BESSLICH. (hpd) Seit über 15 Jahren steht Michael Schmidt-Salomon für pointierte Religionskritik. Nun ist ein Buch mit den „Best of“ seiner religionskritischen Satiren, Aufsätze und Vorträge erschienen, das die Auseinandersetzungen dieser Zeit Revue passieren lässt. Gleichzeitig sei der Band aber auch eine „Zäsur“ in seinem Werk. Warum?
Der im Alibri Verlag publizierte Sammelband „Anleitung zum Seligsein“ ist in drei Teile untergliedert: Der erste Teil enthält satirische Texte, die die Lächerlichkeit religiöser Überzeugungen herausarbeiten, der zweite Teil prägnante Stellungnahmen zu politischen Debatten, der dritter Teil Aufsätze zu philosophischen und wissenschaftlichen Hintergründen der Religionskritik. Wie Schmidt-Salomon im Vorwort des Buchs schreibt, markiert die Herausgabe dieses religionskritischen Sammelbandes eine „Zäsur“ in seinem Werk. Künftig will er „Religionskritik in Reinkultur“ nicht mehr betreiben. Der hpd fragte nach, warum.
Wenn du auf deine Aufsätze und Vorträge der vergangenen 15 Jahre zurückblickst, welche Entwicklung in der Herangehensweise an das Thema Religion kannst du bei dir feststellen? Hat sich deine Perspektive, dein argumentativer Zugang verschoben?
MSS: Natürlich gibt es über die Jahre Veränderungen, allerdings lässt sich auch eine große Kontinuität feststellen, die mich selbst erstaunt hat, als ich die alten Texte las. So enthielt bereits mein erster religionskritischer Aufsatz „Offenheit statt Offenbarung“, der 1994 in der MIZ veröffentlicht wurde, viele zentrale Gedanken, auf die ich später immer wieder zurückgegriffen habe. In diesem frühen Aufsatz taucht auch schon der Begriff der „Religionsfreien Zone“ auf, den wir elf Jahre später als Label für die Gegenveranstaltungen zum katholischen Weltjugendtag nutzten. Der größte formale Unterschied zu heute besteht wohl darin, dass ich anfangs – wie die meisten Religionskritiker – fast ausschließlich sozial- und geisteswissenschaftlich argumentierte. Erst Ende der 1990er Jahre beschäftigte ich mich intensiver mit den Naturwissenschaften, insbesondere mit Evolutionsbiologie und Hirnforschung. Diese „naturalistische Wende“ hat meinen Denkansatz stark erweitert. Natürlich haben sich im Laufe der Zeit auch die Themen verändert: Zu Beginn konzentrierten sich meine religionskritischen Texte weitgehend auf das Christentum, später rückte, vor allem auch infolge der Zusammenarbeit mit den Ex-Muslimen, der Islam mehr und mehr in den Brennpunkt der Kritik.
Welches Resümee würdest du – persönlich und politisch – für diese Zeit, in der du vom MIZ-Chefredakteur zu „Deutschlands Chef-Atheist“ aufgestiegen bist, ziehen?
MSS: Die säkulare Szene hat in dieser Zeit viel mehr erreicht, als man realistischerweise erwarten durfte. Als ich Anfang der 1990er Jahre damit begann, mich auf dem Gebiet der Religionskritik zu engagieren, hielten mich die meisten Leute in meinem Umfeld für verrückt. Tatsächlich interessierte sich damals kaum jemand für dieses Thema – abgesehen von einigen Religiösen, die sich für meine Texte allerdings auch nicht sonderlich begeistern konnten.
Erst mit den Anschlägen des 11. September 2001 änderte sich die Situation: Immer mehr Menschen erkannten, dass die Religionen, insbesondere in ihren fundamentalistischen Varianten, eine ernstzunehmende Gefahr für den Frieden darstellten. Auch stieg auf Seiten der wachsenden Gruppe der konfessionsfreien Menschen das Bedürfnis, sich zu organisieren. In Anbetracht der geringen Mittel, die uns zur Verfügung standen und stehen, ist es uns eigentlich erstaunlich gut gelungen, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Konfessionsfreie, religionskritische Argumente werden heute politisch und medial viel stärker wahrgenommen als früher. Diesen Erfolg sollte man nicht geringschätzen – auch wenn aus säkularer Sicht selbstverständlich noch vieles in unserer Gesellschaft geändert werden muss.
