der Seebestattung geben. Wenn der Landtag - vermutlich im Frühjahr - dem Gesetzesplan der Landesregierung (SPD, Grüne, FDP) zustimmt, dann wird eine Bestattung auch in einem der vier großen Flüsse des Landes (Rhein, Mosel, Lahn oder Saar) möglich sein. Die Landesregierung argumentiert, dass diese "Flussbestattung" bereits in den Niederlanden praktiziert werde, weshalb ein gewisser "Bestattungstourismus" schon jetzt stattfinde. Dieser könne von Rheinland-Pfalz und den anderen Bundesländern nicht kontrolliert oder beeinflusst werden, da eine Kremierung im Ausland nicht abgelehnt werden kann. Und eine Kontrolle, was dann im Ausland mit der Asche passiert, sei nicht möglich. Die Vermeidung dieses "Bestattungstourismus" ins benachbarte Ausland aufgrund von dort angebotenen alternativen Bestattungsarten sei auch ein Grund, warum das Land zusätzlich die Möglichkeiten der Ausbringung der Asche außerhalb von Friedhöfen, die Urnenaushändigung an Privatpersonen und eine Teilung der Asche ohne Beisetzungsverpflichtung zulassen möchte. Als Beispiel für die Teilungsmöglichkeit wird die in der Schweiz mögliche sogenannte "Diamantbestattung" genannt. Dabei wird aus einem Teil der Asche in einem speziellen Verfahren ein "Diamant" (kein echter Diamant) hergestellt.
Das Land Rheinland-Pfalz geht mit all diesen Möglichkeiten bei einem Thema voran, das in anderen Bundesländern noch ein Tabu ist: die Aufhebung des Friedhofszwangs. Noch im vergangenen November hatte es im nordrhein-westfälischen Landtag eine Expertenanhörung gegeben, bei der das Pro und Kontra ausführlich diskutiert wurde. In NRW zeichnet sich aber keine Mehrheit für eine Reform ab, wie sie in Rheinland-Pfalz geplant ist. Doch was die Expertinnen und Experten im Düsseldorfer Landtag sagten, sind relevante Argumente, die bei künftigen Entscheidungen auch andernorts eine Rolle spielen dürften.
Das Pro und Kontra zum Friedhofszwang
Christoph Keldenich, Vorsitzender der Verbraucherinitiative Aeternitas wies zunächst darauf hin, dass eine Abschaffung beziehungsweise Lockerung des Friedhofszwangs den Vorstellungen der Bevölkerung entspreche. Eine repräsentative bundesweite Emnid-Umfrage im Auftrag von Aeternitas habe bereits im Jahr 2016 ergeben, dass 83 Prozent der Befragten kein ungutes Gefühl hätten, wenn ein Nachbar in seinem privaten Bereich eine Urne beisetzt oder aufbewahrt. Eine deutlich überwiegende Mehrheit könnte also gut damit leben, wenn es vermehrt zu entsprechenden Beisetzungen käme. Im Jahr 2022 hätten überdies laut einer repräsentativen, ebenfalls von Aeternitas beauftragten, Forsa-Umfrage fast drei Viertel der Befragten (74 Prozent) den Friedhofszwang als veraltet angesehen.
Zwar sieht auch Aeternitas, dass Friedhöfe die zentralen Orte des Totengedenkens bleiben werden. Und dass diese bewahrt und weiterentwickelt werden sollten. Keldenich sagte aber auch: "Die bestehende Friedhofspflicht bevormundet die Menschen und widerspricht einem bürgerfreundlichen Verständnis von Erinnerungskultur. Auch eine Minderheit, die andere Erinnerungsformen fernab der Friedhöfe beziehungsweise derzeit bestehender Möglichkeiten wünscht, sollte zu ihrem Recht kommen." Damit dies nicht ohne Zustimmung der Verstorbenen geschehe, könnte deren nachweisbarer Wille zur Voraussetzung gemacht werden. Damit läge keine Verletzung der Totenwürde vor, denn der Wille der Verstorbenen entscheide über Art und Ort ihrer Bestattung.
