Offener Brief an den Regierenden Bürgermeister

Wie viel Hindenburg braucht Berlin?

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Umbenennung auf eigene Faust: aus dem Hindenburgdamm wurde der Edith-Jacobson-Damm
Umbenanntes Straßenschild

Eine Gruppe um den Münchner Aktionskünstler Wolfram P. Kastner, die bereits mit einer Guerilla-Aktion in dieser Angelegenheit für Aufsehen sorgte, fordert, den Berliner Hindenburgdamm in Berlin-Steglitz umzubenennen. Hindenburg als historische Person sei nicht dazu geeignet, geehrt zu werden. Sie wenden sich nun in einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU).

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Wegner,

in Berlin gibt es zwei öffentliche Orte (in Steglitz und im Olympiapark), die den Namen Hindenburg tragen und Bewohnern ebenso wie Besuchern Berlins diesen Wegbereiter der Nazis so darstellen, als handle es sich um eine ehrwürdige Person wie Kant, Goethe oder Hannah Arendt.

Sie wissen vermutlich, dass Hindenburg in Frankreich Kriegsverbrechen befehligte ("Aktion Alberich"), die demokratische Verfassung außer Kraft setzte und der Nazidiktatur den Weg bereitete. Er bedankte sich 1934 bei Hitler und Göring für die Mordaktion am 1. Juli (im Zusammenhang mit dem sog. "Röhmputsch").

Sie lehnen bisher eine Umbenennung des Hindenburgdamms ab, weil Sie es besser finden, wenn wir "deutlich machen, dass das unsere Geschichte ist. Dass wir das besprechen müssen und dass wir das nie wieder haben wollen."

Wie viele Hindenburgehrungen auf Straßenschildern und an Häusern und Institutionen braucht Berlin seit Jahrzehnten, um darüber zu sprechen, was wir in diesem Land und in dieser Stadt "nie wieder haben wollen"?

Wieviel Hindenburg brauchen wir, um zu wissen, dass wir kein Nazisystem a la Hitler oder Höcke wollen?

Wie viele Hindenburgstraßen und Plätze brauchen wir in Deutschland und in seiner Hauptstadt, um die Auslieferung der Demokratie an Rechtsextremisten und Nazis zu verhindern?

Brauchen wir evtl. auch Hitlerstraßen, um die furchtbare deutsche Geschichte zu reflektieren und daraus Konsequenzen zu ziehen?

Brauchen wir nicht stattdessen ganz dringlich eine Ehrung und Würdigung solcher Personen, die Widerstand gegen die Nazis leisteten und leisten wie die Ärztin Edith Jacobson und solcher Sportler wie Helene Mayer, die aus Deutschland fliehen musste, sonst wäre sie von den Nazis wegen ihrer jüdischen Familienherkunft ermordet worden???

Die Bewahrung des tausendfach ausgeschilderten Namens des Nazi-Wegbereiters ist auch ein Anliegen heutiger Rechtsextremisten, ein triftiger Grund mehr, Orte und Plätze nach Menschen zu benennen, die für Demokratie und Widerstand gegen staatlichen Terror einstanden.

Sollten Städte wie München, Bonn, Frankfurt oder Kiel, die schon lange ihre Hindenburgstraßen umbenannt haben – als Willensbekundung, nicht mehr aktive Totengräber der Demokratie zu ehren – also falsch gehandelt haben, weil sie nicht – wie Sie, Herr Bürgermeister – auf die Idee verfallen sind, den Demokratiezerstörer als Mahner für die Demokratie im öffentlichen Raum präsent zu halten?

Glauben Sie wirklich, Herr Bürgermeister, dass mit einer irgendwann vielleicht stattfindenden zweifachen Vertäfelung des Berliner Hindenburgdamms Geschichtsbewusstsein und demokratisches Engagement zu entwickeln und zu stärken sind? Sollte Berlin nicht wenigstens auf eine öffentliche Hindenburgehrung und -verharmlosung verzichten?

Könnten Sie das befürworten?

Wenn auch in Berlin die öffentlich sichtbare Verehrung Hindenburgs beendet wird, könnte man dann mit zwei Tafeln darauf hinweisen, wie diese Orte seit der Nazizeit hießen und warum sie spät, aber endlich doch umbenannt wurden?

Würde das Ihrem Anliegen entsprechen?

Mit freundlichen Grüßen

Wolfram P. Kastner
Dr. Gisela Notz
Claus-Peter Lieckfeld

Siehe dazu auch: Ehre wem Ehre gebührt

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