Denkfest-Premiere großer Publikumserfolg

ZÜRICH. (hpd) Die Freidenker-Vereinigung der Schweiz zieht eine positive Bilanz des Denkfestes, das vom 8.–11. September im Zürcher Volkshaus stattfand. Mehrere Hundert Besucher nutzten die Gelegenheit, Behauptungen und Heilsversprechen einer empirischen Überprüfung zu unterziehen, einen Blick in renommierte Forschungslaboratorien zu werfen und sich über das Erfahrene auszutauschen.

Einen ersten Höhepunkt feierte das Denkfest bereits am Donnerstagabend mit dem kabarettistischen Vortrag von Vince Ebert zum Thema „Freiheit“ und ihren Feinden. Nebenbei rechnete der Diplomphysiker anhand einschlägiger Bibelstellen vor, dass im Himmel heißere Temperaturen als in der Hölle zu erwarten seien. Kurz zuvor hatte ein internationales Panel vor vollen Rängen über Lust und Frust des „skeptic blogging“ diskutiert, darunter Internet-Star Cristina Rad alias ZOMGitsCriss aus Rumänien, Julia Offe (D), Ali Arbia (CH), Hayley Stevens (GB) u.a.

An den folgenden Tagen wurden erfolgreiche Formate der Wissensvermittlung an Kinder vorgestellt, beispielsweise das Winterthurer Technorama und die säkularen Ferienlager Camp Quest UK. Forscher präsentierten ihre zukunftsweisenden Projekte, so Ueli Straumann, der Daten und Fakten zum Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf lieferte. Spannende Einblicke in die Computersimulation des Hirns bot Felix Schürmann, Leiter des Blue Brain Projects an der EPF Lausanne. Zwischen den Wissenschaftsblöcken wurden „skeptische Blicke“ auf allerlei Verlautbarungen geworfen. Der Biologe Erich Eder erteilte der „Wasserbelebung“ nach Gander eine erfrischende kalte Dusche, der Neurologe Peter Brugger sezierte das „gläubige Hirn“.

Wer heilt hat recht?

Auch vor Schulen machen esoterische Konzepte nicht Halt. Laut der Erziehungswissenschaftlerin Barbro Walker erfreut sich beispielsweise „Brain Gym“ in Deutschland großer Beliebtheit. Unhinterfragt wird es von Pädagogen angewandt, soll es doch mit speziellen Bewegungsabläufen Lern- und Konzentrationsschwächen oder andere „Defizite“ kurieren können. Lebensgefährlich wird es, wenn man sich durch pseudowissenschaftliche Angebote davon abhalten lässt, effektive Hilfe zu beanspruchen, etwa durch die Homöopathie. Obwohl diese gemäß dem britischen Professor für Komplementärmedizin Edzard Ernst bislang den Wirkungsnachweis über den Placeboeffekt hinaus schuldig bleibt, wird sie nicht nur gegen Zipperlein eingesetzt. Meist sind die Zuckerkügelchen zwar unnötig, doch harmlos; anders sieht es aus, wenn sie für die Malariaprophylaxe oder gar als Krebsbehandlung angeboten werden.

Der Samstag wartete mit diversen Highlights auf. Nachdem Dr. Michael Schmidt-Salomon (gbs) der Religion jegliche Deutungshoheit über Moral und Ethik abgesprochen hatte, meinte er mit Blick auf sein neustes Buchprojekt provokativ: Die Zukunft der Menschheit werde sich nicht an der Frage über Gut oder Böse entscheiden, sondern daran, ob sie sich klug oder blöde verhalten werde. Anschließend betrat mit Lawrence Krauss der „Woody Allen der Kosmologie“ die Bühne. Er wies nach, dass die Erde zwar keine Scheibe, das Universum jedoch allen Berechnungen nach flach sei. Das Rätsel, weshalb etwas und nicht nichts sei, könne die Wissenschaft im Gegensatz zur Theologie oder Philosophie anhand der Gravitation und Quantenphysik auflösen. Schließlich sei das „Nichts“, aus dem das Universum zum überwiegenden Teil besteht, nicht leer – es blubbere nur so von virtuellen Teilchen, die spontan zwischen Existenz und Nichtexistenz wechseln. Da sich das beobachtbare Universum immer mehr ausdünnt, werden die Sterngucker der fernen Zukunft mehr noch als ihre Vorgänger dem Irrglauben erliegen, einen speziellen Platz im All einzunehmen.

Gesichertes Wissen

Der Sonntagmorgen stand ganz im Zeichen der Verschwörungstheorien, allen voran die Truther-Bewegung zum 11. September. Die Impfgegner wurden ebenso thematisiert wie der geheimnisvolle Planet X, der angeblich die Erde bedrohe. Astronom Florian Freistetter verschob dann auch den Weltuntergang auf nach 2012. Auf seinem Blog berichtet er ausführlich über das Denkfest samt weiterführender Links.

Die abschließende Podiumsdiskussion zur Gratwanderung zwischen Skeptizismus und Denialismus zeigte am Beispiel des Klimawandels auf, dass ähnlich wie in der Kreationismusdebatte, nur scheinbar eine Kontroverse unter Fachleuten bestehe. Die Vereinnahmung der Wissenschaft durch politische, wirtschaftliche oder auch religiöse Kreise mache es der interessierten Öffentlichkeit schwer, sich eine fundierte Meinung zu bilden.

Es war der erste große Skeptiker-Anlass dieser Art im deutschsprachigen Raum. Der Ruf nach einer Fortsetzung war deutlich hörbar: Das Wissen soll den Weg aus den Universitäten und Forschungszentren zurück zu den Menschen finden. Und aus den virtuellen Weiten des Internets zurück in die „reale“ Welt.
 

Grazia Annen