Der Dalai Lama, Dieter und das Wasser

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Demonstranten / Fotos: Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Ganz Wien schwelgt im Dalai-Lama-Glück. Der Vortrag des Oberhaupts der tibetischen Gelbmützen-Sekte in der Wiener Stadthalle am Freitag war ausverkauft. Ganz Wien? Zumindest eine kleine Gruppe hielt im Meer der Begeisterung das Fähnchen der Säkularität hoch.

Die fünf Schilder mit der Aufschrift „Free Tibet from the Lamas“ waren vielleicht etwas optimistisch berechnet. Am Infotisch von gottlos.at sind kaum je mehr als sieben oder acht Aktivisten der Szene versammelt, der hpd-Korrespondent mitgerechnet. Beim Vortrag von Colin Goldner vorige Woche waren immerhin 130 Leute gekommen. Die geplante Demo gegen den Vortrag des Dalai Lama ein paar hundert Meter weiter in der Wiener Stadthalle wurde kurzfristig zu einer Kleinkundgebung mit dem Herzstück Infotisch reduziert. „Die Kommunistische Jugend hat ihre Unterstützung zurückgezogen“, erklärt Dieter Ratz von gottlos.at. „Es hat sie gestört, dass wir China als Diktatur bezeichnen.“ Man kann es offenbar nicht jedem Recht machen. Immerhin, der Freidenkerbund ist über die meiste Zeit vertreten. Vorsitzender Gerhard Engelmayer ist sogar der erste am Urban-Loritz-Platz. Dieter und Co. verspäten sich ein wenig.

Ein italienischer und ein britischer Student zeigen sich freundlich interessiert an der Kritik am Dalai Lama. Eine Sympathisantin von gottlos.at schaut vorbei und kauft Daniel Goldhagens „Die katholische Kirche und der Holocaust“. Viel tut sich nicht, während der Dalai Lama vor tausenden Zuhörern über eine Welt jenseits der Religion spricht. Die Stadthalle ist ausverkauft und das bei Ticketpreisen, die durchaus 100 Euro überschreiten können. Nur Dieter scheinen die Gesprächspartner nie auszugehen. Ein muskelbepackter Wiener will wissen, worum es da geht. „Wir sind kritisch gegenüber dem Dalai Lama“, sagt Dieter. „Ist das der, wo die Frauen verschleiert herumlaufen müssen?“ Es dauert ein wenig, bis das Missverständnis aufgeklärt ist. Gerhard springt hilfreich ein. „Das ist ein Pfaff. Nur halt kein katholischer.“ Das macht es offenbar etwas verständlicher. Der Mann steckt einen Infofolder ein und geht weiter.

Wenn gerade niemand etwas wissen will, gibt Dieter Interviews. Der Wiener Kabelsender Okto und das freie Radio Orange haben Journalisten geschickt. Es werden die einzigen Medien sein, die sich heute für die Säkularen interessieren. Nur die ARD hat Gerhard vor der Kundgebung interviewt. Die Aufmerksamkeit der großen Sender und Tageszeitungen liegt ganz beim Dalai Lama.

Eine Pensionistin fragt, ob das für oder gegen Gott sei. „Wir sind nicht gegen Gott. Den gibt es nicht“, sagt Erwin, einer der Aktivisten. Ein kurzer indignierter Blick. „Wir sind Atheisten.“ Die Frau wirft den Infofolder, den sie in der Hand hatte, etwas unfreundlich zurück auf den Infotisch. Kopfschüttelnd zieht sie von dannen. Dieter ist im Gespräch mit einem jungen Paar, das offensichtlich gerade aus der Stadthalle kommt. Sie trägt einen „Free Tibet“-Button. „Das stimmt ja alles nicht, was ihr da sagt“, meint er, bleibt aber freundlich. Arm in Arm marschieren sie Richtung U-Bahn. Wenig später sorgt ein älteres Ehepaar für einen kleineren Konflikt. Auch sie haben den Vortrag vorzeitig verlassen. „Ihr wart noch nie in Tibet“, wirft er den Aktivisten vor. Dieter: „Das stimmt. Wie oft waren Sie denn?“ „Auch noch nie. Aber schämt euch“, echauffiert er sich. Sie zieht ihn am Arm weg.

Dann kommen die Massen aus der Stadthalle. Die meisten scheinen den Infotisch nicht zu bemerken. Einige schütteln den Kopf. Ein paar tragen „Free Tibet“-Halstücher. Immer wieder kommt es zu kurzen Staus am Tisch. Jetzt kommen auch Tobias, Jörg und Michael dran. Sie engagieren sich bei gottlos.at. Die meisten Gespräche verlaufen friedlich. Es überwiegt die Überraschung, dass sich jemand kritisch mit dem Dalai Lama auseinandersetzt. Gelegentlich gibt es sogar Verständnis und Zustimmung. „Unkritisch sollte man nie sein“, sagt etwa ein Pensionist, der sich seit Jahrzehnten bei der RSO engagiert. „Die nationalistische Geschichte gefällt mir auch nicht beim Dalai Lama.“ Aber die Spiritualität sollte man nicht vergessen, meint er. Sein Ziel: Marxismus und Spiritualität zu verbinden. Zwei Polizisten stehen in der Nähe des Tisches. Sie sollen die Kundgebung beschützen, falls Pro-Dalai-Lama-Aktivisten zu emotional werden.