Was mich persönlich betrifft: Es war und ist großartig zu sehen, wie kontinuierlich die säkulare Bewegung wächst, und es freut mich sehr, daran mitwirken zu können. Auf einen Titel wie „Deutschlands Chef-Atheist“ war ich allerdings niemals scharf. Denn erstens ist dieses Etikett falsch – ich bin kein „Chef“ und „Atheist“ auch nur unter agnostischem Vorbehalt – und zweitens hat es dazu geführt, dass ich medial in eine Schublade gesteckt wurde, die ich mittlerweile als sehr beengend empfinde. Es ist wie verhext: Erst kam ich mit religionskritischen Inhalten nicht in die Medien hinein, nun komme ich aus der Nummer nicht mehr heraus. Daher werde ich wohl auch noch in den kommenden Jahren auf immer gleiche Fragen immer gleiche Antworten geben müssen. Mitunter ist das ziemlich ermüdend…
Im Vorwort zu deinem neuen Buch kündigst du an, dass du dich in Zukunft nicht mehr mit Religionskritik befassen möchtest. Was hat dich zu der Einschätzung veranlasst, dass nun der Moment gekommen ist, dass die Kritik der Religion für Deutschland offenbar im Wesentlichen beendet ist?
MSS: Ich habe mir zwar vorgenommen, in den nächsten Jahren andere Schwerpunkte zu setzen, aber das heißt nicht, dass ich keine Religionskritik mehr betreiben werde. Leider ist es ja so, dass man dem Thema „Religion“ überhaupt nicht aus dem Weg gehen kann. Denn egal, ob man sich mit „selbstbestimmtem Sterben“, „Bioethik“, mit „Friedenspolitik“ oder „Ökologie und Ökonomie“ beschäftigt, überall trifft man auf religiotische Vorbehalte, die zeitgemäße, faire Problemlösungen behindern.
Zu deiner Frage: Ich denke, dass sowohl die religiösen Weltbilder als auch die religiösen Werte in den letzten Jahren hinreichend entzaubert wurden. Mittlerweile liegen genügend Argumente vor, um nicht nur den Glauben selbst, sondern auch den Glauben an den Glauben zu erschüttern. Wie weit diese Argumente schon in den gesellschaftlichen Diskurs vorgedrungen sind, zeigt, dass ein Publikumsverlag wie Bastei Lübbe sich nicht davor scheut, ein Buch mit dem Titel „Heilige Scheiße“ herauszubringen. Das wäre vor kurzem noch völlig undenkbar gewesen! Für mich als Philosophen ist deshalb die Arbeit an diesem Thema weitgehend abgeschlossen.
Was wir jetzt brauchen, sind nicht noch weitere theoretische Analysen, sondern politische Veränderungen. Es gilt, den überproportionalen Einfluss religiöser Kräfte in der Gesellschaft zurückzudrängen. Hier ist noch vieles zu tun – und als Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung werde ich mich daran selbstverständlich auch beteiligen. Allerdings sollten wir nicht übersehen, dass unsere Welt keineswegs allein unter dem Einfluss der Religioten krankt, denn der Irrsinn tritt gerne auch in profaner Gestalt auf, wie man an den internationalen Finanzmärkten sieht. Wahrscheinlich wird das Problem des religiösen Fundamentalismus auch gar nicht zu beheben sein, wenn man nicht zugleich die vielfältigen ökonomischen und ökologischen Probleme der Menschheit angeht.
Wer ist da die Henne und wer ist das Ei? Muss erst eine religions- bzw. kirchenkritische Grundeinstellung mehrheitsfähig werden, damit bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen anlaufen können, oder muss eine Veränderung der Verhältnisse durchgefochten werden, damit eine distanzierte Haltung den Kirchen gegenüber zur Selbstverständlichkeit werden kann?
MSS: Ich meine, dass man das eine nicht getrennt vom anderen betrachten kann. Schließlich ist unser Denken und Handeln ebenso von den gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt, wie die Verhältnisse von unserem Denken und Handeln bestimmt werden. Und beides ist bekanntlich nicht statisch, sondern unterliegt permanentem Wandel. Besonders dramatisch sind solche Wandlungsprozesse in Momenten der Krise, wenn offenbar wird, dass die Form unseres Zusammenlebens solch schwere Probleme produziert, dass wir sie mit traditionellen Hilfsmitteln nicht mehr lösen können.
In jeder Krise steckt daher eine Chance. Insofern wäre die säkular-humanistische Bewegung gut beraten, wenn sie die Chance der gegenwärtigen Krise nutzen würde. Sie müsste sich mit eigenen Lösungsvorschlägen in die Debatte einbringen, doch diese müssten erst einmal erarbeitet werden. Wie etwa sollte eine humanistische Wirtschaftsordnung aussehen? Wie sollte das Bildungssystem aus humanistischer Sicht reformiert werden? Was sind unsere Vorschläge im Bereich Ökologie? Während die Kirchen zu diesen Themen mehr oder weniger deutlich Stellung beziehen, gibt es hierzu innerhalb der säkularen Szene kaum tragfähige Konzepte. Dies ist ein großes Manko. Auf Dauer nämlich wird es nicht ausreichen, Humanismus als bloßes Gegenkonzept zur Religion zu definieren. Denn die Menschen wollen nicht nur wissen, wogegen Humanisten sind, sondern auch, wofür sie stehen.
