Armut – Perspektiven, auch religiöse

 

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Bild 3: Russische Bettlerin
Eine Ausstellung in fünf Kapiteln

Im Simeonstift, direkt neben der Porta Nigra, befindet sich die größere Ausstellung auf zwei Etagen. Die multimediale Ausstellung ist in fünf Kapitel eingeteilt, in Dokumentation, Appell, Ideal, Stigma und Reform.

Betritt man das Ausstellungsgebäude, wird eine lange Sammlung von Zitaten sichtbar, die sich über die Stockwerke erstreckt. Nicht alle Aussagen sind positiv. So kann man unschwer Ähnlichkeiten zwischen einem deutschen Politiker unserer Zeit und dem Apostel Paulus erkennen. Letzterer war der Meinung: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen!“ Etwa zweitausend Jahre darauf meinte der damalige Minister für Arbeit und Soziales: „Nur wer arbeitet, soll auch essen!“ – Franz Müntefering, 2006.

In „Dokumentation“ (Armutszeugnis) finden sich vor allem Fotografien armer Menschen und Familien aus Irland, Schottland, und den USA der 1930er. August Sander fotografierte in dieser Zeit Zigeuner, Bettler und Arbeitslose in Deutschland.

Der Appell (Hilferuf!) zeigt Arbeiten unter anderem von Heinrich Zille, George Grosz und Käthe Kollwitz. Hunger wurde um 1900 zu einem Thema der Kunst, denn das Elend in den Großstädten war groß. Im ersten Weltkrieg verstärkte sich die Problematik und die Darstellungen wurden drastischer. Die Künstler verstanden ihre Kunst politisch, als „Ausrufezeichen“, mit denen sie das Publikum unmittelbar erreichen wollten. Bis in die heutige Zeit appellieren Hilfsorganisationen an Menschen, bitten um Spenden. Zu sehen sind beispielsweise die Werbeplakate für „Brot für die Welt“ von 1962 und 1983, ein Plakat „Gebt dem Bischof für die Armen!“ der Caritas-Kollekte 1951 oder Thomas Gottschalk, der 2009 für die religiöse Vereinigung Misereor warb. Ob Gottschalk und Misereor dabei dachten: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“?

Ideal

Heiligendarstellungen vor allem der hl. Elisabeth aus Thüringen (inklusive eines Gemäldes von Tilman Riemenschneider, welches Ende 15. Jh. datiert wird) zeigen das religiöse Interesse am Thema. Christen wurden aufgefordert, so geht es aus einem Täfelchen von 1626 hervor, dem Armen in der Hungersnot Brot abzugeben. Dann erhielten sie von Christus „das Himmelsbrot im Ewig Leben“. Eine prunkvolle Monstranz mit den sieben Werken der Barmherzigkeit von Gabriel Hermeling, welche Ende 19. Jh. datiert, hätte bestimmt viele Familien für lang Zeit gesättigt. Gewehrt hat sich scheinbar keiner gegen den Prunk: „Halt du sie dumm, ich halt sie arm.“

Sogar freiwillig begaben sich Menschen in Armut, angefangen bei Diogenes. Aber auch christliche und buddhistische Mönche und Nonnen probieren bis heute die Armut als ideales Lebenskonzept aus. Beispielbild
Bild 4: Die wandernden Musikanten

Schließlich wird die Armut romantisiert. Mittels stilisierter Armutsinszenierungen, wie beispielsweise in den Fotografien „Der kleine Rumäne Drago“ (1999) von Pierre & Gilles oder „Moses“ (ein Junge mit einem Hahn) von Pierre Gonord, 2006, werden sehr schöne, junge Arme gezeigt.

In diesem Bereich finden sich allerdings auch der Zyklus „Ein Weberaufstand“ von Käthe Kollwitz und Picassos „Das karge Mahl“, letztere Radierung eine Leihgabe aus Ulm – das Museum der Brotkultur in Ulm zeigt die Ausstellung Armut vom 11. September bis 6. November 2011 in reduziertem Umfang.

Weltliche Ideale des Menschenrechts auf ein Leben ohne Armut (fraternité), welche seit der Aufklärung stärker wurden, wurden Mitte des 20. Jahrhunderts mit christlichen Idealen (fraternitas) verbunden. Auch dies demnach ein anschauliches Beispiel dafür, wie das Christentum sich jene Werte einverleibt und auf die eigenen Fahnen schreibt (bei den Borg würde man „assimiliert“ sagen), gegen die es sich nicht mehr wehren kann (passendes Borg-Zitat: „Widerstand ist zwecklos“).