Ein Pensionist wettert gegen die Säkularen und vermutet eine prochinesische Veranstaltung. „Wir wollen ja auch nicht das chinesische Regime verteidigen“, versucht Dieter auf die Anliegen der Kundgebung hinzuweisen. Es scheint wenig zu nützen. „Die Chinesen werden Tibet nie hergeben, schon allein wegen dem Wasser!“ Der Mann fühlt sich als Experte. „Ich war schon in Nordindien und in Nepal. Nur in Tibet noch nicht, weil die Chinesen 700 Euro für das Visum verlangen. Außerdem darf man dort nicht alleine einreisen.“ Was ihn am meisten stört? „Dass der Bundespräsident heute nicht in der Stadthalle war. Das hat ihm die Regierung verboten, wegen der Wirtschaftskontakte mit China.“

Erwin und SPÖ-Gemeinderat Heinz Vettermann diskutieren ausnehmend freundlich. Vettermann ist auch Generalsekretär der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft und sieht sich ein wenig zwischen den Stühlen. Weder ist er unkritischer Dalai-Lama-Unterstützer noch reiht er sich notwendigerweise in den Kritiker-Chor ein. „Auch im Buddhismus haben wir ja das Spannungsfeld: Ist das jetzt eine Philosophie oder eine Religion?“ Dieter redet derweil immer noch oder schon wieder mit jemandem. Wasser hat er seit Beginn der Veranstaltung nicht getrunken. Das ist zwei Stunden her und es sind um die 30 Grad.

Kaum ist Vettermann weg, belagern zwei australische Studentinnen Erwin. Er versucht ihnen auf Englisch zu erklären, warum er hier ist. Dass der Dalai Lama etwa für feudale Strukturen stehe, sagt Erwin. Man hört ihm die Unsicherheit an, komplexe Inhalte in einer Fremdsprache argumentieren zu müssen. Das stimme ja nicht, sagt eine. Mittlerweile seien ja das Amt des Premierministers getrennt und der Dalai Lama nur mehr das spirituelle Oberhaupt. Früher ja, aber das heutige Tibet sei ganz anders. Außerdem sei die Exilregierung in Indien demokratisch gewählt. Die Erklärung, dass an den so genannten Wahlen nur ein Bruchteil aller Tibeter teilgenommen habe, lässt sie nicht gelten. Sie verabschiedet sich mit dem Slogan „Free Tibet“. Ihre Kollegin geht wortlos mit. „Der aggressive Ton allein spricht Bände“, fühlt sich ein Österreich mit Free-Tibet-Button bemüßigt, Erwin zurechtzuweisen. Jörg schüttelt den Kopf. „Der Tonfall war alles andere als aggressiv.“

Eine Tibeterin herrscht Dieter an. „Warum müsst ihr ihn so runtermachen? Sie haben uns unser Land genommen, unseren Besitz und unsere Freiheit. Der Dalai Lama ist alles, was wir noch haben.“ Kurz ist auch er sprachlos. Die Frau macht sich schimpfend auf den Weg zur U-Bahn. „Diese jungen Menschen sind aufgewachsen in einem Land, wo sie alles hatten und alles durften“, erklärt sie dem hpd, hör- und sichtbar emotional. „Warum müssen die etwas runtermachen, das sie nicht kennen? Wir kennen den Dalai Lama von kleinauf.“ Und ist von dannen, bevor man sie fragen kann, wie gut sie denn den Dalai Lama wirklich kenne.

Die Massen aus der Stadthalle haben sich mittlerweile Richtung U-Bahn gewälzt. Vereinzelte Nachzügler bleiben stehen. „Aha“, sagt ein junger Mann. „Das klingt ja OK. Kann man da wo unterschreiben?“ Er liest sich kurz den Infofolder durch und trägt seine Daten auf das Newsletter-Formular von gottlos.at ein. „Super Sache. Mit euch hab ich kein Problem. Ich bin nämlich freier Buddhist“, meint er zum Abschied.
Dieter hat vermutlich seine erste Redepause in gut zweieinhalb Stunden einlegen können. Wie er es so lange ohne Wasser ausgehalten hat? „Keine Ahnung. Aber jetzt ist mein Mund schon trocken.“

Die Aktivisten zeigen sich nicht unzufrieden mit ihrer kleinen Kundgebung. Ein paar Bücher wurden verkauft. Etliche Infofolder kamen unter die Leute. Ob alle Buttons auch bezahlt wurden, ist eine andere Frage. Immerhin zwei Interessenten haben sich für den Newsletter angemeldet. Bedenkt man, dass die KJÖ kurzfristig ihre Unterstützung zurückzog, keine schlechte Bilanz. Ein wenig konnte man das säkulare Fähnchen hochhalten im Ansturm der Dalai-Lama-Verehrer. Bedenkt man, wie präsent das Oberhaupt der Gelbmützen-Sekte in den heimischen Medien ist, war auch nicht mehr zu erwarten gewesen.

Christoph Baumgarten