(hpd) Der Sammelband „Terrorismusforschung in Deutschland“ will eine Bestandsaufnahme zum Thema und ein Forum für aktuelle Forschungsarbeiten liefern. Die sozialwissenschaftlichen Beiträge bewegen sich auf hohem Niveau, wobei die eigentliche Absicht einer Einführung und Überblicksdarstellung ein wenig verloren geht.
Die Anschläge vom 11. September 2001 haben dem Thema „Terrorismus“ in Öffentlichkeit und Wissenschaft einen hohen Stellenwert des Interesses gegeben. Für den Bereich der Forschung war dies in Großbritannien, Israel oder den USA bereits vor diesen Ereignissen der Fall, was an der Existenz einschlägiger Institute gut ablesbar ist. Doch wie steht es in Deutschland um Ansätze und Einrichtungen zum Thema? Antwort auf diese Frage wollen die Autoren und Herausgeber des Sammelbandes „Terrorismusforschung in Deutschland“ geben. Hierbei handelt es sich um ein Sonderheft der „Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik“ (ZFAS), das die Politikwissenschaftler Alexander Kocks, Kai Harbrich und Alexander Spencer herausgegeben haben. Ihnen geht es allgemein um eine Bestandsaufnahme. Hierbei richtet sich der Blick auf unterschiedliche Disziplinen wie Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie und Völkerrecht. Gleichzeitig soll der Band ein Forum für aktuelle Forschungsarbeiten zu Terrorismus und Terrorismusbekämpfung sein.
Die elf Beiträge wurden in drei zentrale Themenblöcke eingeteilt. Dabei geht es zunächst um die Perspektiven der Terrorismusforschung, wobei dies Christopher Daase und Alexander Spencer aus politikwissenschaftlicher, Mindia Vashakmaze aus völkerrechtlicher, Dennis Bangert aus spieltheoretischer und Sylvia Schraut aus geschichtswissenschaftlicher Sicht einschätzen. Gleich im ersten Beitrag nehmen die Autoren auch zur Definitionsfrage kritisch Stellung: „Es ist ... illusorisch, nach dem semantischen Kern des ’Terrorismus’ zu suchen. Der Kern liegt vielmehr im Gebrauch des Begriffs, und zwar in der designatorischen Praxis, Formen der politischen Gewalt zu delegitimieren“ (S. 29). Hier kann man zwar mit guten Gründen anderer Auffassung sein, aber diese Deutung stellt sehr wohl eine bedenkenswerte Position dar. In diesem Teil beschreiben die Autoren auch Erklärungsansätze für die Ursachen, wobei etwa individual-psychologische ebenso wie kollektiv-rationale Erklärungen des Terrorismus kritisch gewürdigt werden.
Im nächsten Block geht es um die Analyse einzelner Aspekte des Terrorismus: Christine Hikel geht auf den politischen Mord in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland ein, Stephanie Rübenach untersucht Ende und Verfall terroristischer Gruppen, Ralph Rotte und Christoph Schwarz wollen mit dem strategischen Ansatz den transnationalen Terrorismus analysieren. Und Sebastian Huhnholz widmet sich dem Spannungsverhältnis von Dschihadismus- und Terrorismusanalyse in Sicherheitspolitik und Wissenschaft. Im letzten Teil zur Terrorismusbekämpfung steht die Rolle des UN-Sicherheitsrat in der globalen Terrorismusbekämpfung bei Christian Kreuder-Sonne, die Effektivität von Counter-Terrorismus am Beispiel des Bundestrojaners bei Franz Eder und die Beeinflussung politischen Handels im Kampf gegen den Terrorismus bei Hendrik Hegemann, Regina Heller und Martin Kahl im Zentrum des Interesses. Am Ende formulieren die Herausgeber noch eine Bilanz zu Problemen und Schwächen sozialwissenschaftlicher Terrorismusforschung.
Der Band geht auf eine wissenschaftliche Konferenz mit einem Panel zum Thema zurück, was die entsprechende Ausrichtung der einzelnen Aufsätze erklärt. Für eine kritische Bestandsaufnahme hätte man sich inhaltlich und konzeptionell etwas mehr zurücknehmen können. So fehlt dem Band ein wirklich ausführlicher Einführungs- und Überblickstext zu Forschung und Kontroversen im Bereich des Terrorismus. Dies leistet nur in Ansätzen der Beitrag von Daase/Spencer zu Entwicklung und Stand der politikwissenschaftlichen Terrorismusforschung, der zu Definition und Ursachen des Terrorismus nur fragmentarisch einschlägige Ansätze beschreibt und einschätzt. So hätte man sich ausführlichere Darlegungen zu den Unterschieden von konstruktivistischen, kritischen und rationalistischen Deutungen gewünscht. Gleichwohl handelt es sich um eine außerordentlich interessanten Sammelband auf hohem Niveau, wofür etwa die Beiträge zur „Lebenslaufdynamik“ von Rübenach und zum strategischen Ansatz von Rotte/Schwarz stehen.
Armin Pfahl-Traughber
Alexander Spencer/Alexander Kocks/Kai Harbrich (Hrsg.), Terrorismusforschung in Deutschland, Wiesbaden 2011 (Verlag für Sozialwissenschaften), 321 S., EUR 49,95.