Denkfest 2017

Ein Fest des kritischen Denkens

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Der Historiker Bernd Roeck beim Denkfest-Auftakt

War die Reformation für die Aufklärung notwendig? Hat sie den Frauen Fortschritte gebracht? Wie steht's um die Reform des Islam? Wie reformiert sich die Wissenschaft? Und welche Reformationen des Denkens stehen uns wohl noch bevor? Diese und andere Fragen wurden am vergangenen Wochenende beim hochkarätig besetzten "Denkfest" in Zürich diskutiert, das von der Feidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) u.a. mit Unterstützung der Skeptiker Schweiz und der Giordano-Bruno-Stiftung ausgerichtet wurde. 

Angesichts der zahlreichen Feierlichkeiten zum Reformationsjahr sollte das dritte "Denkfest" einen dezidiert säkularen Beitrag zum Reformationsjubiläum leisten. Dazu wurden mehr als 30 Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland eingeladen, die an vier Tagen ein fulminantes Programm mit Wissenschaft, kritischem Denken und intelligenter Unterhaltung präsentierten. 

Eröffnet wurde das "Denkfest" mit einem Vortrag des Historikers Bernd Roeck, der skeptisch der Frage nachging, ob die Reformation ein zwingender Vorläufer der Aufklärung war. Danach gehörte die Bühne der Englischen Satirikerin Kate Smurthwaite, die unterhaltsame und dezidiert unlustige Haupt- und Nebenwirkungen organisierter Religion beleuchtete.

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Die Satirikerin Kate Smurthwaite – Foto: Florian Chefai

Mit einem Grußwort von Amardeo Sarma, Vorsitzender der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), wurde der zweite Denkfest-Tag eingeleitet, an dem es insbesondere um berühmte und weniger bekannte Beispiele von fortlaufenden Verfeinerungen wissenschaftlicher Erkenntnisse bis hin zu Paradigmenwechseln – und auch um persönliche Reformationen des Denkens ging. So erklärte der Astrophysiker Ben Moore, wie neue Erkenntnisse in der Astronomie unser gesamtes Weltbild erschütterten und mit welchen aktuellen Fragestellungen man derzeit in der Wissenschaft konfrontiert ist.

Nach einer kurzen Pause berichteten Natalie Grams und Britt Marie Hermes, wie sie von sogenannten "alternativmedizinischen" Praktikerinnen zu Skeptikerinnen wurden. In einem Gespräch mit Andreas Kyriacou, Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, schilderten sie, wie diese persönliche Reformation des Denkens vonstattenging und warum sie sich heute für eine evidenzbasierte Medizin stark machen.

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Britt Marie Hermes & Natalie Grams im Gespräch mit Andreas Kyriacou – Foto: Florian Chefai

Der Neuropsychologe Lutz Jäncke zeigte in dem darauf folgenden Vortrag, wie unser Hirn unser Denken, Handeln und Fühlen beeinflusst - und dass dies manchmal nur am Rande mit Vernunft zu tun hat. Anschließend machte die Rechtspsychologin Julia Shaw anhand ihrer eigenen Untersuchungen zu fehlerhaften Erinnerungen deutlich, dass auch unser Gedächtnis zuweilen nicht so verlässlich funktioniert, wie wir dies gerne hätten.

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Der Neuropsychologe Lutz Jäncke – Foto: Florian Chefai

Nachdem Stephan Neuhauss und Christian Gutknecht für einen offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen plädierten, wurde in einem abschließenden Vortrag dargestellt, welches aufklärerische Potenzial Computerspiele haben können. 

Der dritte Veranstaltungstag wurde mit einem Grußwort der Stadtpräsidentin von Zürich, Corine Mauch, eingeleitet. Die Historikerin Susan Karant-Nunn ging folgend der Frage nach, welchen Einfluss die Reformation auf Frauen hatte. Reinhold Schlotz, Mitherausgeber der Neuedition von Luthers judenfeindlichen Schriften, klärte im Anschluss über den Judenhass des umstrittenen Reformators auf. 