So fortschrittlich die Einschätzung von Aeternitas erscheint, so konservativ-bremsend waren viele andere Sachverständige in der Anhörung des NRW-Landtags. Städtetag sowie Städte- und Gemeindebund NRW wiesen darauf hin, es sei ein erheblicher Unterschied, "ob Urnen auf einem dauerhaft für Bestattungszwecke gewidmeten Grundstück oder im Garten eines Privathauses bestattet werden". Privathäuser würden verkauft, vererbt und manchmal auch zwangsversteigert: "Man stelle sich vor, wie der neue Eigentümer reagiert, wenn er oder sie bei der Umgestaltung des Gartens auf Urnen oder Überreste von Verstorbenen trifft. Mit dem Gedanken der Totenruhe ist das nur schwer zu vereinbaren."
Der Friedhofszwang stelle im Übrigen sicher, dass die Kosten auf den Friedhöfen für die Hinterbliebenen nicht explodieren. Je weniger Gräber nachgefragt würden, umso höher wären die Gebühren für diese, da die Kosten auf weniger Fälle umgelegt werden müssen.
Der Friedhofszwang sei auch deshalb sinnvoll, da dadurch die Welt der Toten von der Welt der Lebenden getrennt bleibe. Die Angehörigen müssten die Verstorbenen loslassen können, dies sei Teil des Trauerprozesses. Im Übrigen "gehöre" der Verstorbene keinem einzelnen Angehörigen. Selbst für Nachbarn und Freunde sei es ein Bedürfnis, den Bestattungsort zu besuchen. Die Urne zu Hause verhindere dies.
Der Bestatterverband teilt diese Einschätzung. Der Friedhof sei der Ort, an dem Trauer und Erinnerung ihren Platz haben. Sollte die Urne im eigenen Garten bestattet oder im Wohnzimmer stehen, stelle sich die Frage, ob und wie dann ein Besuchsrecht für alle anderen Angehörigen und Wegbegleiter der verstorbenen Person eingeräumt werden muss. Ein Mensch hinterlasse im Leben viele Spuren bei unterschiedlichsten Leuten, die sich ebenfalls von ihm oder ihr verabschieden möchten. Das könne auch erst zeitlich nach einer Trauerfeier sein, etwa, weil sie nicht informiert worden sind und erst später von dem Todesfall erfahren haben. Wenn es dann keinen öffentlichen Ort oder eine öffentliche Anlaufstelle gibt, nehme man den anderen Menschen das Recht zu trauern, argumentierte der Bestatterverband.
Dem hielt Christoph Keldenich von der Verbraucherinitiative Aeternitas entgegen, dass es doch wohl auf den zu Lebzeiten geäußerten Willen des Verstorbenen ankomme: "Warum sollte mit dem Tod das Recht enden, selbst zu entscheiden, ob man Besuch empfangen möchte?" Auch bei Seebestattungen könne kein Grab besucht werden, Ähnliches gelte für anonyme Beisetzungen. Ebenso wäre ein von manchen befürchteter "unwürdiger" Umgang mit der Asche Verstorbener kaum zu erwarten. Im Gegenteil: Wer bereit sei, zum Beispiel die Asche im eigenen Umfeld aufzubewahren, zeige, dass ihm viel an einem guten Umgang mit den sterblichen Überresten liegt.
Ganz anders sieht dies die Katholische Kirche. Sie sprach sich bei der Anhörung im Düsseldorfer Landtag klar dafür aus, am Friedhofszwang festzuhalten. Dieser garantiere eine ungehinderte Wahrung der Totenruhe. Es werde sichergestellt, dass das Leben der Verstorbenen auch nach einem unter Umständen zerrütteten Familienverhältnis wertgeschätzt wird. Im Falle eines Umzugs oder aber, wenn das Grundstück verkauft wird, müsste die Urne jeweils mitziehen, um sie nicht in fremdem Gewahrsam belassen zu müssen. Ganz zu schweigen von nie auszuschließenden später entstehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen Angehörigen über den Aufenthaltsort der Urne.
