Geschichtsunterricht missioniert subtil

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Geschichte plus / Cornelson Verlag

BERLIN. (hpd) Das neue Schuljahr hat begonnen. Dieser Tage werden in Berlin 26.620 Mädchen und Jungen eingeschult. Kinder, die voller Zuversicht ans Lernen gehen und darauf vertrauen, unverfälschtes Wissen vermittelt zu bekommen. Nur, sollten wir der Wissensvermittlung in der Schule wirklich in jeder Hinsicht trauen? Wie gängige Geschichtsbücher der 5.-7. Klasse unsere Kinder subtil missionieren.

Als Mutter eines Sechstklässlers habe ich aus Interesse das an seiner Schule verwendete Geschichtsbuch des Cornelsen Verlages “Geschichte plus - Berlin und Brandenburg 5./6. Schuljahr“ studiert. Dabei ist mir aufgefallen, dass man in diesem Buch versucht, den Schülern eine geschönte Meinung über das Christentum zu vermitteln. Das geschieht durch das Herauspicken von geschichtlichen Ereignissen, die das Christentum human wirken lassen, durch das Weglassen wichtiger Sachverhalte, durch geschickte Wortwahl, auch durch die Darstellung von Glaubensvorstellungen als Tatsachen. Ich möchte dies nachfolgend erläutern.

Die Frage, warum sich das Christentum seit dem 4. Jahrhundert bis heute so stark ausgebreitet hat und wie viel Unheil es seitdem über die Menschheit brachte, wird als zentrale Frage, die auch wichtig für unser Selbstverständnis ist, nicht hinreichend beantwortet. Der Schüler lernt, dass die armen Christen im 3. und 4. Jahrhundert von Menschen, die nicht dem Christentum angehörten, verfolgt wurden. Das lernt er recht anschaulich, denn das Lehrbuch schreibt, die Christen wurden „festgenommen, lebendig verbrannt oder in der Arena wilden Tieren vorgeworfen.“ Der Schüler lernt jedoch nicht, dass Christen über die Jahrhunderte hinweg Andersdenkende und Abweichler, auch in den eigenen Reihen, verfolgt haben.

Harmlose Attribute

Der Schüler lernt weiter, dass die Zahl der Christen im 4. Jahrhundert trotz der Christenverfolgung anstieg. Daraus lässt sich leicht schlussfolgern, dies müsse wohl an einer inneren Stärke oder gar am Wahrheitsgehalt dieser Religion liegen. Es geht weiter damit, dass die staatliche Förderung des Christentums diesem noch mehr Zuwachs brachte. Was staatlich gefördert wird, muss ja richtig und gut sein, mag manch ein 11-Jähriger denken. Zwar hatte schon Konstantin ein „politisches Interesse“ an der Kirche. Aber muss ein politisches Interesse denn inhuman sein? Der von der katholischen Kirche als heilig – unantastbar – verehrte Massenmörder Konstantin kommt auch mit eher harmlosen Attributen davon: er gewann eine Schlacht, er hatte einen Traum, er half, die katholische Herrschaft zu stabilisieren, er förderte die Kirche, das Christentum wird Staatsreligion, es gab Angriffe auf das römische Reich (will man Konstantins zahlreiche Raubzüge damit etwa rechtfertigen?).

Der Schüler lernt auch, dass erfolgreiche Herrscher von Kaiser Konstantin über Kaiser Chlodwig bis hin zu Otto I. insbesondere deshalb so viel Macht erlangen konnten, weil sie mit der Kirche bzw. mit deren mächtigsten Vertretern gemeinsame Sache gemacht haben. Wenn so ein Sachverhalt unhinterfragt vermittelt wird, könnte der Schüler leicht schlussfolgern, dass diese Taktik auch heute noch ihre Gültigkeit hat. Womit er leider auch richtig liegen würde. Unter dieser Bedingung wird der Abbau der Vetternwirtschaft von Staat und Kirche wohl kaum gelingen.

Der Schüler lernt, dass für die Menschen schon im Römischen Reich eine wunderbare Kirche oft wichtiger als der Staat wurde, eine Kirche, die keine Steuern erhob und half, Not zu lindern. Die Römerinnen und Römer wandten sich offenbar ganz von selbst dieser augenscheinlich so humanen Religion zu.

Gewaltvolle Missionierung unterschlagen

Es wird zwar auch zugegeben, dass es zwischendurch auch mal ein bisschen Missionierung durch das Christentum gab. Bonifatius, der „die Menschen beeindruckte“ und „das Reich stützte“ hat im 8. Jahrhundert missioniert, lernt man.
Nach dem auf Seite 207 abgebildeten Zeitstrahl, der die Jahre 500 – 900 u.Z. abbildet, hat christliche Missionierung nur um das Jahr 600 stattgefunden. Aber was bedeutet Missionierung überhaupt? Wir kennen die Redewendung: „eine Mission ausführen“ eher in einem positiven Kontext. Mit welch gewaltvollen Mitteln missioniert wurde und wie sich christliche Missionierung seit Konstantin wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte zieht, das erschließt sich dem Schüler nicht. Mehrfach wird über die Ausbreitung des Christentums berichtet, jedoch wenig über die damit einhergehende Zerstörung vorhergehender Kulte und Kultstätten oder über die vielen Menschenopfer.