Wenn ich das richtig verstanden habe, muss der Mensch also in der Praxis die Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Was hast du konkret für die nächsten Jahre auf dem Schirm?
MSS: Ich habe mich in den letzten Monaten sehr intensiv mit ökologischen und ökonomischen Fragestellungen beschäftigt. Es gibt auch schon ein erstes Ergebnis dieser Auseinandersetzung: Vor kurzem habe ich die Arbeit an einer politischen Streitschrift abgeschlossen, die im kommenden Frühjahr unter dem Titel „Keine Macht den Doofen!“ erscheinen wird. Wenn man so will, werden in diesem Buch die Anliegen der religionskritischen Bewegung mit den Anliegen der Ökologiebewegung, der Tierrechtsbewegung oder der Occupy Wall Street-Bewegung zusammengeführt.
Ich meine, dass es eine politisch sinnvolle Strategie wäre, diese verschiedenen Widerstandsbewegungen miteinander zu vernetzen. Grundvoraussetzung dafür aber ist, dass die Irrationalismen der einzelnen Bewegungen kritisch aufgearbeitet werden. So sind viele Ökologiebewegte noch immer von religiösen Missverständnissen bezüglich der Natur geprägt, die sie absurderweise „Schöpfung“ nennen, was sie, wie man am Beispiel „Gentechnik“ zeigen kann, zu Fehlschlüssen im Bereich der Ökologie verleitet. In der Occupy Wall Street-Bewegung wiederum herrschen zum Teil wilde Verschwörungstheorien vor, was die Ausarbeitung vernünftiger ökonomischer Konzepte behindert. Trotz dieser Mängel haben diese Bewegungen großes gesellschaftsveränderndes Potential. Die Giordano-Bruno-Stiftung hat sich deshalb vorgenommen, ihre Vernetzung voranzutreiben. Im Falle des Great-Ape-Project, bei dem wir mit verschiedenen Tierrechtsorganisationen zusammenarbeiten, ist dies bereits gelungen. Und auch die Berliner Anti-Papst-Demo „Keine Macht den Dogmen!“, an der 15.000 Menschen aus den unterschiedlichsten Spektren teilnahmen, war in dieser Hinsicht ein hoffnungsvolles Zeichen.
Als Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung stehst du einem humanistischen „Think Tank“ vor. Ein Weg, Veränderungen hin zu einer „menschlichen Gesellschaft“ anzustoßen, sind Kontakte in den realpolitischen Raum. Bewegt sich da was?
MSS: Ja, es scheint so, dass sich in der politischen Sphäre tatsächlich etwas bewegt. Zwar präsentieren sich viele Spitzenpolitiker noch immer als Spitzengläubige, doch in den Parteien werden zunehmend auch Gegenstimmen laut. Wer hätte denn vor ein paar Monaten gedacht, dass so viele Bundestagsabgeordnete die Rede des Papstes boykottieren und an der Anti-Papst-Demo teilnehmen würden? Ich bin sicher, dass die Trennung von Staat und Kirche in den nächsten Legislaturperioden stärker thematisiert werden wird – nicht nur, weil sich innerhalb der Parteien Konfessionsfreie und Laizisten formieren, sondern auch, weil der Druck der Wähler auf die Politik steigen wird.
Hast du für dich Ziele definiert, von denen du sagen würdest: Wenn das erreicht ist, sind wir wirklich einen Schritt weiter?
MSS: Es gibt viele solcher Schritte. So war es für die Ex-Muslime wichtig, dass die Abkehr vom Islam in Deutschland als Asylgrund gewertet wird. Dieses Ziel haben wir im vergangenen Jahr glücklicherweise erreicht. Für die nähere Zukunft hoffe ich unter anderem darauf, dass der unsägliche Tendenzschutz christlicher Betriebe fallen wird. Es ist doch wirklich nicht hinnehmbar, dass Beschäftigte in katholischen Unternehmen ihre Arbeitsstelle verlieren können, bloß weil sie einen geschiedenen Partner heiraten oder sich dazu bekennen, in einer homosexuellen Beziehung zu leben. Eine solche weltanschauliche Diskriminierung gehört nicht ins 21. Jahrhundert! Betriebe, die so etwas praktizieren, dürften keinen müden Cent von der öffentlichen Hand erhalten! Das sollten auch Politikerinnen und Politiker einsehen.
Und wann können wir darauf anstoßen?
MSS: Ich habe wirklich keine Ahnung. Wie heißt es so schön: Prognosen sind verdammt schwer – vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen…
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Michael Schmidt-Salomon: Anleitung zum Seligsein. Mit Karikaturen von Jacques Tilly. Alibri, 2011. 211 Seiten, kartoniert, Abbildungen, Euro 16.-, ISBN 978-3-86569-068-5
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.