Die Evangelische Kirche sieht das genauso. Deren Vertreter sagte gegenüber den Abgeordneten des NRW-Landtags: "Aus kirchlicher Perspektive leitet sich der Friedhofszwang aus der Überzeugung ab, dass die Lebenden die Toten sich selbst überlassen sollen. Abgegrenzte Friedhöfe verdeutlichen: Die Toten gehören nicht den Lebendigen. Die Lebendigen müssen die Toten gehen lassen." Friedhöfe ermöglichten die Sicherung der Totenruhe und einen würdevollen Umgang mit den Verstorbenen.
(Die Stellungnahmen dieser und anderer Expertinnen und Experten nicht nur zum Friedhofszwang, sondern auch zu anderen Fragen der Bestattung finden sich hier.
Der Widerstand gegen ein liberales Bestattungsrecht, wie er bei der Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag zum Ausdruck kam, könnte freilich auch noch in Rheinland-Pfalz aufflammen, wenn die Sache dort demnächst im Landesparlament behandelt wird. Das sieht auch Alexander Helbach, Sprecher der Verbraucherinitiative Aeternitas. Gegenüber dem hpd sagte er es so:
"Sollte das Gesetz tatsächlich entsprechend dem vorliegenden Entwurf beschlossen werden, wovon wir fest ausgehen, weil sich die Landesregierung ja schon weit aus dem Fenster gelehnt hat, dann wäre das endlich ein Bestattungsgesetz, das zeitgemäß ist und sich an die veränderten Wünsche und Vorstellungen der Bürger anpasst."
Man dürfe in dem noch ausstehenden Gesetzgebungsprozess aber den Einfluss der Bedenkenträger nicht unterschätzen.
5 Kommentare
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Kommentare
G.B. am Permanenter Link
Diese Einnahmequelle der Kirchen muss versiegen, jeder Mensch soll frei entscheiden was mit ihm nach seinem Ableben geschehen soll, dies ist der reale "letzte Wille" den ein Mensch noch haben kann.
Kirchlichen Privilegien, welche den Menschen Zwänge auferlegt die oft völlig sinnlos sind
und nur den Kirchen nützen, wie z.B. Kommunion, Religionsunterricht, Taufe, ecetera.....
Rene Goeckel am Permanenter Link
Ich weiß, dass folgendes Modell oftmals funktioniert: Vereinbare (und bezahle) eine Überführung und lass Dir die Urne aushändigen. Viele Bestatter spielen da mit.
Klaus Weidenbach am Permanenter Link
Die beiden Großkirchen haben sich schon immer gegen das freie Denken von Individuen gestemmt.
Unechter Pole am Permanenter Link
Es wäre zumindest wünschenswert, wenn eine solche Zerstreuung von Asche nicht zulasten Dritter bzw. der Allgemeinheit erfolgen würde.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Dass Profiteure einer Bestattung für den Friedhofszwang votieren, ist einleuchtend. Schließlich geht es um die Totenruh... nein, um das Geschäft mit den Toten - aller salbungsvollen Sprüche zum Trotz.
Die Erinnerung an einen Verstorbenen findet im Kopf des Erinnernden statt, nicht in noch so heftig geweihter Erde. Man kann gerne Plaketten mit Namen und Daten in Scheckkartengröße an einer öffentlich zugänglichen Gedenktafel anbringen, um Hinterbliebenen einen Ort zu bieten, an dem sie trauern können.
Aber das Festhalten an morbiden Totenkulten sollte samt christlicher Leidensphilosophie gesellschaftlich nachrangiger werden. Tote sind Materie, die in den Kreislauf der Welt zurückgegeben wird. Egal wo...