Überwachung bedeutet weniger Freiheit

HAMBURG. Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit

, war am 28.02.07 im Kulturhaus 73 zu Gast. Er hielt vor ca. 100 ZuhörerInnen einen Vortrag „Auf dem Weg in den Überwachungsstaat" und beleuchtete kritisch „neue technologische Entwicklungen" im Hinblick auf den „zunehmenden Datenhunger von Wirtschaft und Staat".

Haben Sie sich schon einmal überlegt, welche Auswirkungen die Vernetzung moderner Technologien, wie Videoüberwachung, Biometrie und RFID-Chip, tatsächlich auf Ihr alltägliches Leben haben könnte? Vielleicht fragen Sie: Wieso Überwachung? Es geht doch um unsere Sicherheit, Eindämmung der Kriminalität und nicht zu letzt um den Komfort durch fortschrittliche Technologien! Sicher, jeder dieser vermeintlich sinnvollen und unumgänglichen Maßnahmen hat eine plausible Begründung - erst recht nach dem 11. September.

Schaar beschrieb was bereits heute hinsichtlich digitaler Kommunikation möglich ist: Durch Verbindungsdatensätze kann festgestellt werden, wer, wo, wann, mit wem telefoniert hat. Zudem ist es möglich, eingeschaltete Mobiltelefone, unabhängig davon, ob diese gerade zum telefonieren verwendet werden oder nicht, auf einige hundert Meter zu orten.
Ob man eine oder hunderte Personen innerhalb einer Funkzelle ortet, stellt keinen größeren Aufwand dar. Mit Einführung von Mobilfunkgeräten mit GPS Technologie wird in Zukunft eine Metergenaue Ortung des Gerätestandortes ermöglicht.

Vor kurzem gab es eine groß angelegte Aktion, die unter dem Namen „Mikado" bekannt ist, in der 22 Millionen Kreditkarten auf Zahlungen an Vertreiber von Kinderpornos überprüft wurden. Kritik übte Schaar an der, inzwischen alltäglich gewordenen, willkürlichen Überprüfung des Zahlungsverkehrs von Millionen Menschen.

Auch die Wirtschaft könnte Interesse daran haben, zu erfahren, für welche Produkte die Kunden ihr Geld ausgeben. Bestände die Möglichkeit Zahlungsvorgänge zwischen Kredit/EC-Karteneigentümer und Unternehmen einzusehen, diese mit den Daten entsprechender Kundenkarten zu kombinieren, würde dies ein enormes Potenzial für Marketingstrategien bedeuteten. Es bestände die Möglichkeit, Profile über das Kaufverhalten einzelner Menschen zu erstellen und so Werbemaßnahmen effektiver zu gestalten.

Eine weitere technologische Entwicklung ist der RFID-Funkchip, der viele Einsatzmöglichkeiten bietet. Im Bereich der Logistik erhofft man sich genaue Dokumentation von Transportwegen und schnellere Abläufe. Vision ist es, die Abläufe an den Kassen zu beschleunigen. Die Waren innerhalb eines Einkaufswagens die der Endverbraucher erwerben möchte, würden dank RFID-Chip, der sich an jedem Produkt befände, automatisch an der Kasse registriert.

Geplant ist, den RFID-Chip zukünftig auch in Reispässe und Personalausweise zu integrieren. Hierdurch soll das Zugreifen auf herkömmliche Daten sowie zwei Fingerabdrücke und Fotos ermöglicht werden. Die Möglichkeit des Missbrauchs ist aufgrund der unausgereiften Technik gegenwärtig jedoch nicht auszuschließen.

Übrigens, wer glaubt das Zahlen mit Bargeld wäre unbedenklich, irrt, denn auch die Ausstattung von Geldscheinen mit einem RFID-Chip ist denkbar.

Die bereits vielerorts eingesetzte Videoüberwachung muss im Hinblick auf die technischen Fortschritte, im Interesse des Datenschutzes, sehr viel kritischer betrachtet werden.
Die Zunahme der Speicherkapazität ermöglicht, dass auf Daten, die früher aus technischen Gründen nach zwei Wochen gelöscht wurden, heute sehr viel länger zugegriffen werden kann.

Moderne Videotechnik, ermöglicht automatische Mustererkennung, die bereits im Maut Bereich genutzt wird und deren Anwendung auf Menschen derzeit erprobt wird.
Eine Ausweitung der Mustererkennung auf den Alltagsverkehr ist im Gespräch. Dies bedeute die ständige Überwachung des Verkehrs, also, wann man sich wo, wie lange aufgehalten hat.

Vor kurzem verbot der Bundesgerichtshof das Durchsuchen von Computern über das Internet unter Einsatz von Trojanern. Der entscheidende Unterschied ist, dass die üblichen Hausdurchsuchungen offen und in Anwesenheit der Betroffenen stattfinden.

Die Richtlinie von Bundesinnenminister Schäuble ist: „Wenn eine meiner Aktionen illegal ist, ändern wir eben die Gesetze." Sogar ans Grundgesetz will man herangehen. Die Gier nach Daten des deutschen Innenministers scheint keine Grenze zu kennen.

Beim „HartzIV-Gesetz" wurden illegal wesentlich mehr Daten erhoben, als im Gesetz vorgesehen, laut Herrn Schaar ein Skandal nie da gewesenen Ausmaßes.

Laut der Studie European Crime and Safety Survey hat London die höchste Kriminalitätsrate Europas, obwohl die Stadt im europäischen Raum das dichteste Überwachungsnetzwerk aufweist.

Fragen:
• Brauchen wir also Technologien, die unsere Freiheit spürbar einschränken?
• Ist es in unserem Interesse, dass alle personenbezogen Daten überall verfügbar sind?
• Legitimiert, die Absicht Kriminalität zu bekämpfen, das Mittel der totalen Datenvernetzung und Verfügbarkeit?
• Entstehen durch die Vernetzung der plausibel begründbaren Maßnahmen, für die Demokratie untragbare Konsequenzen?

Am Ende des Vortrages betonte Peter Schaar, dass Überwachung weniger Freiheit bedeute. Er bezweifelte, dass mehr Überwachung zum Schutz der Bevölkerung beiträgt. Vielmehr werde die Kriminalität nur verlagert, anstatt die Ursachen zu bekämpfen.

Welche Argumente rechtfertigen welche Überwachungsmaßnahmen und wo sind die Grenzen?

Mit dieser Frage muss sich die Bevölkerung auseinandersetzen!

 

Niels Otto / Theresa Griese