„Hasst die BBC das Christentum?“

LONDON. (hpd) Redaktionen der British Broadcasting Corporation (BBC) können auf die religiöse Zeitangabe „vor Christus“ und „nach Christus“ verzichten, wenn es ihnen bei der Produktion von Sendungen für ein multiethnisches Publikum angemessen erscheint. Gläubige sind entsetzt und verurteilen eine „absurde politische Korrektheit“, mit der die BBC das Christentum durch Förderung eines „aggressiven Säkularismus“ zu unterminieren versuche.

 

„2.000 Jahre Christentum für die politisch korrekte ‚gebräuchliche Zeitrechnung‘ über Bord geworfen.“ So titelte die Daily Mail am vergangenen Sonntag, die gegen eine seit geraumer Weile vorhandene Möglichkeit alternativer Zeitangaben Stimmung unter Gläubigen machen wollte. Im Forum der Zeitung fragte die Daily Mail sogar: „Hasst die BBC das Christentum?“

Bei der Empörung geht es darum, was unter anderem die BBC-Redaktion für die Rubrik Religion & Ethics auf ihrer Internetseite erklärt: Übereinstimmend mit modernen Gepflogenheiten werden dort die Kürzel „BCE“ (was soviel wie „vor gebräuchlicher Zeitrechnung“ bedeutet, die Red.) und „CE“ („gebräuchliche Zeitrechnung“, d. Red.) als religiös neutrale Alternativen zu den englischen Äquivalenten zu „vor Christus“ und „nach Christus“ benutzt. Da die BBC zur Unparteilichkeit verpflichtet ist, sei die Verwendung der religiös neutralen Wendungen angemessen, damit das nichtchristliche Publikum nicht gekränkt oder vergrämt wird.

Beim evangelikalen Online-Magazin Pro aus Deutschland hieß es dazu, die BBC beuge sich aus „Angst davor, die Gefühle von Nichtchristen zu verletzen“ vor der „political Correctness“. Der Bericht griff die Rhetorik der christlich-konservativen Panikmache anlässlich der unbequemen Praxis des renommierten Senders auf, mit der häufig die Wendung „politische Korrektheit“ zur Stimmungsmache gegen Maßnahmen angesichts einer multikulturellen Gesellschaft benutzt und weniger konservativen Entscheidungsträgern eine irrationale Furcht unterstellt wird.

Probleme von Christen mit persönlicher Wahlfreiheit

Peter Mullen, anglikanischer Kaplan an der Londoner Börse, verurteilte die Praxis der BBC laut Daily Mail dementsprechend als „absurde politische Korrektheit“. Die neue Wendung bedeute niemandem irgendwas und sei für ihn ein Beispiel, wie die BBC das Christentum durch Förderung eines aggressiven Säkularismus unterminiere. Die katholische Politikerin Ann Widdecombe meinte, diese Praxis bei der BBC würde Christen beleidigen und Begriffe entwerten, die seit Jahrhunderten vorhanden und von jedem verstanden werden. Eine Kommentatorin der Daily Mail klagte, die Sprache sei von der Linken gekapert worden. Leiter von Religion & Ethics bei der BBC ist Aaqil Ahmed.

„Niemand hat diese Änderung verlangt“, schimpfte auch Londons Bürgermeister Boris Johnson. Er erklärte in seiner Kolumne bei der Daily Mail, die Entscheidung der BBC werde Wirkung für die Handhabe in anderen Verlagen und Rundfunkanstalten haben. „Schulen werden folgen, und wenn Menschen protestieren, heißt es, das ist die beste Praxis, weil die BBC es macht“, stellte der Politiker fest. Wiederholt wurde gegen die Neuerung ebenfalls vorgebracht, dass sich der zeitliche Bezugspunkt nicht geändert habe und sie deshalb sinnlos sei. Offenbar hätte die Praxis daher auch mit einer Änderung des geschichtlichen Bezugspunktes einhergehen müssen, so scheint es.

Es ist nicht der einzige Fall im angelsächsischen Raum, in dem sich Gläubige beim Streit um vermeintlich unverzichtbare Wörter vom vielbeschworenen aggressiven Säkularismus bedroht fühlen können. Zum Jahresanfang ging ein wütender Proteststurm gegen einen „kämpferischen Atheismus“ in EU-Institutionen durch die internationalen Medien, als in einem von der EU herausgegebenen Schülerkalender versehentlich die christlichen Feiertage vergessen wurden. Zum letzten Monatswechsel gab es Entsetzen über „einen intellektuell absurden Versuch, Christus aus der Menschheitsgeschichte zu schreiben“, weil eine Reform im nationalen Lehrplan Australiens das religiöse „vor Christus“ und „nach Christus“ durch die neutralere und auch bei der BBC akzeptierte Wendung ersetzen sollte.

Eine Sprecherin der BBC betonte laut Huffington Post zwar anlässlich der neuen Kontroverse, dass die BBC weiterhin die Kürzel „BC“ und „AD“ verwendet, jedoch auch die individuelle Möglichkeit für unterschiedliche Terminologien, wie sie in der historischen Forschung gebräuchlich sind, offen lässt. Gebracht hat es freilich wenig, denn auch der Tagesspiegel widmete dem Vorfall noch eine Geschichte und titelte von der Realität unbeeindruckt: „BBC streicht Jesus Christus“.

Martin Robbins bilanzierte schließlich beim Guardian unter der Überschrift „Wie die dunklen Mächte der political Correctness bei der BBC die christliche Ära bedrohen“, was am ehesten über die allgemeine Aufregung zu sagen bleibt: Entrüstete Christen scheinen wegen der Idee persönlicher Wahlfreiheit perplex und verärgert zu sein.
 

Arik Platzek