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Susan Karant-Nunn – Foto: Florian Chefai

Der Philosoph A. C. Grayling zeichnete in seinem Vortrag die lange und bewegte Geschichte des Humanismus nach – von seinen Anfängen in der Antike über das Mittelalter und die Renaissance, die an Ideen der Antike anknüpfte, bis zur heutigen Zeit. Danach berichtete Raphael Dorigo von seinem persönlichen Wandel vom Prediger zum Atheisten.

Weiter ging es mit Ergebnissen aus der empirischen Sozialwissenschaft. Der Religionssoziologe Jörg Stolz stellte erste Ergebnisse einer Studie über die säkulare Bevölkerung der Schweiz vor. Das Ergebnis: Der typische Säkulare in der Schweiz ist männlich, urban, politisch eher links verortet und verhältnismäßig wenig interessiert an Ritualen.

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Der Religionssoziologe Jörg Stolz – Foto: Florian Chefai

Der Vortrag der Rechtsanwältin und Moscheegründerin Seyran Ateş über "Wege zu einem liberalen Islam" konnte nur unter Personenschutz stattfinden. Denn Ateş bekommt wegen ihrem Eintreten für einen liberalen Islam und wegen der Gründung der Berliner Ibn Rushd-Goethe Moschee regelmäßig Morddrohungen von Islamisten. Mit Kerem Adıgüzel und Abduselam Halilović diskutierte sie anschließend über die Notwendigkeit einer Reform des Islam.

Zum Abschluss des Tages wurde das Theaterstück "Prophet 3.0" aufgeführt, das auf einer Initiative der Freidenker-Vereinigung der Schweiz beruht und Voltaires Stück "Der Fanatismus oder Mohammed" mit der heutigen Zeit verknüpft.

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Die Rechtsanwältin und Moscheegründerin Seyran Ateş – Foto: Florian Chefai

Am vierten und letzten Tag des Denkfests wurde nach vorn geschaut und gefragt, welchen Einfluss Zukunftstechnologien auf unser Leben haben werden und welche Reformationen des Denkens wohl noch vor uns liegen. So diskutierten Bethan WolfendenEffy Vayena und Roberto Andorno über Risiken und Chancen des genomchirurgischen Verfahrens "CRISPR". Gerd LeonhardJoanna J. BrysonSatinder P. Gill​ und Anders Sandberg debattierten über die Frage, was Intelligenz im Zeitalter von KI bedeutet.

Der Historiker Philipp Blom erklärte in seinem Vortrag, warum die Errungenschaften der Aufklärung derzeit auf dem Spiel stehen und welche Gefahren insbesondere von Klimawandel und Digitalisierung ausgehen.

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Diskussion über künstliche Intelligenz – Foto: Florian Chefai

In der Tradition seines Buches "Hoffnung Mensch – eine bessere Welt ist möglich" plädierte der Philosoph Michael Schmidt-Salomon für einen weltanschauungsübergreifenden Humanismus. In seinem Vortrag erklärte er, warum sich Humanistinnen und Humanisten aller Konfessionen vereinigen sollten. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierte er mit dem Rabbiner Aron Müller, dem Mediensprecher des Verbands Islamischer Organisationen in Zürich Abduselam Halilović, dem Leiter der Abteilung Lebenswelten der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Zürich Stefan Grotefeld sowie mit Philipp Blom über die Frage, wie ein konfessionsübergreifender Dialog zwischen Humanisten möglich ist.

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Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon – Foto: Florian Chefai

Zum Abschluss des "Denkfestes" wurde zum zweiten Mal der mit 10.000 CHF dotierte "Freidenkerpreis" verliehen. Er ging zu gleichen Teilen an die Exil-Iranerin Masih Alinejad und ihre Organisation My Stealthy Freedom sowie an die kurdische Malerin und Journalistin Zehra Doğan, die zur Zeit in der Türkei in Haft ist.

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Die Verleihung des "Freidenkerpreises" – Foto: David Farago

Andreas Kyriacou, Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, blickt zufrieden auf das ereingnisreiche Wochenende zurück. Gegenüber dem hpd erklärte er: "Das dritte 'Denkfest' war ein schöner Erfolg. Wir konnten die Reformationsfeierlichkeiten, die in der Schweiz erst so richtig am Anlaufen sind, mit einer kritischen Außensicht bereichern und das Thema 'Reformation des Denkens' aus dem engen religiösen Korsett befreien."