Armut – Perspektiven, auch religiöse

 

Beispielbild
Bild 5: Sitzender
Stigma (Fremdheit)

Jude, Zigeuner, Ire, arbeitslos, stigmatisiert. Unwürdige Arme wurden definiert, vor allem, wenn die Mittel begrenzt waren. Hauptsache anders, nicht wir, daher unwürdig. Das kennen wir bis heute, die Attitüde bezieht sich auf Empathie, Verteilung finanzieller Mittel etc. (Seltsamerweise werden auszugrenzende „Sünder“ oder Andersgläubige in der Ausstellung nicht erwähnt, auch keine Glaubenskriege, die Menschen millionenfach in Armut stürzten.)

Reform

Gibt es Auswege? Es gab viele verschiedene Ansätze. Almosen werden vergeben, wie bereits unter „Appell“ und „Ideal“ angedeutet. Aber auch eine „Gute Herrschaft“ konnte dafür sorgen, dass es Armen besser ging, sie also weniger arm waren.

In diesem Bereich findet sich das Video eines sozial engagierten Mainzer Bischofs, Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der 1868 frohgemut zum 1. Vatikanischen Konzil aufbrach, um dort jedoch am Papst Pius IX. zu scheitern, der wirklich wichtigere Dinge zu tun hatte. PP IX war ein vehementer Ablehner des Liberalen und der Moderne und hat – statt sich um seine Gläubigen zu kümmern – 1870 lieber das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit erfunden und festgeklopft.

Hier wird auch die besondere Rolle Triers in der Geschichte der Armut thematisiert, denn einige relativ wichtige Protagonisten des Weltgeschehens entstammen dieser ältesten Stadt Deutschlands: Oswald von Nell-Breuning war katholischer Theologe, Jesuit, Nationalökonom und Sozialphilosoph und gilt als „Nestor der katholischen Soziallehre“. Caspar Olevian war ein bedeutender Vertreter der Reformation in Deutschland. Und Karl Marx wird dargestellt in Bild, Mobiliar und Skulptur. (Kaiser Konstantin ist bereits in der anderen Ausstellung thematisiert, denn er residierte in Trier und seine Mutter Helena brachte hierhin den „Heiligen Rock“, der auch 2012 ein gravierender Publikumsmagnet zu werden droht, denn da soll er mal wieder gezeigt werden.)

Seltsam stößt ein „Informationsfilm“ auf, der in eine Werbereportage über zwei aktuelle katholische Krankenhäuser Triers mündet (in Trier gibt es vier Krankenhäuser, drei davon katholisch, eines protestantisch; von den fast ausschließlich katholischen Kindergärten wollen wir hier nicht sprechen).

Nichtsdestotrotz sind die Ausstellungen erlebenswert. Zum Abschluss kann man auf einer Tafel lesen: „Die Soziale Frage provozierte friedliche und gewaltsame, reformerische und revolutionäre Antworten“. Dass die Kirchen ihre Nase immer mittenrein hielten, Armut facettenreich für sich zu nutzen wussten („Not lehrt beten“), muss man sich allerdings selbst ableiten. Das sagt einem in der Ausstellung keiner so direkt.

Fiona Lorenz

Ergänzendes

Aus der Pressemitteilung der Ausstellung

„Zu den herausragenden Exponaten der Hauptausstellung zählen Hans und Paul Vredeman de Vries‘ großformatiges Gemälde Iustitia et Iniustitia (Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, 1594/95), die Altartafel Mantelteilung und Traum des hl. Martin (1502[?]) eines Schwäbischen Meisters, Pieter Brueghels d.J. Die sieben Werke der Barmherzigkeit (zwischen 1616 und 1638), Max Liebermanns Hof des Waisenhauses in Amsterdam (1876), Karl Hofers Arbeitslose (1932) und Pablo Picassos Radierung Das karge Mahl (1904/13). Die Hauptausstellung (…) zeigt Werke von Armen bzw. aus der Sicht von Betroffenen sowie zahlreiche Positionen der Gegenwartskunst (Katharina Fritsch, Jonathan Meese, Karin Powser, Christoph Schlingensief, Albrecht Wild u.a.).”

Mehr Informationen auf der Website der Armutsausstellung

Empfehlenswert sind folgende Trierer Theaterstücke, die sich mit Armut und Ausgrenzung befassen:

Die Geschichte der Zukunft, die letzten beiden Aufführungen am 21. Mai und 05. Juni 2011 jeweils um 20 Uhr im Studio des Theaters Trier

Tufa-Tafeltheater”. Aufführungstermine: 12., 14., 20. und 21. Mai jeweils um 20 Uhr im Großen Saal der Tufa Trier. Zur Vorabkritik bei 16vor

 

Bildnachweise:

Titelbild: Pieter Brueghel d.J.: Die Sieben Werke der Barmherzigkeit, zwischen 1616 und 1638. Öl auf Holz. 43,3 x 57 cm. Museum der Brotkultur, Ulm

Bild 1: Kopf eines alten Fischers, Römische Kopie nach einem hellenistischen Vorbild aus dem 3. Jh. v. Chr. © Archäologisches Museum der Universität Münster, Foto: Robert Dylka

Bild 2: Bettler/ Afrikaner, Alexandria, 3./2. Jh. v. Chr. Heidelberg © Antikenmuseum der Universität Heidelberg

Bild 3: Ernst Barlach, Russische Bettlerin II, modelliert 1907, Guss zwischen 1932 und 1935, Hamburg, Ernst Barlach Haus - Stiftung Hermann F. Reemtsma © H.-P. Cordes, Hamburg

Bild 4: Rembrandt Harmensz van Rijn, Die wandernden Musikanten, um 1635, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Kupferstichkabinett

Bild 5: Albrecht Wild, Sitzender, 2008, Besitz des Künstlers © Albrecht Wild, Foto: Bernhard Matthias Lutz