(hpd) In den letzten Jahren hat sich die extremistische Rechte organisatorisch und strategisch gewandelt: Feste Strukturen wichen lockeren Personenzusammenschlüssen, das Rabauken-Image wurde durch die Biedermann-Maske abgelöst, martialisches Gehabe wurde vom beklagten Verfolgtenstatus abgelöst.
Um die damit verbundenen Prozesse besser ausleuchten zu können, nahm der Soziologe Andreas Klärner auf der Grundlage eines lokalen Fallbeispiels die aktionsorientierte rechtsextremistische Bewegung und deren Eliten und Basisaktivisten ins Blickfeld. Seine Studie „Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit. Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten" stellt sich folgenden Fragen: Wie haben sich die Aktions- und Organisationsformen der Szene in den letzten Jahren konkret verändert? Und: Worin besteht der politische und soziale Hintergrund der Aktivisten? Antworten will der Autor mit dem methodischen Instrumentarium der Bewegungsforschung und auf Basis einer lokalen Fallstudie zur Situation in einer ungenannten ostdeutschen Stadt geben.
Der Text gliedert sich in sieben Kapitel: Zunächst skizziert der Autor knapp in vier Phasen unterteilt die Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland von der partei- zur netzwerkförmigen Organisation und widmet sich dem wissenschaftlichen Verständnis des Rechtsextremismus als sozialer Bewegung. Danach geht es um das methodische Vorgehen bei der Fallstudie und die Präsentation der Ergebnisse: Klärner beschreibt und bewertet die Entwicklung des Rechtsextremismus in A-Stadt (diese Bezeichnung wählt der Autor für die mittelgroße Stadt in den neuen Bundesländern), geht ausführlich auf die lokale Bewegungselite, die Basisaktivisten und das Umfeld der Bewegung ein und widmet sich genauer deren Selbstverständnis als politische Akteure in Ideologie und Praxis. Die Quellenbasis für diesen Hauptteil der Studie bilden zahlreiche Interviews, die im Text ausführlich zitiert werden. Gegen Ende fragt der Autor nach einer bilanzierenden Betrachtung nach den Erfolgsaussichten und Gegenstrategien.
Akzentverschiebungen im Auftreten
Allgemein leitet er aus der lokalen Fallstudie hinsichtlich der Veränderungen folgende Erkenntnisse ab: „Die auffälligsten Akzentverschiebungen im Auftreten der A-Städter Szene im Untersuchungszeitraum waren das Gewaltmoratorium, die Übernahme ‚linker' Parolen und Szenecodes der politischen Gegner, was diese erheblich verwirrte, sowie die offensive Selbstdarstellung als Opfer" (S. 136). Ausgrenzungserfahrungen, die insbesondere mit dem letztgenannten Gesichtspunkt verbunden seien, führten bei den Befragten zu einem Gefühl der moralischen Überlegenheit und des persönlichen Zusammenhalts. Weiter heißt es: „Die am A-Städter Beispiel aufgezeigten Transformationsprozesse in Bezug auf Organisations- und Aktionsformen belegen die These, dass der organisierte deutsche Rechtsextremismus ein soziales Gebilde mit hoher Innovationskraft ist" (S. 290). Die Lokalstudie habe gezeigt, wie erfinderisch und provokativ die rechtsextremistische Bewegung mit ihren Basisaktivisten und Kadern hinsichtlich Kampagnenfähigkeit und Strategie sei.
Erfolgsaussichten der rechtsextremistischen Szene
Klärner leitet aus diesen Erkenntnissen aber kein dramatisierendes Bild ab, sondern schätzt abschließend überaus differenziert die Erfolgsaussichten der rechtsextremistischen Szene ein. Dabei nutzt er innovativ das methodische Instrumentarium der Bewegungsforschung, um die erwähnten Entwicklungen in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext zu stellen. In diesen beiden Gesichtspunkten bestehen zweifellos die Stärken der Arbeit.
Sie hätten darüber hinaus aber noch die soziale Verankerung der Szene näher beleuchten können. Auch nimmt insgesamt die Fallstudie einen zu großen Raum ein, sollte sie doch eigentlich primär zur Erfassung allgemeiner Entwicklungstendenzen dienen. Diese hätten dann stärker herausgearbeitet werden können. Darüber hinaus wäre auch die Frage zu stellen, inwieweit die Entwicklungen in „A-Stadt" repräsentativ für die bundesweite Perspektive sind. Gleichwohl verdient die Studie angesichts der erwähnten Vorzüge Interesse. Dies gilt auch für die interessanten Positionen zu Fragen der Gegenstrategien und der Verbotsoptionen.
Armin Pfahl-Traugber
Andreas Klärner, Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit. Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten, Hamburg 2008 (Hamburger Edition), 348 S., 25 €