„Vor uns liegen wunderbare Tage“

(hpd) Der Historiker und Journalist Henrik Berggren legt eine umfangreiche Lebensbeschreibung des früheren schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme vor. Hierbei wird das faszinierende Bild eines Politikers zwischen Macht und Moral mit all seinen Idealen und Widersprüchen im Lichte der Zeit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeichnet.

Am 28. Februar 1986 gegen 23.20 Uhr bummelt ein Paar nach einem Kinobesuch über die Tunnelgatan in Stockholm. Plötzlich schleicht sich von hinten eine Person heran und erschießt den Mann. Olof Palme, der schwedische Ministerpräsident, stirbt an den Folgen des Anschlags. Seine Ehefrau Lisbet wird durch einen Streifschuss verletzt. Bis heute sind die Hintergründe des Mordes ebenso unbekannt wie der Name des Täters. Das Rätsel des Anschlags prägt noch 25 Jahre später die Erinnerung, so dass „Olof Palmes Leben in den Schatten des Todes geriet“ (S. 9). Dies schreibt der Historiker und Journalist Henrik Berggren im Vorwort seiner Biographie „Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage“. Mit dem voluminösen Buch von über 700 Seiten liegt erstmals eine ausführliche Lebensbeschreibung des schwedischen Politikers in deutscher Sprache vor. Berggren, leitender Redakteur bei der Tageszeitung „Dagens Nyheten“ behandelt darin nicht die Spekulationen über die Mordtat. Ihm geht es um die genaue Rekonstruktion eines Politikerlebens.

Palme wurde 1927 als Sohn einer konservativen und wohlhabenden Familie geboren. Nachdem er zunächst eine entsprechende Laufbahn als Journalist, Jurastudent und Reserveoffizier eingeschlagen hatte, entwickelte sich der spätere Ministerpräsident ausgerechnet unter dem Eindruck eines längeren USA-Aufenthalts politisch immer mehr nach links. Der Kontrast zwischen der dortigen freieren Marktwirtschaft und dem sozialen Wohlfahrtsstaat seiner Heimat erklärt wohl zu gewichtigen Teilen diese Entwicklung. Palmes politische Einstellung hatte für Berggren „keine ideologischen Wurzeln“. Er war „überzeugter Demokrat“ und „glaubte an die Gleichheit und Freiheit“. Palme lehnte einen „Laissez-faire-Liberalismus ebenso ab wie totalitäre Systeme“ (S. 181). Bereits 1953 wurde er Sekretär des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Tage Erlander, der Palme als seinen Nachfolger aufbaute. Nach der Ernennung zu einem Minister 1965 folgte er 1969 seinem Förderer in das Amt des Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden.

Bis zum Wahlverlust von 1976 hatte er dieses Amt inne und brachte in dieser Zeit zahlreiche Reformen in Richtung des Aufbaus und der Fortführung des schwedischen Sozialstaates auf den Weg. Sein Biograph Berggren bilanziert: „Eine starre und hierarchische Klassengesellschaft wurde unter Olof Palme zu einem der egalitärsten Länder der Welt umgestaltet“ (S. 628). Nach sechs Jahren in der Opposition gelang ihm 1982 die Wiederwahl. In Schweden selbst polarisierte seine Person und Politik stark. Dafür genoss Palme im Ausland für sein Engagement für Abrüstung und Vermittlung hohes Ansehen. 1986 starb er bei dem erwähnten Anschlag.

Berggren urteilt über den ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten: „Olof Palme war die ungewöhnliche Mischung aus einem romantischen Mann der Tat und einem eiskalt berechnenden Taktiker ...“ (S. 160). Insgesamt sei er ein Pragmatiker und Realist gewesen, mehr dem Machbaren und weniger einer Ideologie verpflichtet, geleitet von der Formel „Modernität + Gleichheit = Freiheit“ (S. 338).

Dabei blieben Widersprüche nicht aus: Palme war ein Bürgerlicher, der Sozialist wurde. Er war ein Reserveoffizier, der für Abrüstung eintrat. Er schätzte die USA, deren Vietnamkrieg von ihm heftig verurteilt wurde. Er verstand sich als Antikommunist, der Castro besuchte und umarmte. Berggren zeigt all dies mit erkennbarer Sympathie für Palme, ohne aber die Schattenseiten zu verschweigen. Hierzu gehört etwa das wohl mehr der Staatsräson denn der Wahrheit verpflichtete Umgehen mit der „IB-Affäre“, wobei es um die Existenz eines illegal gegen linke Oppositionelle agierenden Geheimdienstes ging. Berggren legt demnach keinen „Heldengesang“ vor. Ärgerlich ist das Fehlen genauer Belege und Zitatnachweise. Auch hätte man sich eine bilanzierende Würdigung gewünscht. Diese Defizite werden aber durch eine anregend lesbare und überaus informative Biographie aufgehoben, welche immer wieder das Leben Palmes in den Kontext der kulturellen, politischen und sozialen Entwicklung seiner Zeit stellt. Dabei entsteht das faszinierende Bild eines Politikers zwischen Macht und Moral.

Armin Pfahl-Traughber

 

Henrik Berggren, Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage. Die Biographie. Aus dem Schwedischen von Paul Berf und Susanne Dahlmann, München 2011 (btb-Verlag), 719 S., 26,99 €