Stattdessen sollten die Kirchen „die Menschen mit den christlichen Geboten zu einem gottgefälligen Leben anleiten.“ Und Karl, der sogenannte „Große“ versuchte damit, „die Lebensweise der Menschen im Reich zu verbessern.“

Nachdem die Schulbuchautoren zunächst betonten, dass Juden und Christen lange Zeit friedlich miteinander lebten, gestehen sie dann ein, dass Ende des 11. Jahrhunderts ein paar „religiöse Fanatiker unter den Christen die Juden wegen ihres Glaubens unterdrückten und verfolgten.“ Nur religiöse Fanatiker, und auch nur Ende des 11. Jahrhunderts, jedenfalls wohl nicht vor dieser Zeit.

Man erfährt in wenigen Sätzen, wie die Verfolgung vor sich ging, jedoch erfährt man nichts über die Motive. Dass es hier und da vereinzelt Fanatiker gibt, die Verbrechen begehen, ob nun religiös oder nicht, das wissen wir auch aus unserer Zeit. Das wird der Schüler dem Christentum gewiss nicht ankreiden. Der Schüler wird daraus nicht erkennen, dass Judenverfolgung und Christentum etwas sind, was über die Jahrhunderte hinweg zusammengehört(e) und dass die Idee der Judenverfolgung in der christlichen Ideologie selbst verankert ist.

Was war mit denen, die nicht wollten?

Stattdessen beschreibt das Geschichtslehrbuch eine mittelalterliche Kirche mit gottesfürchtigen Menschen, es schreibt über die Sakramente und über deren selbstverständliche Durchführung, alles in einem Ton, als wäre diese Religion nur friedlich und von allen Menschen so gewollt. „Die Menschen im Mittelalter wollten aus tiefster Überzeugung ein gottgefälliges Leben führen.“ Wirklich alle? Wirklich selbstbestimmt?

Der Schüler lernt, die Menschen sind ins Kloster gegangen, weil sie ihr ganzes Leben Gott weihen wollten. Wollten wirklich alle? Was war mit den vielen Menschen, die nicht wollten, denen gar nichts Anderes übrig blieb? Und warum hatten „die Menschen“ Angst vor Gottesstrafen? Solche Fragen lässt das Lehrbuch offen.

Im 12. und 13. Jahrhundert ist die Christianisierung der Slawen ganz friedlich verlaufen, wie das Lehrbuch vermittelt. Und Mönche und Nonnen „halfen den Armen, waren aber auch Zentrum der Bildung.“ Was für eine heile Welt! Was für ein friedliches Christentum über die Jahrhunderte hinweg! Wären da nicht zum Schluss noch die Kreuzzüge (um die man gewiss nicht umhin kam) und eine Ketzerverfolgung nur im 13. Jahrhundert und nur in Südfrankreich (!).

Eine Glaubensvorstellung wird sogar als historische Tatsachen dargestellt - die „Kreuzigung Jesu“, eine historisch nicht belegte Geschichte aus der Bibel. Gewiss kann man dem Verlag nicht vorhalten, Geschichte erfunden oder sämtliche Kritik am Christentum ausgespart zu haben. Dennoch behaupte ich, es geht hier um eine Art Geschichtsverfälschung, da die verhaltene Darstellung von ethisch nicht vertretbaren christlichen Tatsachen, sowie die Betonung von Humanität im Christentum, also die Wortwahl und die Wissensselektion häufiger darauf abzielen, verfälschte Vorstellungen bei den Schülern zu generieren.

Bessere Lektüre in den Folgejahren?

Dürfen wir darauf hoffen, dass die hier aufgezeigten Lücken in den folgenden Schuljahren ausgefüllt werden oder dass das hier analysierte Geschichtsbuch ein Ausnahmefall ist? Mir liegt jetzt das Folgebuch Geschichte für die 7. und 8. Klasse vor (wieder vom Cornelsen Verlag). Nachdem ich die relevanten Kapitel gelesen habe, stelle ich fest, dort wird tatsächlich etwas mehr über christliche Missionierung und über die Verfolgung der Juden aufgrund christlicher Gesinnung - zumindest ab dem 11. Jahrhundert - geschrieben.

Jedoch ist auch diese Darstellung geschönt und nicht hinreichend. Im Buch für die 7. und 8. Klasse bekommen wir zudem eine nur sehr verhaltene Vorstellung über den christlichen Umgang mit den Ureinwohnern Amerikas, wenngleich einige Gewaltverbrechen wenigstens ansatzweise dargestellt wurden. Die Reformation und Martin Luther werden thematisiert, man thematisiert sogar die Befürwortung der so genannten Hexenverbrennungen durch Luther, jedoch nicht seine abwertende Meinung über Frauen und über Bauern, auch nicht seine Hetze gegen die Juden.

Ich hoffe, ich kann dazu anregen, dass durch unabhängige Geschichtswissenschaftler eine umfangreiche Analyse aller Geschichtsbücher und Unterrichtsinhalte erfolgt, die darauf gerichtet ist, Geschichte in der Schule und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung grundsätzlich nicht mehr zu verschönen. Auch dann nicht, wenn es um Glaubensinteressen geht.

 

Beate Turner

 

Die kursiven Zitate sind dem oben genannten Geschichtslehrbuch für die 5. und 6. Klasse entnommen.